Der Spielplatz am Hassel. Metall, Holz und Seil. Aufgeladen mit Fantasien. Er selbst, ein Gentlemen, der nicht nach dem Alter. Eine Begegnung, meist spontan. Die Anziehungskraft, seine Stärke. Ruhepol und Abenteuer. Eine Parallelwelt. Nimmerland. Nicht nur für diejenigen, die für die Bars am Hassel noch zu jung sind.

Die Frau in blau. Auf der Suche nach Stille und einem Ort für sich. Magnetisch angezogen vom Spielplatz. Sie weiß nicht genau wo sie hinwill. Aber sie folgt den Kräften des Spielplatzes, der sich hinter Büschen und Zaun versteckt. Dort angekommen stoppt sie. Ihre dunklen Jeans. Der dunkelblaue Parker und der schwarzen Schal, der den Großteil ihres Gesichtes verhüllt. Dabei ist es gar nicht so kalt. Anonym vermummt.

© Hannah Buers

Das Gelände ist riesig. Ein gigantisches Spinnennetz aus blauen Stricken, in dem sich kleine schwarze, kugelartige Höhlen befinden. Ein riesiger Holzturm, um den sich vier eiserne Rutschen ranken. Ein Trampolin. Ausgestorben. Keine Kinder. Zum spielen ist das Metall der Rutschen bereits zu kalt. Trotz, oder gerade wegen dieser Leere, ist dieser Spielplatz magisch. Die Frau in blau stellt ihre große, grüne Einkaufstüte ab, die wie ein Klotz an ihrem, durch das Tragen, fast leblosen Arm hängt. Sie geht zu zwei kleineren Netzen, die wie gigantische Hängesessel wirken, in der Ecke des Spielplatzes. Sie lässt sich fallen, so wie ein kleines Mädchen sich in den Ohrensessel ihres Opas fallen lässt. Die Frau in blau beginnt zu schaukeln. Gedankenverloren. Hin und Her. Nur so weit, wie es die straffen Seile des Netzes zulassen. Sehnsüchtig blickt sie über das verlassene Gelände und betrachtet die Spielgeräte. Einzeln. Als würde sie darüber nachdenken, was sie tun würde, wenn sie nochmal ein Kind wäre.

Vergessen, wie ihre großen, braunen Augen und ihre leicht buschigen Augenbrauen fast schon verschwinden in den tiefen Falten ihrer Stirn. Blass, der eigentlich braune Teint, während grau durch die blondierten Strähnen schimmert. Ein Mann versucht, mit ihr zu reden. Ein Gespräch kommt nicht zu Stande. Beide gehen mit ernster Miene zu Bänken am Eingang des Spielplatzes. Sie blättern nacheinander durch ein Lidlprospekt. Immer wieder sagt der Mann etwas. Die Frau in blau greift zum Handy. Nutzt dieses, um Gespräche zu vermeiden. Ein Blick, Nägel gecheckt, voll Sehnsucht nach dem Alleinsein. Griff zum Einkaufsbeutel. Der Mann erhebt sich. Auch die Frau in blau steht auf. Nebeneinander verlasen sie den Spielplatz. Nicht gemeinsam, jeder für sich. Immer noch belastet, auch ohne Tüte, die ihr abgenommen wurde. Ein letztes Mal dreht sie sich um. Wehmütig, aber erstmals zufrieden lächelt die Frau in blau dem Turm mit den Rutschen zu.

Die groben, blauen Stricke der sesselartigen Hängenetze in der Ecke des Spielplatzes sind mit Moos bewachsen. Die Knoten der Seile drücken gegen Wirbelsäule und Schulterblätter. Die Metallnieten, die die einzelnen Stricke zusammenhalten, sind kalt. Gänsehaut. Automatisches Schaukeln.

