
Auf dem Werder weht frischer Wind – Wie aus dem Theater an der Angel das Insel Theater wurde
In einer alten Villa, halb verfallen, mit Regen im Dachstuhl und Einschusslöchern in der Fassade, beginnt im Sommer 2001 ein Theaterabenteuer, das heute ein neues Kapitel schreibt. Die Geschichte des Hauses – der Zuckschwerdtsche Villa – in der Zollstraße 19 ist nicht nur die Geschichte eines Theaters – sondern auch die eines sanften, klugen Generationswechsels. Damals waren es Ines Lacroix und Matthias Engel, die als freie Theaterkompanie „Theater an der Angel“ in der Ruine eine Bühne sahen – und sich den Ort wortwörtlich erspielten. Was als einmaliges Sommerprojekt begann, entwickelte sich zu einer festen Spielstätte in Magdeburgs Theaterszene: eigenständig, liebevoll schräg, mit großer Nähe zum Publikum.
Zwei Jahrzehnte später stehen zwei neue Gesichter im Rampenlicht: Anne und Frank Struve – keine Fremden, sondern Menschen, die das Theater von innen kennen, durchlebt haben, mit aufgebaut haben. Frank ist seit 2003 dabei, hat fast jede Produktion technisch oder künstlerisch begleitet. Anne kam 2011 dazu, spielte ihre ersten Rollen auf dieser Bühne, entdeckte hier ihr Talent – und blieb. Für beide war das Theater kein Arbeitsplatz, sondern ein Zuhause. Als klar wurde, dass sich das „Theater an der Angel“ zurückziehen würde, war für Anne und Frank ebenso klar:
Dieser Ort darf nicht verstummen.
Doch sie wollten nicht einfach übernehmen – sie wollten gestalten. Mit ihren Ideen, ihrer Energie, ihrer Lebensrealität. Und so wurde aus dem Theater an der Angel das Insel Theater Magdeburg. Wir haben mit Anne Struve über ihre Arbeit und die Veränderungen gesprochen:
Eine Ruine wird zur Bühne – Wie alles begann
Seit wann gibt es das Theater an diesem Ort und welche Highlights oder Wendepunkte gab es in der Geschichte des Hauses?
Erstmals wurde die Zuckschwerdtsche Villa 2001 bespielt. Damals war die kriegsversehrte Ruine stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach der Wende stand sie einige Zeit leer – Fensterscheiben waren eingeschlagen, es regnete rein, ein Wrack.
„Oh toll, die perfekte Kulisse für ein Theaterstück!“, dachten sich Ines Lacroix und Matthias Engel, die schon seit 1991 mit ihrem „Theater an der Angel“ durch die Lande zogen, als sie die Möglichkeit bekamen, hier ein Sommertheaterstück zu inszenieren.
So brachten sie „Das Gespenst von Canterville“ auf die Bühne. …also, die Bühne mussten sie vorher noch in das Haus einbauen. Und das Haus so umbauen, dass überhaupt eine Bühne und alles, was ein Theaterabend verlangt, Platz fand.
Was folgte, hätten sich die beiden damals nicht träumen lassen: Die Spielstätte, die eigentlich nur für einen Sommer in ihrer Obhut lag, wurde ihnen zur Miete überlassen. Sie etablierten dort ein charmantes und beim Publikum beliebtes Theater, das aus der Stadt gar nicht mehr wegzudenken ist.
Ein neuer Name, ein neues Kapitel – Warum aus der Angel eine Insel wurde
Was war der Grund für die Umbenennung von „Theater an der Angel“ zu „Insel Theater Magdeburg“? Gibt es eine besondere Story hinter dem neuen Namen?
Das „Theater an der Angel“ war eine Theaterkompanie, bestehend aus Ines Lacroix und Matthias Engel, die seit 1991 ohne festen Spielort Theater machte. Erst 2001 begannen sie, das Haus in der Zollstraße 19 zu bespielen. Sie etablierten es als Spielort. Von nun an galt das Haus als „Theater an der Angel“, aber eigentlich sind es seine Spieler*innen.
Als das Theater an der Angel seinen Betrieb aufgab und wir die Spielstätte übernahmen, stand es gar nicht zur Debatte, dass wir den Namen übernehmen – weil ja die Menschen, die Kompanie das „Theater an der Angel“ ist und nicht der Spielort.
Wir möchten mit dem Namen „Insel Theater“ das Haus und den besonderen Ort, an dem es steht, in den Vordergrund stellen. Im 18. Jahrhundert war das Grundstück in der Zollstraße 19 ein Ort, an dem sich Künstler*innen (ja, auch Frauen!) und Gelehrte trafen und ein – für die Zeit – ungewöhnlich freies Denken an den Tag legten. Es wurde philosophiert, der Briefkultur gefrönt und gedichtet. Der Dichter Friedrich Gottlieb Kloppstock betitelte dieses kleine Fleckchen Erde auf dem Werder als „glückliche Insel“.
