Foto: Nilz Böhme

Wir hasten durch den Alltag. Unterwegs von A nach B, um C zu erledigen, dabei D schon im Hinterkopf. Oft ärgern wir uns dabei unnötig über Vorfälle, die von außen betrachtet, eine gewisse Ironie oder charmanten Witz in sich tragen. Bei Peter Handkes Stück „Die Stunde, da wir nichts von einander wussten“ begeben wir uns in diese Betrachter*innenposition und gewinnen Abstand, um all die kleinen Dinge zu entdecken, Begegnungen wahrzunehmen sowie Ästhetik zu erkennen. Innerhalb von knapp zwei Stunden erleben wir 350 Figuren, verkörpert durch gut zwei Dutzend Schauspielende bzw. Statist*innen. Wir erfahren von ihren Geschichten auf einem nicht weiter definierten Platz, der durch Himmelswände begrenzt wird und so im Sinne der gesamten Inszenierung Assoziationsraum lässt.

Das Leben auf die Bühne gebracht.

Die einzelnen Szenen sind inspiriert von Menschen, die Handke an öffentlichen Orten beobachtete. Erweitert wurden gegenwärtige Situationen durch Märchenfiguren, Bibelcharaktere oder bekannte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Die Inszenierung am Schauspielhaus Magdeburg wurde erarbeitet unter der Regie der Schauspieldirektorin Cornelia Crombholz. Eine unserer Redakteurinnen ist als Statistin dabei und gibt im folgenden einen Einblick hinter die Kulissen der Produktion.

Wie ist es auf der Bühne zu stehen?

Im Vorfeld ist man natürlich schon aufgeregt, geht alle seine Wege und Szenen noch einmal im Kopf durch, überlegt: „Wie viel Zeit bleibt mir zwischen den einzelnen Szenen für den Umzug? Wann benötige ich welche Requisiten? Was ist mein Startzeichen, um auf die Bühne zu gehen?“. Die Aufregung verfliegt dann aber, sobald die Aufführung ihren Lauf nimmt und man selbst auf der Bühne steht. Anfangs konnte man sich wenig darunter vorstellen, wie es ein Stück ohne Sprache schaffen kann, Geschichten zu erzählen, Botschaften zu übermitteln, zum Schmunzeln und auch zum Nachdenken anzuregen (Dramaturgie: David Schliesing, Maiko Miske). Dann während der einzelnen Proben zu sehen, wie sich das Stück nach und nach aufbaut, an Komplexität und Gestalt gewinnt, ist einfach beeindruckend. Und natürlich ist es ein tolles Gefühl mit all den Leuten auf der Bühne zu stehen, mit denen man wochenlang an einem gemeinsamen großen Ziel gearbeitet hat. Dies dann zusammen genießen zu dürfen, ist wirklich unbeschreiblich.

Was bedeutet die Arbeit mit „richtigen“ Schauspieler*innen?

Es ist eine spannende Erfahrung mitzuerleben, wie einzelne Szenen in den Proben erarbeitet werden und vor allem zu sehen, wie vielseitig die Darstellenden in den verschiedenen Szenen auftreten. Als wir Statisten zum ersten Mal die Schlussszene sahen, in der alle 15 Schauspieler auf der Bühne stehen, herrschte durchweg Gänsehaut-Feeling.

Spannend ist bei Handkes Stück aber vor allem der Blick hinter die Kulissen. Während auf der Bühne das Stück seinen Lauf nimmt, spielt sich hinter der Bühne eigentlich ein weiteres Schauspiel ab. Unzählige Requisiten, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein müssen, 15 Schauspieler sowie 15 Statisten, die in Windeseile Kostüme wechseln, um dann in völlig neuem Gewand sofort wieder auf die Bühne zu verschwinden (Ausstattung: Marion Hauer, Nadine Hampel, Freya Elisabeth Partscht) – neben der schauspielerischen Leistung, definitiv auch eine sportliche Herausforderung.

Gibt es ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Beteiligten?

Definitiv sind wir während der Probenarbeiten besonders innerhalb des Statisten-Teams zusammengewachsen, was für dieses Projekt auch unerlässlich ist, da ständige Absprachen und Abstimmungen erforderlich waren, alle Wege und Szenen detailliert dokumentiert werden mussten. Das Alles funktioniert, da alle ein gemeinsames großes Ziel haben, an dem jeder Einzelne mitarbeitet. Und dann sind da diese Momente, wie die Premiere oder die Premierenfeier, wo die Anspannung von allen abfällt, man gemeinsam feiert und zusammen genießt, worauf man die vorherigen Wochen hingearbeitet hat.

Wie arbeitet der Choreograph? Was unterscheidet ihn von der Regisseurin?

Um mit einem Stück ohne Sprache Aussagen zu treffen und Geschichten zu erzählen, bedarf es eines Choreographen. David Williams erschuf aus den Ideen und Vorstellungen der Regisseurin Cornelia Crombholz eindrucksvolle Bilder und projizierte diese dann mit Hilfe von Schauspielern und Statisten auf die Bühne. Es war schlichtweg beeindruckend zu sehen, wie er die komplexesten Gänge-Labyrinthe erschuf, die sich dann inmitten der Schauspieler zu einem Gesamtbild formten.

Nicht vergessen darf man in einem Stück ohne Sprache definitiv die Musik-Auswahl (Manuel Czerny), die mühevoll auf jede einzelne Szene abgestimmt wurde und letztendlich für die richtige Stimmung in den Bildern sorgt. Ich glaube, es verging keine Probe ohne jede Menge Ohrwürmer am Abend.

Dabei handelt es sich sowohl um partytaugliche Musik als auch Klassiker wie „Bolero“. An Abwechslung und Vielfalt mangelt es der Inszenierung keinesfalls. Ein Erlebnis für Aug, Ohr und Herz.