Diesen Sonntag hat die Magdeburger Theatergruppe bühnenfrei Premiere mit ihrer neuen Produktion „Hurra, die Welt geht unter!“. Alles fängt an mit einer scheinbar normalen Geburtstagsfeier, doch schnell wird deutlich, dass hier nichts normal ist.
Im Interview mit Magdeboogie sprechen die Mitglieder von bühnenfrei über die neue Produktion und warum der Begriff Laientheater nichts mit dem zu tun hat, was sie machen.

Magdeboogie: Wer oder was ist bühnenfrei und wie kommt ihr zusammen?

Vanessa Jandt: Bühnenfrei hat sich Ende 2014 aus vier Mädels gegründet, die schon zusammen Theater gemacht hatten. Wir haben alle keinen professionellen Schauspielhintergrund, außer teilweise lange Bühnenerfahrungen von freien Gruppen und Theaterjugendclubs.

Sophie Tefikow: Altersmäßig sind wir sehr durchmischt, also wir haben Studierende und Berufstätige dabei.

Zico Ahmad Jumaa: … und ein Ausländer (alle lachen)

Magdeboogie: Wie kommt ihr zu einem neuen Stück?

Sophie Tefikow: Wenn ein Stück abgespielt ist, machen wir eine Pause und gucken, wer ist noch dabei und hat Lust und dann suchen wir nach Stücken.

Magdeboogie: Und dann setzt ihr euch zusammen und diskutiert?

Sophie Tefikow: Genau, dann schreibt Angela das Stück, führt Regie und dann kommt es zur Rollenverteilung und dann fangen die Einzelproben und die Gruppenproben an.

Angela Mund: Wobei, ich würde sagen, dieses Mal war es anders. Bei „Wasted Land“ (die letzte Produktion von bühnenfrei, Anm. d. R.) gab es ein fertiges Stück „Graf Öderland“ von Max Frisch. Und bei dem Stück jetzt war es so, dass Sebastian ein Science Fiction Roman gelesen hat: „Der Zeitsprung“ von Robert Heinlein und da fanden wir die Story cool, aber der Text selber gab noch kein Theaterstück her und dann haben wir mehrere Wochen lang wahnsinnig viel improvisiert und szenisches Material gesammelt und erst dann habe ich angefangen, daraus die besten Ideen rauszufiltern und das Stück zu schreiben. Also es hat nur noch wenig mit dem Originalbuch zu tun.

Moritz Meist: Ja, das fand ich eigentlich auch so ein bisschen das Spannende, dass selbst geschriebene Szenen mit in den Pool geworfen und ausprobiert wurden und dann daraus das Stück erwachsen ist.

Magdeboogie: Warum genau habt ihr euch für dieses Stück entschieden?

Vanessa Jandt: Das haben wir uns auch lange gefragt (alle lachen).

Sebastian Goll: Wir haben ganz viele Theaterstücke gelesen und was so die Essenz des Ganzen ist, das waren die Konflikte und die Situationen, die sich in diesem Roman geschildert haben. Da war so viel Druck auf die Figuren und da waren so viele Konflikte und Möglichkeiten und es hat uns einfach gereizt, diese auszuarbeiten und damit zu spielen, zu gucken, was passiert.

Angela Mund: Wollen wir vielleicht vorher noch die Grundstory erzählen?

Sebastian Goll: Kennt die jemand? (alle lachen)

Tanja Schulze: Die Welt geht unter…

Sebastian Goll: Das wissen wir nicht.

Tanja Schulze: Das wissen wir nicht, genau, aber wir nehmen an, dass die Welt untergeht und die Familie hat einen Bunker. Und in diesem Bunker entstehen sehr viele Konflikte, sodass die Frage aufkommt: Was ist besser? Hierzubleiben oder rauszugehen.

Vanessa Jandt: Der Vater bereitet die Familie ihr lebenslang auf den Ernstfall vor, was auch immer der Ernstfall ist. Alle sind mit diesem Bunker und in dem vollen Bewusstsein aufgewachsen, jederzeit kann es soweit sein und dann kommt ES, was auch immer ES ist.