Diese Idee greifen wir auf – ein Ort der Freiheit, der Begegnung, der Kunst – und machen sie heute auf unsere Weise erlebbar: als offenes Theater mitten in der Stadt, das Menschen zusammenbringt, berührt und inspiriert.
Generationswechsel mit Haltung
Was hat euch dazu bewegt, das Theater zu übernehmen? Gab es bestimmte Herausforderungen oder eine Vision, die den Wechsel notwendig gemacht haben?
Wir sind beide hier im Haus in künstlerischer Hinsicht groß geworden. Frank ist seit 2003 dabei und hat fast jede Produktion technisch oder künstlerisch begleitet. Anne kam 2011 dazu, hat hier ihre Liebe zum Schauspiel entdeckt und ihre ersten Stücke gespielt. Dieses Theater war über viele Jahre unser zweites Zuhause, unsere Theaterfamilie. Auch unsere Kinder lieben diesen Ort von Anfang an und waren von Anfang an Teil der Gemeinschaft.
Gleichzeitig war da der Wunsch, selbst gestalten zu können. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem wir unsere künstlerischen Ideen verwirklichen können.
Und nicht zuletzt: auch als Familie. Wenn wir Theater machen wollen, dann so, dass es zu unserem Leben passt – und das geht nur, wenn wir selbst die Rahmenbedingungen schaffen.
Was sind eure großen Pläne für das Insel Theater in den nächsten Jahren? Welche Vision habt ihr für die Zukunft des Hauses?
Was wir uns wünschen, lässt sich reduzieren auf etwas sehr Banales: Wir wollen einen Ort schaffen und lebendig halten, an dem wir uns wohl fühlen.
Für uns heißt das: ein Ort, an dem Kunst gemacht wird, an dem wir Gäste willkommen heißen, an dem unsere Familie und unsere Kinder sich wohl fühlen. An dem gelacht, geweint und über die Welt nachgedacht wird.
Für uns ist das Insel Theater genau das: kein „Betrieb“, sondern ein Zuhause für Geschichten, Begegnungen und Ideen.
In den nächsten Jahren möchten wir diesen Ort so weiterentwickeln, dass er dauerhaft als kreative Heimat funktioniert – für unser Publikum, unser Team und uns selbst. Wir planen, ein starkes Repertoire aus Eigenproduktionen aufzubauen, das von gesellschaftlicher Relevanz, literarischer Tiefe und emotionaler Unmittelbarkeit geprägt ist. Dabei setzen wir bewusst auf Geschichten, die etwas erzählen, das über den Abend hinaus nachwirkt. Unser Anspruch ist ein Spielplan, der nah an den Menschen ist – mit Theaterabenden, die berühren, unterhalten und zum Nachdenken anregen.
Neben Eigenproduktionen wird das Insel Theater auch ein Ort für Gastspiele, Konzerte, Lesungen und spartenübergreifende Formate sein. Wir möchten ein inklusives Theater schaffen, das Menschen unterschiedlichster Herkunft, Generationen und Lebensrealitäten anspricht.
Welche Mitglieder des alten Ensembles bleiben euch erhalten? Wird sich die Zusammensetzung des Teams verändern, oder gibt es frischen Wind mit neuen Gesichtern? Wie wichtig ist diese Zusammenarbeit für euch?
Ein wichtiger Grund, das Haus zu übernehmen, war es, diesen Ort zu erhalten. Für Magdeburg, für uns. Aber auch für diejenigen, die ihn als Theater erschaffen und jahrzehntelang unterhalten haben.
Daher ist es uns wichtig, allen, die diesen Ort geprägt haben, weiterhin die Möglichkeit zu geben, sich kreativ auszuleben – sei es auf, hinter oder neben der Bühne. Ihre Erfahrung, ihr Blick auf Theater und ihre Verbundenheit mit dem Haus sind ein wertvoller Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Wir wollen kein Reset, sondern einen Weiterbau – offen für Neues, aber mit tiefem Respekt für das Bestehende.
Zeitgleich gibt es frischen Wind mit frischen Gesichtern. Das ist total schön, auch neue Menschen hier zu haben.
Ein Besitzer*innenwechsel bedeutet auch einen Generationswechsel. Was ist euer Rezept für ein Gelingen des Übergangs und wie bringt ihr eure eigenen Impulse ins Theater ein?
Wir machen im Grunde genommen ganz egoistisch Theater für uns selbst: das, worauf wir Lust haben. Was uns bewegt. Was uns Freude bereitet.
Wir sind im Theater an der Angel groß geworden. Unsere Wurzeln liegen dort, wir sind sehr geprägt von der Art, wie unsere Vorgänger Theater verstehen und gelebt haben. Die Grundlage ist also die gleiche. Aber unsere Themen sind andere als die des Theaters an der Angel. Manche Herangehensweisen auch.
Man merkt es jetzt deutlich – das Publikum springt auf diese Veränderungen an. Es verändert sich. Die Spannbreite im Alter wird größer – es sitzen die 17-Jährigen neben den 80-Jährigen. Das ist herrlich!

Interview: Steffi
Text: Nadia
Fotos: Inseltheater
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