Am 16. September ist Parking Day. Ein guter Anlass einen näheren Blick auf Parkplätze und Fahrzeuge in der Stadt zu werfen, findet unsere Redakteurin Pary. In einer mehrteiligen Artikelserie beleuchtet sie die Gestaltung unserer Städte, erklärt was daran gar nicht so dufte ist und stellt Ideen für eine lebenswertere Stadtgestaltung vor.

Die autofreie Stadt ist zum Buzzword geworden. Schaut mensch sich jedoch hierzulande in den Städten um, so wirkt der Weg dorthin noch weit. Städte sind dominiert von Autos, zumeist parkend, an den Rändern von Straßen, die eher Parkplätze als Räume mit Aufenthaltsqualität sind.

Als Beispiel habe ich die Lage im Magdeburger Stadtteil Stadtfeld Ost (kurz: SFO) genauer betrachtet. Der Stadtteil wirkt wie ein (entstehender) szeniger Kiez, einige Beete am Straßenrand werden von der Nachbarschaft gestaltet und in der Goethestraße wird die erste Fahrradstraße der Stadt erprobt.

Nachbarschaftsbeet in der Gerhart-Hauptmann-Straße. Foto: Pary.

Der Parking Day wurde 2005 ins Leben gerufen. Weltweit werden einmal im Jahr Parkplätze einen Tag lang umgenutzt um auf Potenziale einer Re-Urbanisierung von (Innen-)Städten aufmerksam zu machen. In Magdeburg findet dieses Jahr zum Parking Day u.a. die Veranstaltung Dreh deinen Kiez! am Buckauer Bahnhof statt.

Trotzdem ist SFO ein Stadtteil voll (stehender) Autos – das passt nun so gar nicht zum nachhaltigen Anstrich und bringt einige Nachteile mit sich. Neben versiegelten Flächen und verschenkten Potenzialen für eine Verbesserung des Stadtklimas birgt ein gewisses Parkchaos auch Stress für alle Verkehrsbeteiligten. Geparkt wird zu nah an Kreuzungen, vor gesenkten Bordsteinen, in der zweiter oder dritter Reihe.

Alltag in SFO. Was bedeuten abgesenkte Bordsteine nochmal? Foto: Pary.

Das schafft nicht nur Stress, sondern erhöht auch das Unfallrisiko und schließt Teile der Bevölkerung von einer normalen Nutzung der Straßen aus (z.B. Familien mit Kinderwägen, Rollstuhlfahrende, …).

Die Problemanalyse könnte nun lauten, der Stadtteil hat zu wenig Parkplätze. Vielleicht gibt es aber auch schlichtweg zu viele Autos. Angesichts des Klimawandels und einer angestrebten Mobilitätswende scheint letztere Analyse und die daraus folgenden Lösungsansätze deutlich zukunftsweisender zu sein.

Aber bleiben wir zunächst bei einer genaueren Betrachtung des Problems: um die Fläche, die Parkplätze in SFO derzeit einnehmen, aber auch die Potenziale die aus einer Umgestaltung resultieren würden, besser einschätzen zu können, habe ich auf einer Karte alle Parkplatzfächen in SFO markiert¹. Das Ergebnis: circa 275.000 m² für stehende Fahrzeuge.

Karte des Stadtteils mit markierten Parkplätzen und Garagenhöfen. Die Summe der markierten Flächen: 276.230 m². Mehr als 10% der untersuchten Fläche!

Im Verhältnis zu den rund 26.000 Einwohner:innen² von SFO gut 10 m² pro Kopf. Was für ein Potenzial solch eine Fläche hätte, würde man sie als öffentlichen Raum für Sitzgelegenheiten, Begrünung oder gar eine dezentrale Lebensmittelproduktion nutzen!

Angesichts der Tatsache, dass das Automobil noch eine recht junge Erfindung ist, ist die Frage berechtigt wovon das Stadt- und Straßenbild vorher dominiert war. Diese und andere Fragen zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung habe ich Tom Assmann gestellt.

„Eine übermäßige Bodenversiegelung hat unmittelbare Auswirkungen auf den Wasserhaushalt: Zum einen kann Regenwasser weniger gut versickern und die Grundwasservorräte auffüllen. Zum anderen steigt das Risiko zu örtlichen Überschwemmungen […].

