Zwei Männer liegen in einem Bett.

v.l.n.r. Paul Sketris, Dogukan Kuran © Andreas Lander

Triggerwarnung: Der folgende Artikel thematisiert u.a. Sterben und Tod.

Wie über das Sterben sprechen? Über den Verlust eines geliebten Menschen? Über die Angst vor dem eigenen Tod? Wie können wir über etwas sprechen, über das nur zu gerne geschwiegen wird?
Das Theater Magdeburg bricht mit dem Schweigen und möchte mit einer neuen Musiktheaterproduktion jungen Zuschauer:innen den Tod und das Sterben auf eine sinnliche Weise näherbringen. Hierfür lernen wir die drei alten Männer Dietrich, Lothar und Oliver kennen. Sie leben schon lange zusammen, tagein, tagaus, die gleichen Routinen. Doch an diesem Morgen passiert etwas Unvorhergesehenes. Ein Brief erreicht die drei und verkündet ihr Ableben mit dem nächsten Tag.

    »Heute ist der letzte Tag. Euer Leben ist aus. Alle Tage sind verbraucht. Da kann man nichts dagegen tun. Die allerbesten Grüße.« (Auszug aus „Drei alte Männer wollten nicht sterben“)

„Drei alte Männer wollten nicht sterben“, so der Titel einer Kinderoper des niederländischen Komponisten und Sängers Guus Ponsioen, die seit dem 13. Januar 2023 auf der Podiumsbühne im Opernhaus für Menschen ab 6 Jahren gezeigt wird. Beim Betreten der Podiumsbühne entsteht der Eindruck, die Zeit wäre stehen geblieben. Blumentapete, Holzmobiliar und das Spitzentuch auf dem Tisch – angelehnt an den Einrichtungsstil der 60er Jahre schafft Bühnenbildner Eugen Friesen einen Raum voller Charme, Wärme und Vertrautheit wie zu Zeiten der (Ur-) Großeltern. Über dem Bett drei Uhren, ihre Zeiger laufen rückwärts. Hinten im Raum drei Toiletten, beim Aufklappen der Toilettendeckel kommen bunte Blumengestecke zum Vorschein. Bühne und Kostüme (Benjamin Traut) sind farbenfroh, mitunter von Absurdität geprägt, und stehen im Kontrast zu der mit dem Tod häufig assoziierten Dunkelheit und Tristesse. Bühnen-, Orchester- und Zuschauer:innenraum werden eins. Auf Sitzkissen (oder auf einen der wenigen Stühle in der obersten Reihe) nehmen die Zuschauer:innen in der Wohnung der drei alten Männer Platz. Unmittelbar neben diesen spielen drei Musiker:innen der Magdeburgischen Philharmonie am Schlagwerk, Keyboard und Kontrabass. So wird Musiktheater erfahrbar wie selten zuvor und schafft einen intimen Rahmen für die Erzählung.

Drei Männer. Einer hält einen Brief in der Hand.

v.l.n.r. Manfred Wulfert, Paul Sketris, Dogukan Kuran © Andreas Lander

Aber wie geht es denn nun nach dem Brief weiter? Dietrich, Lothar und Oliver halten den Brief für einen schlechten Scherz, verfassen ein Antwortschreiben, dass daraus nichts wird und nageln den Briefkastenschlitz zu. Zum Sterben sind alle drei noch nicht bereit. Schließlich wollen sie noch auf Kamelen reiten, gegen Piraten kämpfen und auf Berge klettern. Es ist bemerkenswert, was für eine kindlich enthusiastische, gar überbrodelnde Energie zu spüren ist, wenn die drei auf ihrem Bett herumhüpfen oder mit einem zum Schwert deklarierten Regenschirm den Tisch hinaufsteigen. Die Traumreisen enden mit dem ersten Schmerz im Rücken und einem Stechen im Brustkorb. Sie erkennen, dass ihre Körper diesen Abenteuern nicht mehr gewachsen sind. Dennoch, ewig leben können sie doch auch in aller Ruhe und im Bett liegend. Bloß keine weiteren Anstrengungen.

Nach und nach umschleicht sie doch die Sorge des baldigen Ablebens. Selbst die Lust auf eine schöne Tasse Tee vergeht ihnen bei dem Gedanken, sich daran verschlucken und ersticken zu können. Als es an der Tür klopft, verstecken sie sich lieber unter der Bettdecke, könnte sie doch der Tod in Form einer Bombe, einer Giftschlange oder eines hungrigen Löwen auf der anderen Seite erwarten. Diese gesteigerten, mitunter irrationalen Ängste geben den Figuren wiederum kindliche und impulsive Wesenszüge. Mögen diese auf der einen Seite gar schon komisch wirken, so empfinden wir Mitgefühl mit ihnen und möchten sie gerne in den Arm nehmen.