Angela Mund: Also die Ursprungsstory ist, dass die Tochter des Hauses Geburtstag hat und auf einmal immer mehr ungeladene Gäste das Haus betreten. Im Zuge dieser Geburtstagsparty kommt heraus, dass die Familie einen Bunker hat und der Fall tritt ein, es kommt zu einer Katastrophe. Die Familie geht in den Bunker und von da an ist sie in ihrem eigenen inneren Katastrophenszenario verfangen.

Moritz Meist: Durch diesen Vorfall ist die Familie auf einmal mit anderen Menschen zusammengepfercht und findet sich in einem emotionalen Treibhaus wieder. Da kommen dann sowohl innerfamiliäre Sachen hoch, die sich über die Jahre angestaut haben, als auch externe Konflikte von Leuten, die durch Zufall auf der Party waren.

Angela Mund: Es gibt noch eine zweite Erzählebene, wo es um Sidekicks geht, also einen weiteren Erzählstrang, wie es zu dieser Katastrophe gekommen sein könnte. Und auf einmal tauchen Figuren aus dem Anfang auf und es werden Szenen erzählt, die ein anderes Licht auf das Geschehen im Bunker werfen. Die Komplexität nimmt extrem zu. Und am Ende muss das Publikum sich mit sehr vielen Fragen beschäftigen und versuchen diese Unterschiede irgendwie zusammen zu bauen.

Peter Kube: Ja, ich finde, dass das was wir spielen eigentlich der Versuch ist, die globalen Ängste, die an vielen Stellen existieren, darzustellen. Diese Ängste lassen sich in jedem einzelnen aber auch in der Umgebung erkennen. Diese Spannung zwischen dem, was im Globalen passiert und die Entdeckungsreise des Publikums, das in diesem Mikrokosmos erkennen zu können, das ist eine irre Spannung, die sich da entwickeln kann.

Eindrücke von der Probe zum Stück „Hurra, die Welt geht unter!“

Magdeboogie: So: Wer spielt wen und was ist das Spannende für euch an der Rolle?

Vanessa Jandt: Ich spiele die Mutter, Jette, die ihr ganzes Leben mit der Angst konfrontiert ist, nebenbei ihre Kinder großziehen muss und ein starkes Alkoholproblem hat. Sie ist sehr ambivalent und macht einen Prozess durch, den sie sehr nach außen trägt durch den Stress, das macht die Rolle für mich so spannend.

Tanja Schulze: Ich spiele Karen die Tochter. Ich bin mittendrin und irgendwie nicht, das macht es für mich irgendwie sehr interessant.

Sophie Tefikow: Ich spiele Birte, das ist eine Fremde, die von Karen der Tochter eingeladen wurde zu ihrer Geburtstagsparty zu kommen, einfach so in der Straßenbahn. Es ist wirklich eine sehr spannende Rolle und für mich war die Herausforderung, diese ganzen Ebenen da rein zu bringen.

Sebastian Goll: Ich spiele Michael, den Sohn und eigentlich habe ich das Haus schon verlassen, komme aber zur Geburtstagsparty meiner Schwester wieder. Ich versuche mich zu lösen und gleichzeitig Anerkennung von meinem Vater zu kriegen. So ein bisschen weiß ich noch nicht, wohin mit mir im Leben, Karriere ist glaube ich gerade mein Ziel und als dann diese Dinge passieren, geht es mit mir durch. Dann kommen noch Fremde ins Haus, mit denen ich nicht klarkomme, also ich bin, ich sage mal, ein besorgter Bürger (alle lachen). Zu Anfang hatte ich etwas Probleme mit der Figur, weil Michael so anders ist. Aber der Reiz ist tatsächlich, in eine komplett andere Gedankenwelt einzutreten und das ohne Kompromisse und mit allen Konsequenzen.