Auch das Kleinklima wird negativ beeinflusst: Versiegelte Böden können kein Wasser verdunsten, weshalb sie im Sommer nicht zur Kühlung der Luft beitragen. Hinzu kommt, dass sie als Standort für Pflanzen ungeeignet sind. Diese fallen somit als Wasserverdunster und als Schattenspender aus.”

Umweltbundesamt³

Pary: Hallo Tom, schön dass du da bist! Hast du Lust, als Einstieg ein paar Worte zu verlieren, darüber was du beruflich machst?

Tom Assmann: Ja, gern. Hallo. Mein Name ist Tom Assmann. Ich arbeite an der Universität Magdeburg und habe dort eine Forschungsgruppe, die sich mit Fragestellungen rund um nachhaltige Logistik, urbane Logistikplanung, automatisiertes Fahren mit Fokus auf Lastenfahrrädern beschäftigt und dort immer wieder in neuen Forschungsprojekten herausarbeitet, wie zukunftsfähige, wie nachhaltige Mobilität funktionieren kann. Persönlich habe ich noch eine kleine Leidenschaft für das Thema Stadtplanung.

Meine Promotion ging um die Fragestellung, wie man Logistikplanung integriert mit Stadtplanung durchführen kann. Also das heißt sich nicht erst am Ende wundern, wenn die ganze Stadt gebaut ist, warum das mit der Logistik nicht funktioniert. Sondern die Logistik dann schon einzuplanen, wenn man tatsächlich Stadt baut. Und damit habe ich dann einen schönen Blick auf dieses Thema nachhaltige Stadt, kompakte Stadtentwicklung. Das ist auch ein Thema, das habe ich nicht erst wissenschaftlich bearbeitet, sondern das hat mich schon vorher fasziniert und auch dahingehend fasziniert, dass ich 2015 mit in der ersten Organisations-Gruppe rund um den Parking Day in Magdeburg involviert war.

Pary: Cool. Danke dir. Wovon war denn das Stadt- und Straßenbild dominiert und wie wurden Straßen genutzt, wenn nicht überall Autos geparkt haben und gefahren sind? Kannst du dazu ein bisschen was erzählen?

Tom Assmann: Also Straßen sind die Lebensachsen von Städten und Straßen sind insbesondere öffentliche Räume. Und das ist eine sehr wesentliche Unterscheidung, die immer viel zu kurz kommt, dass Straßen häufig gleich synonym gesetzt werden mit der Fahrbahn oder dem, wo sich etwas entlang bewegt. Das ist aber eine totale Verkrüppelung von Straße. Die Straße ist erstmal alles zwischen Gebäudekanten. Und das heißt das ist der Gehweg, das ist der Radweg, das sind Aufenthaltsflächen, das sind Grünflächen, das ist alles andere und auch die Fahrbahn. Und all das kann eine Straße sein und als solches ein öffentlicher Raum. Das heißt, dass sie der Allgemeinheit zur Verfügung steht für ihre Nutzungen.

Früher wurden Straßen benutzt als Aufenthaltsorte. Wenn man sich Bilder von Städten bis Anfang des 20. Jahrhunderts anschaut, dann findet man Bilder, wo Kinder auf den Straßen gespielt haben. Wo Erwachsene, heute würde man sagen, gechillt haben. Wo man sich getroffen hat, wo in den Objekten kleine Läden waren mit großer Auslage in den Straßenraum hinein, wo man sich unterhalten hat. Und die Straßen waren, neben dem das sie Aufenthaltsraum waren, Kommunikationsraum. 

Beispiel für das städtische Straßenbild um 1900. Hier in Duisburg. Quelle: http://www.zeno.org – Contumax GmbH & Co.KG

Da hat der Austausch stattgefunden darüber, was gerade passiert in einer Stadt. Wo gibt es gerade sozialen Umbruch, eine soziale Revolution oder ähnliches? Auch das hat auf den Straßen stattgefunden. Sie waren auch Auflaufort und damit ein essentieller Teil einer demokratischen Gesellschaft, für die da auch Platz war, auf den Straßen. Und Straßen sind auch immer Orte, auf denen Feste gefeiert werden und auf denen die Stadt sich selber feiert, weil sie öffentlicher Raum sind.

All diese Funktionen kommen in der modernistischen Straße, die als Gemeingebrauch durch das Straßengesetz des Bundes allein die Durchquerung und das Abstellen von Fahrzeugen hat, viel zu kurz. Und als Gesellschaft muss es unsere Aufgabe sein, im Sinne einer nachhaltigen Stadtplanung, im Sinne natürlich auch einer lebenswerten und nachhaltigen Stadtentwicklung diesen Gemeingebrauch wieder darauf zu fokussieren, dass die Straße zuallererst öffentlicher Raum ist und der Aufenthalts- und Kommunikationsraum von Menschen und danach die Verbindung und die Durchwegung kommt.

