Das Studium ist eine spannende Zeit: Die erste eigene Wohnung, bis spät in die Nacht auf wilden Partys tanzen, knutschen, sich verlieben und natürlich nur noch die Dinge lernen, die einen auch wirklich interessieren.

Dass diese Phase des jungen Erwachsenenalters jedoch nicht nur von Freude und Freiheit geprägt ist, zeigt der jüngst veröffentlichte BARMER-Arztreport: Demnach leide inzwischen mehr als jeder sechste Student an einer psychischen Erkrankung wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken – Tendenz steigend. Leistungsdruck, Überforderung, Zukunftsängste und Selbstzweifel gehören für einen Großteil der Studierenden leider mittlerweile genauso zum Unialltag dazu wie Abgabefristen und Klausurenphasen. Die Psychosoziale Studierendenberatung (kurz: PSB) am Hochschulstandort Magdeburg bietet aus diesem Grund Beratungsgespräche und verschiedene Kurse an, die allen Studierenden und MitarbeiterInnen der Universität und der Hochschule Magdeburg-Stendal offenstehen. Wir haben M.Sc. Reha-Psych. Simon Gadisa (27) zum Interview getroffen.

 

Einige Studierende haben sicherlich eine gewisse Hemmschwelle, eine Beratung in Anspruch zu nehmen und mit jemandem über persönliche Probleme zu sprechen. Wann ist deiner Meinung nach der Punkt erreicht, an dem man sich Hilfe suchen sollte?

Simon Gadisa: „Ich traue mich nicht, mit jemandem über meine Problem zu sprechen!“ – Solche und ähnliche Aussagen hören wir häufiger. Und wir wissen, wie einsam und krank es machen kann, wenn man glaubt, man müsse stark sein und alles mit sich allein ausmachen.

Psychosoziale Beratung an Hochschulen gibt es ja gerade, weil die Lebensphase Studium derart viele Herausforderungen enthält, dass man damit rechnen muss, dass nicht wenige Studierenden an die Grenzen ihres Bewältigungsvermögens kommen. In unserem Konzept steht, dass kein Krankheitserleben oder Anzeichen einer Störung vorhanden sein muss, um einen Beratungstermin in Anspruch zu nehmen. Vielleicht besteht erstmal nur eine gewisse Ratlosigkeit, was völlig in Ordnung und keinesfalls eine Schande ist. Viele sind da sehr aufgeschlossen, für andere ist es aber tatsächlich völlig ungewohnt, sich Hilfe zu suchen. Für mich, als jemand der in diesem Bereich arbeitet, ist es schwer nachzuvollziehen, wieso Beratung und Therapie immer noch so schambesetztsind. Unsere Aufgabe ist es also auch, ein Stück weit Hemmschwellen und Ängste abzubauen. Der Punkt, an dem ich mir Hilfe suchen sollte? – Ich glaube da gibt es kein Patentrezept, aber vielleicht ist es genau der Moment, in dem ich anfange mir diese Frage zu stellen.

Was sind denn Probleme, mit denen Studierende zu euch kommen?

Bezogen auf das Studium leiden viele Studierende unter Versagensängsten, Überforderungs- und Unzulänglichkeitsgefühlen. Extreme Schwierigkeiten, die die Studierfähigkeit beeinträchtigen, ergeben sich, wenn die Betroffenen versuchen, die unvermeidbare Unsicherheit durch pausenloses Arbeiten oder aber durch Prokrastinieren zu „bewältigen“. Wir erleben immer wieder Studierende, die kurz vor dem Burnout stehen oder schon mitten drin sind. Durch das ständige Aufschieben und Vermeiden geraten viele im immer stärkere Zugzwänge, die letztendlich Angstzustände und/ oder depressive Symptome hervorbringen können. Dann geht es natürlich auch häufig um Probleme mit Kommiliton*innen oder Professor*innen, auch vielfach aber auch um private oder persönliche Probleme: Die Ablösung vom Elternhaus, Zukunftsängste oder Schwierigkeiten in Liebesbeziehungen. Also entweder weil man unglücklich in seiner jetzigen Partnerschaft ist oder sogar vor hat sich zu trennen, aber auch weil man unglücklich damit ist Single zu sein und Angst davor hat alleine zu bleiben.

Was ratet ihr euren Klient*innen dann?

Das ist vielleicht auch ein Missverständnis. Es heißt zwar „Beratung“, der Begriff kommt aber nicht von „advising“, sondern von „counseling“. Klar geben wir manchmal Tipps und machen Vorschläge, aber eigentlich geht es eher darum, gemeinsam mit dem jeweiligen Gegenüber zu verstehen, wie er/sie überhaupt in die akut bedrängende Situation gekommen ist. Wenn es beispielsweise um das Thema Prüfungsangst geht: Was spielt sich vor/ während einer Prüfung in deinem Kopf ab? Was verbindest du damit? Wie ist deine bisherige Lernerfahrung gewesen? Auf die Idee Atemübungen oder ähnliches zu machen, kommt vermutlich jeder. Die Frage ist jedoch eher: Was hält mich davon ab.
Oft wird aber auch deutlich, dass Leistung und „gut sein“ für den/ die Betreffende eine so große Bedeutung hat, dass sie eine schlechte Note oder ein Durchfallen bei der Prüfung wie existentielle Vernichtung empfinden. Dann überlegen wir gemeinsam, wie sie Ressourcen jenseits von Studium und Lernen aufbauen können, um etwas unempfindlicher gegenüber den täglichen Härten des Studiums zu werden.