Renate Kuhn: Ich spiele Ruth, die Großmutter. Ich komme besuchsweise in die Familie, die eigentlich mit mir und ich mit ihnen schon jahrelang Konflikte habe. Ich kümmere mich nicht um die Familie, ich sehe schon, da ist Hopfen und Malz verloren und engagiere mich deswegen ehrenamtlich im Asylantenheim. Ich bringe dann auch noch Besuch mit zur Party, was natürlich zu Konflikten führt und ich merke dann im Laufe der Szenerie, dass ich das einfach nicht mehr aushalte. Was mich an dieser Gruppe fasziniert, das sind die jungen Leute. Ich bin die älteste hier in der Gruppe, schon Rentnerin und dieser Dynamik standzuhalten, das ist für mich körperlich und psychisch manchmal ziemlich schwierig.

Moritz Meist: Ja, mein Name ist Pitzke, Steffen Pitzke (alle lachen). Ich bin die traurigere Hälfte eines wunderbaren Vorzeige-Ehepaares aus der Nachbarschaft, die das Musterbeispiel für diese verkrampfte Nachbarschaftshaltung sind, also für dieses Golfrasen-Fasadenbild, die nach außen eine heile Welt präsentieren und sich über die Familie lustig machen, die dieses Ideal nicht erfüllen. Wobei allerdings im Laufe des Stücks rauskommt, dass es sich bei den Pitzkes auch gar nicht um solche Bilderbuch-Nachbarn handelt. Auch bei ihnen liegen Dinge im Argen. Was für mich daran schauspielerisch interessant ist, sind diese schnellen Wechsel, dass immer wieder diese Fassade hochgezogen werden, während man nach innen eigentlich schon längst verrottet ist. Und diese Brüche immer wieder möglichst deutlich zu machen, das ist eine Herausforderung, aber eine, die mir wirklich Spaß macht.

Birte Sosna: Ich spiele drei Rollen, eine Nachbarin, die versucht, dieses Ideal aufzudecken und zu gucken, was steckt eigentlich hinter dieser Fassade. Und Dann spiele ich die Vergangenheit der Birte. Die Rolle finde ich interessant, weil man nicht so richtig greifen kann, wer sie eigentlich ist und was sie will. Man weiß nicht so genau, was hinter dieser Figur steckt. Und dann spiele ich noch mit zwei anderen ein Engel-Trio.

Zico Ahmad Jumaa: Ich spiele Farid und bin der mitgebrachte Flüchtling. Farid ist eine starke Rolle und ich verstehe mich gerade überhaupt nicht mit ihm, denn er verrät Ruth und versucht zu flüchten, obwohl es eigentlich sicherer wäre, im Bunker zu bleiben. Meine persönliche Herausforderung ist immer noch die Aussprache, ich muss Sachen häufig wiederholen, damit das Publikum versteht, was ich meine.

Peter Kube: Ich bin Ansgar, der Vater der Familie. Ich habe mich wochenlang mit dieser Rolle gequält, weil sie ein Gegenentwurf im Verhalten zu vielem ist, was ich entweder verdränge oder überhaupt nicht bin. Und das macht im Endeffekt den Reiz aus, da doch anzukommen in einer Art von Autorität, gegen die ich seit DDR-Zeiten ankämpfe. Das ist für mich eine sehr deutliche Herausforderung und gelingt nicht immer. Aber es macht riesige Freude, sich diesem fremden Chaos zu stellen und zu hinterfragen, in welcher Rolle befinde ich mich eigentlich sonst, wenn ich der bin, der ich bin und ist von dem nicht vielleicht doch ein Stückchen mehr in mir, was ich da spiele? Das ist beim Theaterspielen prinzipiell etwas, was Freude aber auch manchmal ziemliche Belastung mit sich bringt.

Silvana Motzka: Ich habe zwei Rollen. Ich spiele einmal die Psychologin von Birte in der Vergangenheit und einmal die Engelrolle mit zwei anderen Kollegen. Am Anfang hatte ich echt Probleme mit der Rolle als Psychologin, wie sie sich gibt, ihre Mimik, Gestik und ihr Ausdruck, aber mittlerweile habe ich mich eigentlich ganz gut reingefunden.