Pary: Du hast es schon ein bisschen angeschnitten: mit der Industrialisierung kamen immer mehr Autos in die Städte und begannen, das Stadtbild zu dominieren. Welche Faktoren haben denn begünstigt, dass Autos plötzlich so viel Platz gegeben wurde?

Tom Assmann: Also mit der Industrialisierung kamen insbesondere erst mal sehr, sehr viele Menschen in Städte und Städte sind enorm gewachsen. Und Städte sind verdammt dicht geworden. Was man während der Industrialisierung sehen konnte ist, dass die Stadtentwicklung noch sehr kompakt war und sich insbesondere entlang der Achsen vom ÖPNV, also den damaligen Straßenbahnen, entwickelt hat. Und das hieß aber auch, dass die Fabriken und Ähnliches mit ihren riesengroßen Schornsteinen auch überall in der Stadt standen und die Städte verdammt dreckig und häufig ziemlich unbewohnbar waren aus heutiger Perspektive. Und aus dieser Entwicklung heraus kam der Wunsch nach sauberen, nach grünen Städten. Zuerst durch die Gartenstadt Bewegungen, später mit dem Aufkommen des Fahrzeuges Auto und den 1920er, 1930er Jahre dann als Konzepte der funktionsgeteilten, funktionsgegliederten Stadt. 

Dr.-Ing. Tom Assmann arbeitet als Forschungsgruppenleiter der Gruppe „Verkehrslogistische Systeme“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Foto: Jana Dünnhaupt

So oder so ähnlich könnten Gartenstädte aussehen. Gemälde der Gronauer Waldsiedlung von Alexe Altenkirch. Quelle: Pingsjong

Das ist auch mit der Charta von Athen verbunden, wo dann gesagt wurde, die Bevölkerung muss in sauberer Luft leben – wunderbares Ziel. Muss im Grünen leben – auch wunderbares Ziel. Was sich dann aber dazu entwickelt hat, dass an der einen Ecke der Stadt alle Wohnungen waren und wirklich nur die Wohnungen. An der anderen Ecke der Stadt waren die Industrieanlagen, wirklich nur die Industrieanlagen. In der Mitte der Stadt irgendwo waren die Einkaufsorte und wirklich auch nur die Einkaufsorte. Und so hat sich ein Leitbild entwickelt, das alles weit voneinander entfernt ist und überall, egal was ich machen will, ich immer erst mal fahren muss. Und dieses Fahrinstrument war das Auto. Das ist so die eine Dimension, warum das Auto so hervorragend gefördert wurde.

Und die andere Dimension ist, dass – im Englischen sagt man dazu – Zoning. Also die Definition von Bauarealen und was man darauf machen kann. In Deutschland ist es der Bebauungsplan und der wurde massiv nur für eine Wohnform, insbesondere erst mal in den US-amerikanischen Ländern und später auch in Europa ausgerollt. Und das sind Einfamilienhäuser. Und wenn eine Stadt irgendwann aufhört, eine Stadt zu sein, sondern nur noch eine riesengroße Aneinanderreihung von Einfamilienhäusern ist. Dann gibt es dafür nur ein vernünftiges Fortbewegungsmittel und das ist das Auto. Mit dem Fahrrad sind die Strecken zu weit, mit Bussen und Bahnen kann nicht mehr sinnvoll gebündelt werden, um die Dinger voll zu bekommen, sondern es bleibt nur noch das Auto. Und das ist keine zufällige Entwicklung, sondern auch eine geplante Entwicklung. Das Einfamilienhäuser und das damit einhergehende Wohlstandsideal gefördert wurden, macht es gleichzeitig notwendig, dass Menschen immer ein Auto fahren müssen. Eine hervorragende PR-Strategie der Automobilindustrie mit einem ganz neuen Wohlstandsideal ihr Produkt zu verkaufen.

Pary: Also es ist ein Prozess, der in den 1920er, 30er-Jahren anfing und dann bis in die 50er, 60er, 70er hinein ging? Da wurden die Einfamilienhäuser dann zu einem größeren Thema als in den 20er, 30er Jahren?