Bleiben wir beim Thema Beziehungen. Neben Einzelgespräche bietet ihr in diesem Sommersemester wieder Workshops und Kurse zu verschiedenen Themen an, einer davon trägt den Namen „Generation „Beziehungsunfähig“? Wie wir unsere Chancen auf erfüllte und tragfähige Beziehungen verbessern können“. Möchtest du uns ein bisschen mehr dazu erzählen?

Für alles im Leben kann man einen Führerschein oder eine Erlaubnis machen, aber für eine Beziehung? Niemand bringt einem bei wie man Beziehungen führt und niemand erklärt einem wie so etwas funktioniert. Wir wollen kein Tutorial machen, aber ich denke, dass man in diesem Bereich nie auslernen kann. Wir kriegen vielleicht vorgelebt, dass Beziehungen entweder total glücklich oder total schrecklich sind, dabei gibt es tatsächlich noch so vieles dazwischen. Selbst die glücklichste Ehe hat auch einmal ihre dunklen Stunden.

Was kann ich mir unter dem Kurs vorstellen? Wie wird dieser ablaufen?

Vielleicht fangen wir erst einmal damit an, was man nicht erwarten kann: Wir sind kein Flirtcoach und machen mit Sicherheit auch kein Pick-up-Training. Genauso wenig führen wir in diesem Rahmen eine Paartherapie durch. Es gibt zahlreiche Ratgeber zu Beziehungen und Liebe, die jedem zur Verfügung stehen, der sich dafür interessiert. Was wir hingegen machen, ist ein Selbsterfahrungs-Schnupperkurs. Selbsterfahrung ist ein ziemlich großer Begriff, aber im Grund heißt es so viel wie, dass wir die Kursteilnehmer dabei unterstützen wollen, die Beziehung, die sie zu sich selbst haben, zu erforschen und zu verbessen. Eine Akzeptanz der eigenen Person ist für uns die wichtigste Basis für gelingende Beziehungen zu anderen. Also: „Welche Gefühle, welche Sehnsüchte habe ich?“ „Was mag ich an mir, was versuche ich, zu verbergen?“, „Was will ich in einer Partnerschaft erleben und was vielleicht nicht?“. Grundsätzlich hat jeder in irgendeiner Form ein Konzept davon im Kopf, wie seine/ihre Beziehung im Idealfall aussehen soll, aber Beziehungen funktionieren ja nicht nur auf intellektueller Ebene, sondern eben zu einem Großteil auf der Gefühlsebene, was uns zum Hauptinhalt des Kurses führt, nämlich zum Thema Vertrauen. Vertrauen in andere und Vertrauen in mich selbst. Wenn ich mir selbst nicht vertrauen kann, werde ich auch misstrauischer anderen gegenüber, verstecke mich hinter einer Fassade. Vertrauen ist allerdings etwas, das sich entwickeln muss. Wenn ich diese unvermeidbare Spannung zwischen Misstrauen und Vertrauen, die eigentlich als Kern von Beziehungen gelten kann, nicht aushalten kann, werde ich mich entweder gar nicht oder viel zu schnell einlassen. Möglicherweise muss ich dann irgendwann enttäuscht feststellen, dass die Diskrepanz zwischen meinen Sehnsüchten und der Realität immer größer wird.

Um solche Themen soll es im Rahmen von 8 Kurseinheiten gehen. In einer überschaubaren Gruppe wollen wir uns mithilfe verschiedener Übungen und Gesprächen mit Themen wie Vertrauen, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Rollenbilder, Beziehungskonzepte beschäftigen Erfahrungen ermöglichen, die zu einem bessern Selbstverständnis beitragen können.

Kommen wir noch einmal zur Einzelberatung zurück. Angenommen während eines Beratungsgespräches würde sich herausstellen, dass jemand ernsthaft erkrankt ist. Wie würde es dann weitergehen? Was wäre der nächste Schritt?

