Annemarie Kock, Nachwuchsautorin aus Stendal, trägt ihre Kurzgeschichten vor, obwohl alle Lichter aus sind. Ihre Zuhörer*innen sitzen bei der Lesung im Moritzhof am 12. Oktober nämlich im Dunkeln. Keiner kann die Hand vor den Augen sehen und dann fängt Annemarie Kock an zu lesen. 

Die 33-Jährige ist blind. Sie braucht kein Licht, um ihre selbstgeschriebenen Geschichten zu lesen, dafür hat sie ihre Braille-Zeile, die die Zeichen auf ihrem Laptop in Blindenschrift übersetzt. Und so wirken ihre Worte in der Dunkelheit für die Besucher*innen noch intensiver. Annemarie Kock berichtete im Rahmen der Woche des Sehens des Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen Anhalt e.V. davon, wie es ist, als blindes Kind aufzuwachsen, vom Heimweh und seltsamen Gerüchen, von umgestoßenen Gläsern, Kassetten-Bestimmern und Menschen, die über aber nicht mit ihr sprechen. So wurde ein Zoobesuch schnell zur beliebten Anekdote in der Familie, weil Annemarie Kock anstelle eines Kamels eine fremde Frau streichelte. Und auch bei der Erinnerung daran kann die Stendalerin sich ein Lachen nicht verkneifen. Ebenfalls für Lacher sorgte die Abrechnung der Nachwuchsautorin mit ihren Mitmenschen, wenn es um Ansprachen geht. So unterteilte sie grob in die Menschen, die in der dritten Person mit ihr reden, in „Dutzer*innen“, in „Durch-mich-hindurch-Redner*innen“ und „Ignorierer*innen“.

Die ganze Lesung über ließ Annemarie Kock keinen Zweifel daran, dass sie nicht um ihr Augenlicht trauert. Im Gegenteil: „Was ich nicht kenne, kann ich auch nicht vermissen“, sagt die 33-Jährige. Und so lässt sich sich auch nicht davon bremsen, schreibt nicht nur Texte, sondern auch Songs und nimmt diese für ihren YouTube-Kanal Anne X auf.

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Außerdem hat sie Rehapsychologie studiert und arbeitet in der Beratungsstelle „Blickpunkt-Auge“ in Stendal. Im Februar diesen Jahres hat Annemarie Kock auf Anraten ihrer Reha-Trainerin damit angefangen, kurze Texte zu schreiben, die sie nun der Öffentlichkeit präsentierte. Wenn es nach der 33-Jährigen geht, bleibt es nicht die letzte Lesung, die sie vorbereitet hat. Sie fände es schön, wenn sich solche Veranstaltungen öfter realisieren lassen.

Von ihrem musikalischen Talent durften sich die Gäste der Dunkellesung im Moritzhof dann auch noch überzeugen. Mit ihrem Song „Weißt du noch“, begleitet durch Martin Weigert, der auch zwischen ihren Texten einige beeindruckende Flötenmelodien erklingen ließ, entließ sie ihre Gäste aus der dunklen Hofgalerie in die plötzlich so hell erscheinende Nacht.