Im Schauspielhaus hat mit „Planet B“ mal wieder eine hervorragende Inszenierung Einzug gehalten. Die Endzeit-Komödie von Yael Ronen und Itai Reicher ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch ziemlich schmerzhaft.

Die Zeichen sind eindeutig. Der Klimawandel hat längst begonnen, das 1,5-Grad-Ziel wurde gerissen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich die Kontinente und Ozeane der Erde deutlich erwärmt. Temperaturextreme nehmen zu, der Meeresspiegel steigt an und mancherorts kommt es zu außergewöhnlichen Wetterlagen. Die Zeichen sind eindeutig. Das Artensterben schreitet voran. Beinahe eine Million Arten sind in den kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Es geht hier aber nicht nur um das Verschwinden einer stupsnasigen Bärenart, selbst wenn dies schon schlimm genug ist. Es geht um den immer weiter fortschreitenden Verlust der biologischen Vielfalt, auf die auch wir für unser Überleben zwingend angewiesen sind. Wir verlieren ganze Ökosysteme und damit Nahrung, sauberes Wasser und die Luft zum Atmen, schlicht alles, was uns die Natur bedingungslos bereitstellt. Die Hälfte der Weltbevölkerung leidet unter akutem Wassermangel. Fünf Milliarden Menschen werden bis zum Jahr 2050 zu wenig Trinkwasser haben. 5 Milliarden! 2030 wird es ein Wasserdefizit von 40 Prozent geben. Nationen werden Kriegen führen um Wasser. Die Zeichen sind eindeutig.

Und wir? Wir, die Menschheit, die das verursacht hat, schauen bisher nur paralysiert auf all das, haben keine Antworten, schlimmer aber, wir haben den Schuss immer noch nicht gehört. Nehmen wir an, das bleibt so, und die Welt frisst sich selbst weiter auf, bis auf den letzten Knochen, spätestens dann braucht es einen Plan B. Vom Plan B zu Planet B, das allerdings ist nicht nur die einfachste Lösung, sondern zugleich die widersinnigste. Elon Musk und Jeff Bezos treiben seit vielen Jahren die Umsiedlung der Menschheit in den Weltraum voran, mal als intergalaktischen Langzeitflug Richtung Unendlichkeit, mal als heimelige Marssiedlung. Obwohl die Forschungen zu Strahlenresistenz und Kryoschlaf weit fortgeschritten sind, verkennen die Anhänger*innen des Transhumanismus einen entscheidenden Umstand: Es gibt keinen (bekannten oder erreichbaren) Planeten, der uns die gleichen überlebenswichtigen und wunderschönen Bedingungen bietet wie die Erde. Es gibt keinen Planet B für die Menschen. Vom Gegenteil geht nun das gleichnamige Stück im Schauspielhaus Magdeburg in der Regie von Nick Hartnagel aus.

Bild: Kerstin Schomburg

Die Grundstory ist etwas kompliziert, kommt aber schnell zur Sache: Eine Gruppe von Humanoiden findet auf der zerstörten Erde das iPhone von einem Jungen, sie halten den Besitzer nun für den Chronisten der Menschheit. Dieser Blick von Außen auf den Menschen ist durchaus amüsant: „Sie waren in ihrer eigenen Haut gefangen. Sie hatten Löcher, in die sie etwas hineintaten oder etwas herauskam.“ Was aber war passiert, was die Erde so ruiniert hatte? Wir erfahren in einem rasanten Erzähltempo, dass Außerirdische das „Projekt Erde“ als Reality-Show zur Unterhaltung nutzten. Der clowneske Moderator verkündet der Menschheit dann eher beiläufig: „Es wird keine weitere Staffel mehr geben.“

Die Einschaltquoten stimmen nicht mehr, der Mensch in seinem Zerstörungswillen ist auserzählt. Stattdessen sollen die letzten Arten in einer Arena um die Gunst des Publikums konkurrieren, „Surviving Planet Earth“ heißt dieses sadistische Format, und sollte uns schon jetzt sehr bekannt vorkommen. Das Artensterben wird also zu einem Unterhaltungs-TV-Event, die Protagonist*innen müssen sich um ihr Überleben bewerben und – wie in jeder „guten“ Reality-Serie – auch begründen, warum ausgerechnet sie eine Runde weiterkommen sollten. So treffen sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander, die alle irgendwieihren Anspruch auf Leben geltend machen wollen. Eine missverstandenen Fledermaus im Gothic-Outfit, die einfach nur Musik machen will (Viktor Bashmakov), eine urbane Füchsin, die vor dem Berghain abhängt (Bettina Schneider), eine überkontrollierte Ameise, die ganz in der Kollektivierung aufgeht (Luise Hart), ein suizidaler Panda (Marie-Joelle Blazejewski), ein elegantes, aber bis auf die Knochen ausgebeutetes Huhn (Oktay Önder) und ein narzisstisches Krokodil (Iris Albrecht).