Wenn sich das im Laufe der Beratung herausstellt, würden wir dann auch die Empfehlung aussprechen, über eine Psychotherapie nachzudenken und erklären, welche Therapieformen es überhaupt gibt, welche in diesem speziellen Fall die geeigneste sein könnte und worin überhaupt der Unterschied zwischen Therapie und Beratung liegt. Aber diese Entscheidung treffen nicht wir, das machen immer unsere Klient*innen selbst. Psychotherapie ist nicht nur unbedingt für Leute, die komplett am Boden sind. Es muss einem nicht zwangsläufig total schlecht gehen, damit man zur Therapie geht. Eine Therapie ist vor allen Dingen Entwicklungshilfe, also herauszufinden, wo mein Schmerz, meine Unsicherheit, meine Unzufriedenheit herkommt und mich daraus weiterentwickeln zu können. Vielleicht gibt es Dinge, die ich verpasst habe, die mir meine Eltern nicht mitgeben konnte oder etwas, dass durch schlimme Erfahrungen in meinem Lebenslauf hervorgerufen wurde. Das ist überhaupt nichts Schlimmes. Kein Mensch geht ohne Probleme durchs Leben.

Ganz konkret: Worin liegt denn der Unterschied zwischen eurer Arbeit und einer Psychotherapie?

Wir arbeiten in der Beratung eher auf gedanklicher Ebene, wir sprechen zwar über Gefühle und auch über Beziehungen und solche Dinge, aber wir versuchen eher mit den Klient*innen gemeinsam die Probleme zu verstehen. Wir machen also eine Art Diagnostik, die wir allerdings als einen gemeinsamen Prozess betrachten, weshalb in der Regel auch mehrere Beratungsgespräche stattfinden, bevor wir und auch der oder die Studierende das Gefühl haben, besser zu verstehen, wo vielleicht die Wurzeln der aktuellen Problematik liegen könnten. Grundsätzlich läuft es so ab, dass man mit uns einen ersten Termin vereinbart oder in unsere offene Sprechzeit kommt, sich erstmal kennenlernt und zu Beginn gemeinsam versucht das Problem zu verstehen bzw. herausfindet, was gerade nicht in Ordnung ist. Wir hören zu, spiegeln, was wir verstanden und fragen nach, wo wir vielleicht was nicht oder nicht richtig verstanden haben. Vielleicht würden wir auch Fragen stellen, die nicht unbedingt jeder hören will, um eine gewisse Genauigkeit in den Dingen erkennen zu können. Manchmal geht man einfach über gewisse Dinge hinweg. Der beste Freund würde sagen: „Ja, das kenn ich auch.“, aber wir würden eher sagen: „Nein, das kenn ich nicht, erklären Sie doch noch mal, was genau Sie meinen.“ Dann kommt meist ein Reflektionsprozess in Gang, mit dem die Klient*innen selbst nicht gerechnet haben und man entdeckt Zusammenhänge, die man alleine eventuell gar nicht erkannt hätte. Vielleicht ist da der Auftakt für einen längeren Beratungsprozess von 7 Gesprächen, manchmal ist es aber auch mit ein bis drei Gesprächen getan und derjenige bzw. diejenige hat schon genug Ideen, wie er oder sie weitergehen könnte. In der Therapie geht es dagegen nicht nur um das gedankliche und kognitive Verstehen, sondern darum, Einsichten auf der Ebene des Spürens, des Fühlens und des gefühlsbezogenen Erinnerns zu gewinnen. Solche Einsichten haben – anders als kognitive Erkenntnisse – dann häufig tatsächlich zur Folge, dass Menschen ihr Verhalten sich selbst und anderen gegenüber verändern bzw. optimieren können.

Wie viele Personen kommen im Jahr durchschnittlich zu euch?

2004 waren es 80 Studierende, 2017 waren es 442 studierende Einzelberatungsklient*innen. Damit hat sich die Zahl der Studierenden, die Einzelberatungen in Anspruch genommen haben, also mehr als verfünffacht. Insgesamt führten wir im vergangenen Jahr 1317 Beratungsgespräche mit Studierenden, wobei die durchschnittliche Zahl der Beratungskontakte pro Student*in bei 4 Gesprächen lag. Hinzu kommen 120 Personen, die unsere Kursangebote nutzten.

Möchtest du zum Abschluss noch etwas loswerden?

Es ist keine Schande Probleme zu haben – gerade im Studium. Es ist eine aufregende und wunderschöne Zeit, aber auch eine Zeit, die mich vor sehr viele Belastungen stellt. Ich bin vermutlich das erste Mal im Leben alleine, vielleicht weit weg von Zuhause. Ich habe mich vielleicht das erste Mal so richtig dolle mit meinen Eltern gezankt. Vielleicht habe ich mich in jemanden verliebt, aber sie oder er möchte nur mit mir befreundet sein und das sind alles Dinge, die einfach in diesem Alter zwischen 18 und 30 zum ersten Mal passieren. Da ist es doch auch völlig in Ordnung mit jemandem darüber zu sprechen und sich helfen zu lassen. Unsere Türen stehen also jedem jederzeit offen, der diese Hilfe in Anspruch nehmen möchte.

 

Die Psychosoziale Beratung findet ihr auf dem Hauptcampus der OvGU, Gebäude 18 (Südflügel), 2. Etage. Sprechzeiten sind jeden Dienstag, 13 – 14 Uhr und Donnerstag, 15 – 17 Uhr, sowie nach Vereinbarung.

Anmeldungen via Email an psb@ovgu.de, die Kursgebühren betragen 10€.