Hallo ihr Lieben, ihr seid das Achte-März-Bündnis aus Magdeburg und organisiert am 8. März einen feministischen Kampftag. Wer ist Teil eures Bündnisses? Worauf liegt euer Fokus?

Unser Bündnis besteht aus verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen aus Magdeburg, die am 8. März einen gemeinsamen Raum gestalten wollen, um sowohl ihre Wut auf das patriarchale System und dessen Folgen als auch ihre Wünsche und Forderungen für die Zukunft auf die Straße zu tragen. Unser erklärtes gemeinsames Ziel ist es, dem Patriarchat den Kampf anzusagen. Dabei liegt unser Fokus auf verschiedenen Themen, die Frauen, Lesben, trans, inter, nicht-binären oder agender Personen (FLINTA) teils seit jeher beschäftigen. Beispiele hierfür sind Gewalt gegen FLINTA, die Verteilung der Anerkennung von Haus,- und Sorgearbeit und die fortgeführte Ausbeutung im Lohnsektor. Darüber hinaus beschäftigen wir uns auch mit rassistischer Gewalt sowie den zunehmenden Unterdrückungsversuchen durch Repression gegen FLINTA und versuchen Kämpfe von FLINTA international im Blick zu haben.

Wie steht es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen? Wo seht ihr noch klaffende Lücken bzw. konkrete Verbesserungsvorschläge?

Vordergründig scheinen einige davon auszugehen, dass die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in Deutschland bereits erreicht ist und somit kein Problem mehr darstellt. Dem ist aber nicht so: Noch immer gibt es viele Baustellen, die strukturell bedingt bestehen und weiterhin verankert sind, die wir so nicht länger hinnehmen wollen und können.

Um das zu bemerken, braucht es dabei nicht zwingend tiefschürfende Analysen, sondern es reicht ein offener Blick in unser Umfeld oder auf unser eigenes Leben. Beispielsweise sind Frauen weiterhin vermehrt von Altersarmut betroffen, u. a. weil sie zu großen Teilen in schlechter bezahlten Berufen arbeiten, häufig in Teilzeit beschäftigt sind oder längere Zeit zuhause bleiben, um die Kinderbetreuung oder die Betreuung und Fürsorge für Angehörige zu leisten.

FLINTA sind am stärksten von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Pandemie wirkt hierbei wie ein Brennglas, da sie verschiedene Aspekte der Unterdrückung verstärkt und damit deutlicher hervortreten lässt. Chancen, Redeanteile und Mitspracherecht von FLINTA sind weiterhin in der gelebten Praxis nicht ausgeglichen, im Vergleich zu denen von Männern – aber um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.“ Wir leben im Patriarchat, niemand wird kommen, um uns von diesen Fesseln zu befreien – wir selbst werden sie sprengen.

Dabei erfahren einige FLINTA-Personen zusätzliche Benachteiligung, wie bspw. trans Personen, die weiterhin ständig ihren „Krankheitswert“ nachweisen müssen und noch zusätzliche Diskriminierungen in medizinischen und behördlichen Institutionen sowie darüber hinaus in ihrem Alltag erleiden müssen – um nur einige Dinge zu nennen, die wir problematisieren. Wir sehen hier konkreten Handlungsbedarf, wie beispielsweise den Ausbau von Hilfs- und Unterstützungsstrukturen sowie das Schaffen öffentlicher Räume für FLINTA-Personen und die solidarische Organisierung von FLINTA, worauf wir am 8. März eingehen werden.   

Mit welchen Forderungen werdet ihr am 8. März auf die Straße gehen?

Für uns als Bündnis ist der 8. März ein Tag, an dem wir an die historischen, feministischen Kämpfe anknüpfen und sie mit aktuellen feministischen Kämpfen zusammenbringen und sichtbar machen wollen. Daher wollen wir allen FLINTA-Personen auf unserer Demo Raum für ihre Wut auf das Patriarchat und die daraus resultierenden Forderungen geben. Wir als Bündnis legen den Fokus in diesem Jahr auf drei Bereiche:

Zum einen thematisieren wir Gewalt gegen FLINTA und fordern die Ausfinanzierung von Beratungsstellen, aber auch grundlegend ein Ende dieser Gewalt und deren Verharmlosung. Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei dieses Jahr auf Transfeindlichkeit und das Gedenken an Ella, die Ende vergangenen Jahres Suizid beging, nachdem sie über Jahre hinweg als trans Frau und als Geflüchtete Diskriminierung erfahren hat. Wir wollen an Ellas Kampf erinnern und sie ebenfalls nicht in Vergessenheit geraten lassen. 

Ein weiteres Thema wird Gesundheit und Care-Arbeit sein. In der Pandemie wurde deutlicher denn je, welche Folgen es hat, wenn Gesundheit dem freien Markt unterliegt. Insbesondere FLINTA haben diese Folgen spüren und schultern müssen. Wir fordern daher u. a., das Gesundheitssystem dem freien Markt und der Profitlogik zu entziehen. 