Tom Assmann: Ja, also es fing dann an, aber das Einfamilienhaus als Wohlstandsideal, als Ort, wo eine Familie mit Kindern wohnt, ist immer noch ein modernes Ideal und Leitbild. Für viele, sowohl politisch wie auch individuell, wie die sich entwickeln müssen. Und das schafft immer noch auch Probleme. Und eines dieser Probleme ist, dass sieht man auch in Magdeburg: es gibt kaum sinnvolle Wohnungsangebote für Familien in innerstädtischen Lagen. Wohnungen, die mehr als vier Zimmer haben und Wohnungen, wo ich auch wenn ich Kinder habe, sage: „Ich kann meine Kinder im Hinterhof spielen lassen.“ Da stehen meist Autos oder: „Ich kann sie bei mir auf der Straße spielen lassen.“ Da wird meist mit 40 oder 60 km/h durchgedonnert. Gibt es nicht. Und die muss es aber geben. Und da braucht es einen Wandel wieder dahin, dass Wohnungen so entwickelt werden, dass sie auch für Familien geeignet sind. Und es müssen nicht auf jeder Straße überall Autos stehen. Es muss auch nicht auf jeder Straße überall das Auto durchfahren können. Es reicht die Erreichbarkeit. Das ich im Zweifel, wenn ich mal vier Bierkisten gekauft habe, schon mal kurz hinfahren kann, die abladen kann. Aber mit sieben km/h und dann fahr ich halt wieder raus und park‘ das Auto woanders hin. Und dann kriege ich auch Straßen, wo ich sagen kann: „Da können mal die Kinder spielen.“ Und dann kann ich auch als Familie da wohnen und muss halt nicht raus auf‘s Land ziehen. Und genau dieser Wandel in der Wohnungsbaupolitik ist eben auch essenziell, um eine Verkehrswende zu gestalten.

Pary: Du hast jetzt als Instrument schon angesprochen, Straßenverkehr zu beruhigen, um Straßen wieder zu Räumen zu machen, in denen man sich gut aufhalten kann, wo der Gemeingebrauch im Vordergrund steht. Welche Instrumente siehst du da noch, die wieder zurückführen könnten zu Straßen mit mehr Aufenthaltsqualität? Und welche Konzepte findest du vielleicht auch selber besonders spannend und oder vielversprechend?

Die Gartenstadtbewegung geht auf ein städtebauliches Modell des Briten Ebenezer Howard zurück. Um 1900 veröffentlichte Howard seine Ideen als Antwort auf die schlechten Wohnverhältnisse in den industrialisierten Großstädten – inklusive genossenschaftssozialistischer Konzepte. Später wurde die Gartenstadtbewegung zu einer Strömung der Stadtplanung und leistete einen Beitrag zur Entstehung des Einfamilienhauses als Ideal des Wohnens.

Die Charta von Athen wurde 1933 vom Internationalen Kongress für Neues Bauen verabschiedet. Sie fordert eine funktionelle Gliederung von Städten und beförderte u.a. das Städte autogerechter wurden.

Tom Assmann: Das Spannende an diesen Konzepten ist: An sich ist alles da, was wir brauchen. Und wenn es darum geht, im Verkehrsbereich Klimaziele zu erreichen, wenn es darum geht, im Verkehrsbereich dafür zu sorgen, dass deutlich weniger Menschen überfahren werden, wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass Kinder und Senioren sich sicher und selbstbestimmt über Straßen bewegen können, dann brauchen wir keine Technologieentwicklung mehr. Das ist das Geile.

Das Einzige, was wir brauchen, ist eine gute Planung und eine gute Planung heißt strukturiert Superblock-Konzepte umzusetzen. Superblock-Konzepte bedeutet, dass nicht mehr überall durch alle Straßen wild Autos fahren können und überall abgestellt werden können, sondern dass im Inneren von so einem Block aus mehreren Gebäuden Aufenthaltsflächen geschaffen werden. Sodass nur noch die Erreichbarkeit mit dem PKW gesichert wird, aber nicht mehr die Durchfahrung und das dann diese Blöcke miteinander verbunden werden.Und das was man dafür braucht sind Grüne Poller.

„An sich ist alles da, was wir brauchen.”

Tom Assmann

Das sind einfach schöne Grünelemente, es sind Sitzbänke, es sind viele andere Sachen, die dafür sorgen, dass ich gerne auf der Straße bin. Und das ich auf der Straße denke: „Ej ist total geil, wenn hier nicht nur Blech rumsteht, wenn deutlich weniger rumfährt, weil es dann auf einmal leiser ist, weil ich mich hier dann besser fühle und weil auch die Bordsteineabsenkungen frei sind, dass ich halt mit dem Kinderwagen oder so hoch und runter komme.“ Und all das ist kein Hexenwerk. Das ist jetzt schon umzusetzen.