Drei Männer sitzen an einem Tisch. Einer hält einen Brief in der Hand.

v.l.n.r. Manfred Wulfert, Paul Sketris, Dogukan Kuran © Andreas Lander

Manfred Wulfert als Oliver, Doğukan Kuran als Dietrich und Paul Sketris als Lothar überzeugen durch ein leichtfüßig humorvolles und sympathisches Spiel, verlieren dabei aber nie den Respekt gegenüber dem Tod aus den Augen. Dies zeigt sich beispielsweise in ihrem Trauerlied um die zerbrochene Teekanne. Was für die drei die Teekanne ist, kann für andere das Lieblingsstofftier sein, das verloren geht, das Familienerbstück, das zu Bruch geht, vom Tod geliebter Tiere und Menschen ganz zu schweigen. Abschied nehmen zu müssen, ist ein höchst individueller, oft aber schmerzhafter Prozess. Wir sehen uns Erinnerungen gegenübergestellt und blicken fragend in die Zukunft. Wie kann es weiter gehen?

Nun lässt der Brief sie nicht mehr los. Was, wenn das heute wirklich der letzte Tag ihres Lebens ist? Können sie wenigstens auf ein erfülltes Leben zurückblicken? Wie fühlt sich Sterben wohl an? Was wird aus einem nach dem Tod?
Die Inszenierung nimmt sich dieser Fragen an, ohne den Anspruch zu verfolgen, allgemeingültige Antworten darauf geben zu wollen. So wie Oliver, Dietrich und Lothar ihre unterschiedlichen Vorstellungen über das Sterben und den Tod haben, so lässt uns die Inszenierung den Raum, uns unsere eigenen Gedanken durch den Kopf gehen zu lassen und zu verfolgen.

Drei Männer auf einem Tisch. Darauf ein Gardarobenständer mit einer Piratenflagge.

v.l.n.r. Manfred Wulfert, Dogukan Kuran, Paul Sketris © Andreas Lander

Rebecca Sophie Mayr, die mit dieser Inszenierung ihr Regiedebut am Haus feiert, und ihr Team schaffen eine bedächtliche und einfühlsame Annäherung an ein Thema, über das gerne geschwiegen wird, das Unbehagen auslöst und gefürchtet wird. Doch der Tod gehört zum Leben dazu, ob wir es wollen oder nicht, und es ist in Ordnung, Angst vor ihm zu haben, genauso wie es in Ordnung ist, ihm mit etwas Leichtsinn und Humor entgegenzutreten. Dies anzuerkennen, ist sicher nicht einfach, auch unsere Protagonisten durchlaufen hierfür verschiedene Phasen, beginnend bei der Verleugnung dessen über Zorn und Depressionen bis hin zur Zustimmung. Zum Ende des Stückes packen sie ihre wertvollsten Sachen zusammen, ziehen sich ihre besten Anzüge an und begeben sich dann gemeinsam zu ihrem Bett, wo sie sich für ihren Abschied bereit machen.

    »LOTHAR So. Jetzt sind wir bereit. Mach den Briefkastenschlitz wieder auf.
    OLIVER Juhu! Hol uns, wenn du dich traust!«
    (Auszug aus „Drei alte Männer wollten nicht sterben“)

Dennoch keine schwermütige oder düstere Szenerie. In der besuchten Vorstellung wurden auch von den kleinsten Zuschauer:innen keine Tränen vergossen, stattdessen folgten alle gespannt dem Geschehen. Nicht zuletzt die schwungvolle und farbenfrohe Musik unter der musikalischen Leitung von Tamás Molnár greift den feinen Humor der Erzählung auf und schenkt Frohsinn. Manfred Wulfert, Doğukan Kuran und Paul Sketris singen mit vollem Einsatz und stimmlicher Präzession. Dank der einmaligen Nähe zu den Musiker:innen und Sänger:innen fällt es leicht, dem gesungenen Text zu folgen, was bei Opern auf großen Bühnen mit voller Orchesterbesetzung nicht immer der Fall ist. Insbesondere Menschen, die bislang wenige bis keine Berührungspunkte mit dem Genre der Oper hatten, dürften hier einen geeigneten Zugang finden.

Drei Männer hocken vor und auf einem Bett.

v.l.n.r. Manfred Wulfert, Paul Sketris, Dogukan Kuran © Andreas Lander

In knapp nur einer Dreiviertelstunde eröffnet uns diese sehenswerte Neuproduktion eine besonders wertvolle und zudem musikalisch sehr reizvolle Perspektive auf das Leben und Sterben. Kindgerecht, aber keineswegs kindlich, wird ein gesellschaftliches Tabuthema aufgegriffen, überzeugend und professionell für die Bühne bearbeitet und kann Zuschauer:innen aller Altersgruppen zum Nachdenken anregen.
Neben einem Programmfolder, der kostenlos an der Garderobe ausliegt, bietet das Theater ein Begleitmaterial mit Anknüpfungspunkten für Gespräche, Anregungen für den Schulunterricht und Literaturempfehlungen kostenlos zum Download auf der Homepage an.

Die Kinderoper „Drei alte Männer wollten nicht sterben“ steht vorerst bis April dieses Jahres auf dem Spielplan. Alle Informationen zu dem Stück, den Spielterminen und weiteren für Kinder und Familien empfohlenen Produktionen findet ihr auf der Website des Theaters Magdeburg.

Drei Männer sitzen auf einem Bett.

v.l.n.r. Paul Sketris, Dogukan Kuran, Manfred Wulfert © Andreas Lander