Ein Mädchen, nicht älter als vier. Rosa Daunenjacke. Eingepackt wie Zuckerwatte. Die Ärmel, noch zu lang. Der große Holzturm, ihre Festung. Dort ist sie gefangen wie Rapunzel. Die Rutschen, wenig einladend. Das kalte Metall, bedrohlich. Schnell zur H.ngebrücke. Durchkämpfen zum anderen Turm. Konzentration. Zurück zur Erde zu gelangen, aussichtslos. Wieder über die Hängebrücke. Vorsichtiges herantasten an die Rutsche. Den ganzen Mut zusammengenommen. Das rosa Marshmallow-Mädchen rutscht. Aufgefangen von der Mutter. Halb so schlimm. Alles direkt noch einmal. Griff nach dem Strick, um sich auf den Turm zu kämpfen, als wäre es die Reling eines Schiffes und sie eine Piratin. Spagat von einer Stufe auf die Nächste. Wieder zur Rutsche. Doch niemand da zum auffangen. Nervosität. Wie eine Löwin umkreist das rosa Marshmallow-Mädchen den Turm und hält Ausschau nach der Mutter. Zähne zusammengebissen. Wieder Gerutscht. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Schnell noch den Sand von den Stiefeln klopfen. Es ist kalt. Durch die Luftfeuchtigkeit sind die blauen, mit Moos bewachsenen Stricke der sesselartigen Hängenetze klamm. Die Metallnieten, die die einzelnen Stricke zusammenhalten, noch kälter. Brennende Knochen. Automatisches Zittern.

Die beiden Turteltauben scheint das nicht zu stören. Ineinander verschmolzen, wie Spatzen im Februar. Ihnen ist warm. Alles um sie herum vergessen. Nur noch er und sie. Ihr rosa Kaputzenpulli. Ihre helle Jeans, hochgekrempelt. Die noch leicht gebräunten Knöchel lassen die weißen Turnschuhe leuchten. Verzaubert von seine kurzen braunen Haaren. Seine Jacke, offen. Die Jeans, durchlöchert. Sie hat den Kopf auf seiner Schulter. Die Beine über seinen Beinen. Er hat nur Augen für sie. Ein Kuss auf die Stirn. Sie streichelt liebevoll seinen Arm. Kurzer Kuss. Längerer Kuss. Die Zeit steht still. Sie richtet sich auf. Ihr langes braunes Haar weht im Wind. Die beiden sitzen nebeneinander. Schüchtern blickt sie ihn an. Schüchtern schaut er zurück. Er nimmt sie in den Arm. Sie streichelt seinen Kopf. Wange an Wange. Ein kurzer Kuss. Sie lehnt sich wieder an seine Schulter. Ein tiefer Blick in die Augen. Unsicherheit trotz Vertrautheit. Als würden die Turteltauben wissen, dass wenn die Blätter im Frühjahr sprießen, sie nicht mehr gemeinsam auf der Bank sitzen werden.

Es ist dunkel. Die blauen, mit Moos bewachsenen Stricke der sesselartigen Hängenetze, mit Reif vernetzt. Die Metallnieten, die die einzelnen Stricke zusammenhalten, angefroren. Der Atem sticht in der Lunge. Schaukeln nicht möglich.

Fremde Stimmen. Lautes Lachen. Schon von weitem sind sie zu hören, die Schatten der Nacht. Sie nähern sich dem Spielplatz und marschieren direkt zur Bank. Sie auf dem Mülleimer und Verschwinden in der Dunkelheit. Sie reden. So laut, dass jeder kann sie hören kann. Hauptthema: Fußball. Details verschluckt vom nasskalten Nebel. Eigentlich interessiert es hier niemanden. Ein Schatten schwebt in den Himmel. Er sinkt wieder herab. Ein zweiter Schatten erhebt sich Richtung Himmel. Sie wippen. Quietschende Federn. Ein weiterer Schatten auf dem Trampolin. Der Spieplatz bei Nacht Foto: Buers Durcheinander. Spontan spielen sie Fangen. Sicherheit bietet das riesige Spinnennetz. Die schwarzen Kugeln sind Klipp. Die Schatten erklimmen den Gipfel des Netzes. Für Kinder viel zu hoch. Für jugendlichen Leichtsinn, genau richtig. Immer wieder der Blick zur Bank. Keiner möchte Montag in der Schule erzählen müssen, dass am Wochenende nichts ging, weil der Sixer V+ Energie geklaut wurde. „Direkt am Hassel ist viel zu viel los.“ , sagt einer der Schatten, der erst 18, dann doch erst 16 ist. „Hier können wir uns in Ruhe unterhalten und die Polizei steht hier auch nicht“. Warme Bars. Überbewertet. Kalt ist Bier schließlich am besten. Der Spielplatz, ein Zufluchtsort für die kindlichen Schatten die so gerne Erwachsen sein möchten

Es friert. Die blauen, mit Moos bewachsenen Stricke der sesselartigen Hängenetze, hart. Die Metallnieten, die die einzelnen Stricke zusammenhalten, wie Nägel. Alles taub. Zittern statt schaukeln.

Von Hannah Buers

© Felix Bergemann