Parklets können ein Beitrag leisten Straßen wieder mehr Aufenthaltsqualität zu verleihen. Sie vereinen modular Begrünung, Sitzgelegenheiten, Fahrradständer und und und. Parklet in Czernowitz, Ukrainę. Foto: Artemzhuk⁴.

Das ist sogar an sich innerhalb der Regeln der – an vielen Stellen noch behäbigen – StVO umzusetzen. Ein anderes Thema ist: Tempo 30. Ist an sich sinnvollerweise flächendeckend in Städten einzuführen. Da ist die StVO noch so ein bisschen fies dahinter. Was genauso gut gemacht werden kann, ist, dass ich eben nicht mehr in so einer großen Stadt einfach überall quer durchfahren kann. Sondern dass sich eine Stadt in Stadtteile aufteile, die ich meist eh da habe und nur noch von außen in die jeweiligen Stadtteile hinein komme. Und wenn ich mich innerhalb der Stadt bewegen will, dann kann ich das direkt mit dem Fahrrad, zu Fuß und mit dem ÖPNV, aber nicht mit dem Auto. Und das führt ganz schnell dazu, dass die Anteile dieser nachhaltigen Verkehrsmittel rapide nach oben gehen. Das hat zum Beispiel Groningen schon in den Siebzigern gemacht, Gent in den 2000ern, Brüssel jetzt gerade. Und wenn man die Menschen in Gent, Groningen und Brüssel fragt: Die wollen gar nicht mehr, dass man mit dem Auto überall durch kommt. Die sind total happy damit. Die haben am Anfang natürlich alle protestiert diese Städte. Das ging am Anfang nicht friedlich vonstatten. Aber es hat funktioniert. Und jetzt, nachdem einmal die Menschen festgestellt haben: „Das geht eigentlich viel besser.“ Ist das in den Städten fest etabliert und man braucht insbesondere auch diesen Mut von der Politik, da zu sagen: „Wir machen das. Wir setzen das um.“ Und dann stellt man fest es wird sehr schnell akzeptiert.

Pary: Das impliziert ja, dass es in den genannten Städten seit Beginn der Maßnahmen entweder weniger Autos geben müsste oder die Autos anderweitig geparkt werden. Weißt du was mit den Autos passiert ist?

Tom Assmann: Das ist differenziert zu betrachten. In Kopenhagen steigt zum Beispiel die Anzahl der Autos weiter. Hier werden die Autos aber fast nur noch am Wochenende genutzt, um in Ferienhäuser oder so zu fahren und an sich nicht mehr für den Alltagsverkehr. Aber trotzdem müssen die Dinger abgestellt werden. Was Kopenhagen aber auch macht ist, kontinuierlich den öffentlichen Parkraum zu reduzieren. Das heißt, dass zurzeit 1 % pro Jahr weniger öffentliche Parkplätze zur Verfügung stehen. Und das heißt, dass diese Parkplätze privat geschaffen werden müssen als Parkhaus oder als Tiefgarage. Und das ist schweineteuer. Und es wird, in Copenhagen können sich das recht viele Menschen leisten, aber es wird früher oder später dazu führen, dass Parkplätze teuer und Autos unattraktiver werden.

In Magdeburg beispielsweise kostet parken derzeit viel zu wenig: ca. 30 Euro im Jahr für einen Anwohnerparkausweis. Perspektivisch sollte man mehrere Hundert Euro durchaus im Monat oder im Jahr zahlen, um sich einen Parkplatz in seinem Haus zu mieten. Und dann überlegt man wirklich zwei oder dreimal, ob man dieses Auto braucht oder ob man nicht einfach das Carsharing-Auto, was es mittlerweile auch in Magdeburg in ausreichender Menge gibt, ob man das nicht nimmt für die wenigen Fahrten, wo man wirklich ein Auto braucht. Mit dem schönen Vorteil, dass bei der einen Fahrt der Kleinwagen reicht, bei der anderen nimmt man den Kleinbus oder doch den Transporter. Man hat die ganze Bandbreite von Fahrzeugen da, je nachdem was man gerade braucht. Und dadurch nicht weniger Mobilität, sondern eigentlich mehr für weniger Geld.

