Georg Kaiser schrieb „Gas“ 1918. Es ist kein Wohlfühlstück, sondern bereitet Unbehagen und fordert die Zuschauenden heraus in seiner Ästhetik sowie Handlung. Der expressionistische Dramatiker legte in “Gas” die Zusammenhänge von Fortschritt, Kapital, Arbeit auf der einen und Vernichtung auf der anderen Seite offen. 1878 in Magdeburg geboren, wuchs Georg Kaiser nicht nur in Klassenkämpfe hinein, sondern auch in Reformbestrebungen der Überwindung des Radikalkapitalismus zu einem Kapitalismus „mit menschlichem Antlitz“.  

Das Stück wird aktuell im Magdeburger Schauspielhaus gezeigt.

Ästhetik

Das Bühnenbild ist schnörkellos, geradlinig mit wenigen Requisiten. Sachlich. Es werden ästhetische Bilder geschaffen.

Handlung

In einer Gasfabrik legt eine gewaltige Explosion das Gaswerk lahm. An der Figur des Ingenieurs entzündet sich der Streit um die Konsequenzen. Die Leitung, hier stehend für die Elite, möchte den Vorfall untersuchen und herausfinden, wodurch es dazu kam, damit er für die Zukunft solche Geschehnisse vermeiden kann. Er scheint zwischen kapitalistischem Schinder und Menschenfreund zerrissen. Der Staat jedoch möchte, dass weiterhin Gas erzeugt wird, um das System am Laufen zu halten und die Gesellschaft zu versorgen. Auch die Belegschaft, im ungebrochenen Technikglauben, will die Produktion so schnell wie möglich fortsetzen.

Problematik

Der Ingenieur kann nicht herausfinden, wie es zu der Explosion kam, da seine Berechnungen richtig sind. Der Staat definiert ihn als den Schuldigen und glaubt das Problem damit gelöst. Die Menschen können weiter arbeiten, jedoch ist für den Fabrikanten die Gefahr noch nicht gebannt und er weigert sich, das Leben der Arbeiter*innen aufs Spiel zu setzen.

Man sucht nach dem Schuldigen, und man glaubt, ihn im Ingenieur gefunden zu haben. Doch die von diesem entwickelte Formel für die Gasproduktion hält allen Überprüfungen stand. Oder besser: Die Formel stimmt – und sie stimmt nicht. Sie stimmt, weil nach dem Stand von Wissenschaft und Technik keine bessere Formel möglich ist. Sie stimmt nicht, weil diese nach menschlichem Ermessen bestmögliche Formel das Restrisiko einer Gasexplosion nicht ausschließen kann. 

Der Werkleiter scheint der einzige der Akteure, der durch die Katastrophe in eine Sinnkrise gestürzt wird. Er will die Arbeiter zur Umkehr bewegen, zurück zum einfachen, naturnahen Leben, ohne Gasproduktion. Ingenieur, Militär und Regierung drängen hingegen für den Wiederaufbau des Werks, für die Fortsetzung der Produktion „alten Systems“ – und die Arbeiter folgen ihnen. Sie wissen zwar, auf was sie sich einlassen, auf eine Produktion nämlich, die, wie es im Drama wörtlich heißt, „von Explosion zu Explosion“ fortschreiten wird. Doch das Bekannte, und sei es noch so erschreckend, erscheint den Betroffenen allemal akzeptabler als mit dem Sohn des Milliardärs in unvertraute Gefilde aufzubrechen. Für sie, so scheint es, besteht die eigentliche Katastrophe nicht in der verheerenden Explosion, sondern in dem durch die Explosion verursachten Stillstand der Produktion.

Fazit

Der Konflikt zwischen dem Wohl des Einzelnen und dem Vorankommen der Gesellschaft als Ganzes existiert damals wie heute. Ein Problem, dass sich durch Kompromisse oder einen verantwortungsvollen Umgang miteinander beheben ließe. Dabei kommt es auf jede:n einzelne:n an. Kaiser entwickelt ausgehend von der zerstörerischen Kraft von Gas eine Utopie, die den Menschen bzw. das Individuum in den Mittelpunkt rückt. 

Fotos: Lorenz Krieger / Dorothea Tuch