Angela Mund: Ja, eine Kollegin, Lena, fehlt gerade. Sie spielt Frau Pitzke. Und ich habe keine Rolle im Stück aber in der Gruppe. Hier ist es am Anfang die Spielleitung, das heißt ich organisiere den Rahmen, damit die Gruppe arbeiten kann und später wechselt das hin zu Regie und Textproduktion. Und im Hintergrund sind auch noch wahnsinnig viele andere Menschen, die uns Supporten, von den Technikern und Helfern, die die Kasse machen oder den Spielbetrieb mit unterstützen.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Magdeboogie: Wie oft probt ihr denn in der Woche und wie lange habt ihr an dem Stück insgesamt gearbeitet?

Angela Mund: Im August hatten wir die Idee für das Stück, da habe ich angefangen zu schreiben, im Oktober entstand die erste Textfassung und da haben wir dann auch konkret angefangen, an den einzelnen Szenen zu proben, aber wir haben auch wahnsinnig viel verworfen und ausprobiert. Also es ist tatsächlich ein Prozess, der am Anfang erstmal heißt, einmal die Woche treffen und in der Endprobenzeit erhöht sich der Turnus, das heißt wir haben dann ungefähr zwei Monate vor Premiere die ersten Probenwochenenden gehabt. Ich finde auch, der Begriff Laientheater ist absolut falsch. Er assoziiert Dinge, die nichts mehr mit dieser Gruppe zu tun haben. Wir sind vielleicht Laien insofern, dass keiner eine professionelle Ausbildung hat, das hat aber mit den Ansprüchen, die wir an uns selber stellen, nicht viel zu tun, die sind nämlich extrem hoch. Und auch das Leistungspensum ist fernab von sonstigen Hobbies, weil jeder wahnsinnig viel Zeit, Kraft und Ressourcen in dieses Projekt reinsteckt.

Renate Kuhn: Und das kostet manchmal auch ein bisschen Geld, deswegen sind auch auf Spenden angewiesen.

Angela Mund: Bisher kamen wir ganz gut damit aus, Spenden einzuwerben. Also interessanterweise gibt es Menschen, die für eine freie Theatergruppe Geld geben wollen (Lachen). Es wird hier niemand bezahlt, außer die Techniker und auch die nicht mal besonders gut, das heißt: Wir versuchen das schon als Solidarprojekt zu verstehen. Jeder versucht das reinzugeben, was er reingeben kann. Keiner verdient daran, es wird kein Mehrwert produziert, außer der künstlerisch-kulturelle.

Moritz Meist: Es sind auch einfach eine ganze Menge an Leuten, die dahinterstecken und uns unterstützen. Das ist etwas, was nochmal explizit erwähnt werden muss.

Renate Kuhn: Und man braucht auch einen Raum dafür. Da sind wir dankbar, dass wir hier proben und die Technik nutzen können.

Alle: DANKE Brücke Magdeburg, Brücke Magdeburg DANKE. (alle lachen)

Sophie Tefikow: Das stimmt schon mit dem Begriff Laientheater. Das alles findet halt neben unserem eigentlichen Leben noch statt, neben Arbeit, Familie und das macht es schon extrem besonders von der Intensität her.

Vanessa Jandt: Das vergisst man schnell, gerade wenn man jetzt in so einer Blase ist, wo man sagen kann, alles andere ist fast nebensächlich.

Angela Mund: Und die Familien hassen uns (Lachen) also mich. Ja, naja, wenn am Wochenende die Leute immer weg sind, können sich nicht um ihre Familien kümmern, also ich glaube zur Premiere kriege ich einige Morddrohungen (Lachen)

Magdeboogie: An dieser Stelle bleibt uns nur noch, euch DANKE zu sagen. Danke, dass ihr euch die Zeit für das Interview genommen habt und danke für eure Mühe und Arbeit am Stück. Wir freuen uns sehr auf die Vorführung! In diesem Sinne: toi, toi, toi!

 

Eindrücke von der Probe zum Stück „Hurra, die Welt geht unter!“