Pary: Mehr Flexibilität in der Mobilität. Du hast schon erwähnt, dass viele Schritte, die man gehen könnte, von der StVO abgedeckt sind und es ist mehr oder weniger eine Frage von politischem Willen. Was könnten wir denn jetzt hier auf kommunaler Ebene in Magdeburg machen – insbesondere an Maßnahmen, die besonders preiswert sind – um uns in Richtung einer autofreien Stadt zu bewegen?

Wenn du Lust hast mehr über Parklets zu erfahren, schau doch bei Parys Workshop bei Dreh deinen Kiez! vorbei. Am 16. September, 14 bis 16 Uhr, vor dem Buckauer Bahnhof.

Tom Assmann: In Magdeburg insbesondere gibt es ein ganz spezielles Problem und das Problem nennt sich Untere Straßenverkehrsbehörde. Die untere Straßenverkehrsbehörde ist die Institution, die zwar von der Stadt bezahlt wird, aber eigentlich im Bundesauftrag dafür sorgt, dass die StVO in Magdeburg umgesetzt wird. Und diese Verkehrsbehörde besteht aus alteingesessene Personalstellen. Für die gibt es nur ein legitimes Verkehrsmittel auf dieser Welt: und das ist das Auto. Und die drücken die StVO immer noch in veralteten Auslegungen, die rein auf das Auto und die Flüssigkeit des Autoverkehrs fokussieren, durch. Und das geht zu Schaden von allen anderen Verkehrsteilnehmern in der Stadt. Und was man ganz konkret in dieser Stadt zuallererst machen muss, ist genau diese Behörde personell auszuwechseln. Mit sinnvoll geschulten, modernem Personal.

Das zweite, was man machen muss, ist die Planungskapazitäten in der Stadt auszubauen, zu modernisieren und die begrenzten Finanzmittel, die die Stadt hat, rein auf den Umweltverbund zu fokussieren. Also Straßenbahn, Radverkehr, Busverkehr. Die Stadt braucht keine neuen Straßen. Sie hat genug Straßen. Besonders braucht sie keine neuen Fahrbahnen für Autoverkehr und auch keine Planungen dafür wie eine dritte Elb-Querung oder eine Ost-Umfahrung in Ostelbien. Das ist verkehrlich nicht notwendig. Hier gilt der alte Verkehrsplanungsleitsatz: „Du kriegst den Verkehr, den du baust.“ Wenn jetzt neue Fahrbahnen für Autos gebaut werden, gibt es mehr Autoverkehr. Das ist kontraproduktiv. Es muss aus wissenschaftlicher Sicht in die Richtung gehen: weniger Fahrbahn, weniger Stellplätze, mehr Radwege, ein besseres ÖPNV-Angebot, sichere Fußwege und dann klappt das auch.

Pary: Ja, das ist doch ein super Schlusswort: du bekommst den Verkehr den du baust. Danke für das Interview!

Die Stadt braucht keine neuen Straßen. Sie hat genug Straßen.”

Tom Assmann

Zu guter letzt ist das Parken auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit: Flächen mit geparkten PKWs – insbesondere im öffentlichen Raum – werden de facto zeitweise privatisiert. Vor allem für Menschen, die gar kein Auto besitzen ist das ungerecht.
Mit einer fairen, demokratischen Gestaltung von urbanen Räumen hat das nichts zu tun. Aber vielleicht lässt sich das ja ändern, denn die Stadt gehört uns allen – also sollten wir einfordern, was uns zusteht!

Zum Auftakt der Artikelserie hat Pary ein trauriges Bild des Ist-Standes in unseren Städten gezeichnet. In den kommenden Artikeln wird es etwas hoffnungsvoller: mit dem Entwurf einer Utopie, wie unsere Städte aussehen könnten und einem Artikel zu konkreten Maßnahmen für lebenswerte Städte. Bleibt gespannt!

¹: „Erhebungsgebiet“ begrenzt von Albert-Vater-Straße, Tangente, Gleise, Westring; Link zur Karte: https://www.scribblemaps.com/maps/view/SFO%20Parking/9oAIJSMfb4

²: https://www.magdeburg.de/media/custom/37_38422_1.PDF S. 35, der Stadtteil ist hier jedoch etwas größer bemessen als mein “Erhebungsgebiet” – die Nordgrenze bildet hier das Rennetal/An der Steinkuhle

³: umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung#okologische-auswirkungen

⁴: CC Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz. Keine Änderungen.