Kunst und Gesellschaft. Zwei Seiten einer Medaille, getrennt durch eine unsichtbare Schwelle. Institutionelle Einrichtungen finden immer schwerer Zugang zu den Bedürfnissen und Kritiken der Menschen. Umgekehrt sehen viele Menschen einen Museumsbesuch privilegierten, mittelständischen Leuten mit einem gewissen Kunstverständnis und Bildungsanspruch vorbehalten. Dem versuchen freie und junge innovative Projekte entgegenzuwirken. Eines davon ist die Living Room Gallery Magdeburg, die bereits im dritten Jahr Kunst im privaten Rahmen inszeniert und damit einen Austausch anregen möchte.

Foto: Giovanna Veronica Gahrns

Für einen Tag öffneten am Samstag, den 29. Juli, zwei Wohnungen ihre Türen für die Öffentlichkeit und boten verschiedensten Künstler*innen eine einmalige Ausstellungsfläche. Hierfür gab es im Frühjahr eine Ausschreibung, auf die sich sechs Wohngemeinschaften meldeten. Das Team der Living Room Gallery besuchte jede einzelne Behausung, diskutierte Vor- und Nachteile und entschied sich letztlich für zwei Wohnungen, die sich am Hasselbachplatz fast gegenüber stehen. Von Amelie Bicker, Studentin und Mitorganisatorin, erfahre ich, dass es darum geht, neue Zielgruppen anzusprechen und eine entspannte, im besten Fall inspirierende Zeit mit aufgeschlossenen, kreativen Menschen zu verbringen. Die Idee dazu kam von Franziska Gutkäse, die das Format aus Cottbus kannte, wo bereits seit 2016 eine Living Room Gallery jährlich über 100 Interessierte anzieht. Beide verbindet ihr gemeinsames Engagement bei Viva con Agua de Sankt Pauli e. V., einem gemeinnützigen Verein, der sich mit verschiedenen Aktionen und Förderungen von Wasserprojekten dafür einsetzt, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Dort und darüber hinaus fanden sie viele motivierte Unterstützer*innen, sodass 2017 auch die erste Living Room Gallery in Magdeburg an den Start ging. Damals kamen die Künstler*innen ausschließlich aus dem Bekanntenkreis und die Veranstaltung wurde privat über Facebook kommuniziert, worüber Freund*innen ihre Freund*innen einluden, die wiederum ihren Freund*innen davon erzählten. Seitdem entwickelte sich das Format stetig weiter.

Foto: Tobias Bachmann

In diesem Jahr stellten über 20 z.T. bekannte Gesichter aus der Elbestadt bis Denver in Nordamerika ihre Gemälde, Collagen, Sketche und Fotographien aus.  Kirsten Mengewein war eine davon. Als Kultur- und Kunstschaffende liebt sie es, zu reisen und ihre Erlebnisse fotographisch festzuhalten. Darüber hinaus gründete sie vor einigen Jahren zusammen mit Christian Tischer die WesensArt-Papeterie, deren Botschaften in Form von Postkarten, Notizblöcken etc. uns an der Utopie einer inklusiven Weltgemeinschaft teilhaben lassen. Bei der Living Room Gallery stellte sie zum ersten Mal aus und betonte die besondere Mischung aus Kunst, Musik und Kultur. „Außerdem hat ja so eine Ausstellung in Privaträumen auch etwas. Der Zugang für die Besucher*innen hier ist viel niedrigschwelliger zur Kunst als der zu einer Galerie oder [einem] Museum. Mensch schaut einfach vorbei, kann sich beim Schauen auf ein Sofa lümmeln und die Bilder auf sich wirken lassen“, erzählte mir Kirsten im Gespräch.

Foto: Tobias Bachmann

Genau diese Momente bleiben in Erinnerung: Mit einem frisch zusammengestellten Wrap und einer Flasche Bier in der Hand durch die einzelnen Zimmer zu streifen, die Kunstwerke zu betrachten, sich mit Freunden darüber auszutauschen, ohne dabei zu vergessen, dass es immer noch eine Wohnung ist, in der auch Betten, Kleiderstangen und Putzpläne die Räume ausfüllen. Ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme wird vermittelt, sodass die Kunstwerke in einer sehr intimen Beziehung zu einem zu stehen scheinen. Die Aufmachung wirkt inspirierend und die Frage stellt sich, wie könnte ich mein Zuhause gestalten bzw. was könnte ich hiervon für Impulse mitnehmen. Letztlich bekam Mensch auch die Möglichkeit, die Original-Kunstwerke, die nicht selten Einzelstücke waren, mit nach Hause zu nehmen. Hierfür mussten Gebote für das gewünschte Objekt abgegeben werden und das höchste Gebot gewann zum Schluss. Die Erlöse gingen z.T. jeweils zur Hälfte an die Künstler*innen sowie an Viva con Agua de Sankt Pauli e. V., ein Großteil der Künstler*innen spendeten ihre Kunst komplett.

Foto: Giovanna Veronica Gahrns

Aber es gab ja nicht nur etwas für die Augen und für den Magen, sondern auch für die Ohren. So rahmten ein Poetry Slam, ein Improvisationstheater, ein Konzert mit Book. T. and the MD’s und The Whimpers sowie frische Beats mit Hopfen & Styles das Programm. Kurzum, sie schufen ein abwechslungsreiches Gesamtpaket, das viele Menschen nutzten, um zu kommen, zu gehen und wieder zurück zu kommen, immer wieder mit neuen Perspektiven, neuen Stimmungen und neuen Freund*innen. Es ist ein Freiraum entstanden, der weniger die Kunst an sich, sondern vielmehr die Beziehungen zwischen dieser und der Gesellschaft ins Zentrum rückte und zeigte, dass Kunst und Kultur für alle zugänglich sein kann und sollte und, dass Mensch auch fernab der Stapelkünste beim Geschirr und bei der Wäsche Eindrucksvolles in Privatwohnungen erleben kann. Nicht nur meine Begleitung und ich hatten an diesem Tag viel Spaß, auch die Veranstaltenden und die Künstler*innen können sehr stolz auf sich sein. Als ich Kirsten zum Schluss fragte, ob sie noch einmal bei der Living Room Gallery ausstellen würde, antwortete sie mir mit einem eindeutigen „ja klar!“.

Wenn auch ihr Lust bekommen habt, das Team der Living Room Gallery zu bereichern, dann geniert euch nicht, sie per Mail (livingroomgallery.magdeburg@gmail.com) oder über die sozialen Kanäle anzuschreiben oder spätestens ihrem Aufruf im nächsten Jahr zu folgen. Denn dieses Projekt lebt von vielen kreativen Köpfen, also lasst sie uns erweitern, damit wir auch in den nächsten Jahren noch von der Living Room Gallery Magdeburg schwärmen können.