Außerdem wollen wir auf den Rassismus im Alltag – wie in seiner institutionalisierten Form – und auf die Praxis der Abschiebung aufmerksam machen und diese scharf kritisieren. Wir mussten dieses Jahr auch beobachten, dass verstärkt FLINTA staatlichen Repressionen ausgesetzt wurden. Uns ist es wichtig, uns ganz klar mit den von Repression Betroffenen zu solidarisieren und im Zeichen internationaler Solidarität auch für all jene zu kämpfen, die in diesem Jahr leider nicht selbst mit uns auf die Straße kommen können – wie unsere Genossin María, die vor wenigen Monaten des Landes verwiesen wurde und ein langjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot für Deutschland erhielt.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für FLINTA? Wie können FLINTA in der Pandemie stärker entlastet werden?

Die Pandemie hat Frauen und Mütter besonders belastet. Das wird sowohl deutlich, wenn wir mit den Frauen in unserem Umfeld sprechen und ist zusätzlich mehrfach in Studien belegt. Die Belastungen resultieren dabei aus verschiedenen verkrusteten Strukturen wie die fehlende Anerkennung von Haus- und Sorgearbeit, die insbesondere während der Pandemie für eine noch stärkere Beanspruchung von Frauen und Müttern gesorgt hat. Die Schließung der Schulen und Kindergärten sowie die Verlagerung der Kinderbetreuung und Beschulung, aber auch die Pflege von Angehörigen, hat zu noch mehr Familienarbeit für Frauen geführt, die einem Vollzeitjob gleicht. Ein Vollzeitjob, der „unsichtbar“ neben der regulären Erwerbsarbeit, ob im Homeoffice oder am Arbeitsort, läuft und einmal mehr von Politik und Gesellschaft zur „Privatsache“ gemacht wurde.

Das führt sowohl zu gesundheitlichen Problemen als auch zu mehr partner*innenschaftlichen Konflikten. Insbesondere während der Kontaktsperren stieg zusätzlich die Gefahr für Frauen von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Dabei hat die Pandemie keine dieser Problemlagen hervorgebracht, vielmehr hat sie die Probleme verschärft und den Schleier das „Alltagstrotts“ gelüftet und gezeigt, wofür wir als FLINTA bereits seit Jahren und Jahrzehnten auf die Straße gehen. Wenn wir also danach fragen, wie wir Frauen und Mütter in dieser Zeit stärken können, wird klar, dass die Strukturen, wie sie sind, umgestoßen werden müssen und so einfach nicht länger tragbar sind. Wir brauchen eine Anerkennung von Haus- und Sorgearbeit sowie Unterstützungsstrukturen, um diese Frauen und Alleinerziehende zu unterstützen und mehr Anlaufstellen für Frauen und FLINTA, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Genauso benötigen wir eine Stärkung und Anerkennung von sogenannten „Frauenberufen“, die in der Pandemie als systemrelevant gelabelt wurden, aber seitdem nicht mehr bekommen haben als einen Applaus. Ob an der Supermarktkasse, im Bildungswesen und Kindergärten oder natürlich auch in der Pflege, keine von diesen Berufsgruppen, keine von diesen Frauen, kann von Applaus alleine Leben. Daher gehen wir auch in diesem Jahr wieder auf die Straße, um uns gegen die Ausbeutung und Unterdrückung aufzulehnen und entsprechende Änderungen zu fordern.

Blicken wir über den eigenen Tellerrand, ist die Lage von FLINTA zum Beispiel in Afghanistan oder in Kriegsgebieten wie der Ukraine aktuell mehr als dramatisch. Wie können wir uns für FLINTA in diesen Ländern einsetzen?

FLINTA in Kriegsgebieten sind besonders gefährdet und brauchen unsere Solidarität. Wir im Westen sind nicht frei von Verantwortung. Das Mindeste, was wir tun können und müssen, ist es, die Kämpfe unserer Schwestern auf die Straße zu tragen und ihnen damit eine Öffentlichkeit abseits der medialen Berichterstattung zu geben. Kriege und kriegsähnliche Zustände sind seit jeher Treiber von geschlechts- bzw. genderspezifischen Ungleichheiten und zeigen immer wieder, dass insbesondere FLINTA und Kinder Leittragende dieser Machtkämpfe sind. In Kriegen sind sie noch häufiger von sexualisierter Gewalt, Verschleppung und anderen Gewaltformen betroffen.

Für uns gibt es verschiedene, auch niedrigschwellige Möglichkeiten die Menschen in den betroffenen Gebieten, Fluchtwege, Unterkünfte und andere wichtige Aspekte zu unterstützen, beispielsweise durch direkte Hilfen als Freiwillige, aber auch durch Geldspenden an bestehende Gruppen und Organisationen. Auch die Themen, Forderungen und Problemlagen der Betroffenen zu teilen und sichtbar zu machen, kann Hilfe bedeuten – also möchten wir euch am 8. März auch dazu aufrufen. Nutzt den 8. März, um eure Wut über die ungeheuren Geschehnisse lautstark auf die Straße zu bringen!

Danke für das Gespräch und einen erfolgreichen Protest.