Achja, und der Mensch. Der kommt dann recht charakterlos daher, auch wenn Rainer Frank ihn herrlich verkappt darstellt. Es ist ein Boris aus Bremen, Versicherungsvertreter, langweiliger geht also gar nicht, das weiß Boris auch: „Ich kann doch nicht der Repräsentant der ganzen Menschheit sein, ich kann mir ja nicht mal ein Omelett braten.“ Und so recht fallen ihm auch keine Argumente ein, warum es die Menschheit verdient hätte zu überleben, abgesehen von ein paar läppischen Erfindungen. Im Gegenteil hat sie sich schuldig gemacht an den Tieren und am Zustand der Welt. Zurecht konstatieren die anderen Arten: „Wenn jemand zuerst eliminiert werden sollte, dann der Mensch!“ Boris versucht es mit Harmlosigkeit und Gutmenschentum: „Ich bin umweltbewusst! Ich habe das ganze Greta-Video bis zum Ende geguckt, ich habe es gelikt und zweimal geteilt.“ Die Show steigert sich von Runde zu Runde, ein Punktesystem zeigt die Überlebenswahrscheinlichkeit an, und hinter den Kulissen wird gemenschelt und getiert, Konflikte brechen auf, Sexualkunde wird betrieben, Ansprüche werden verhandelt und Intrigen geschmiedet.

Die tierischen Darsteller*innen machen ihre Sache ausgesprochen gut, sie spielen nicht übertrieben oder klischeehaft, es ist vor allem eine nuancierte Körperlichkeit, die das Charakteristische des jeweiligen Tieres aufzeigt. Ihre Kostüme (Tine Becker) sind zurückhaltend, sie deuten das jeweilige Tier an und unterstützen die Figur. Nur der Panda darf das kitschige Plüschkostüm tragen und damit unserem Wunsch nach Verniedlichung nachkommen. Allerdings ist Blazejewski so gar nicht niedlich, eher trocken-lakonisch, denn der Panda will sterben, und warum auch nicht, das Leben im Zoo unter dauerhafter Beobachtung des Menschen und gewaltsamen Befruchtungsmaßnahmen ist kein lebenswertes. Das Krokodil hingegen ist brachial und selbstgerecht, es wähnt sich als Gewinner, schließlich sei man eines der ältesten Lebewesen auf der Erde und habe schon so manche Katastrophe überlebt, ohne weitere Anpassungsmaßnahmen ergreifen zu müssen. Besonders amüsant ist dann die Beschreibung des evolutionären Gangbangs nach dem Kometeneinschlag, jede*r mit jede*m, alles mit allem, das half beim Überleben. Dabei greift Albrecht sehr akzentuiert auf eine Art tierischen Gestus zurück, die Körperhaltung ist leicht gedrungen, mehr braucht es nicht.

Bilder 1, 2 und 3: Kerstin Schomburg 

Bild 4: Katrin Ribbe

Erst am Ende geht das Krokodil dann doch noch auf den Boden und windet sich bei der traumatischen Erinnerung an die erste Apokalypse – die nun wieder bevorstehen könnte. Nach und nach geben die Kandidat*innen der Show auf, springen durch eine Klappe und damit hinein in ein unbekanntes Jenseits, während sich der Mensch hinter Klopapierrollen verbarrikadiert. Mit dem Massen-Suizid der Tiere kommt die Fledermaus dann doch noch dazu, ihr düsteres Lied zu singen. Eine Videoaufnahme in schwarz-weiß zeigt die Toten auf der Hinterbühne, der Panda sitzt am Spinett, es ist ein Bild der Melancholie und Anklage. Am Ende wird der Boris auf Planet B geschickt, der als Planet der Bienen fungiert, die wiederum haben eher wissenschaftliches Interesse am menschlichen Körper – und man gönnt dem Menschen diese bevorstehende Sezierung irgendwie, schließlich ist er doch an allem schuld. Yael Ronen, eine der bedeutendsten zeitgenössischen israelischen Dramatikerinnen und Regisseurinnen, hat mit Itai Reicher eine überdeutliche Fabel in den Ring geworfen. Auch wenn die Grundidee der Geschichte – die Menschheit muss die eigene Existenzberechtigung begründen und wird für das Vergehen an der Erde zur Rechenschaft gezogen – nicht ganz neu ist, zumindest dringen Anleihen von „Animal Farm“ oder „Die Konferenz der Tiere“ durch, so besticht der Text durch seine knallharten und aberwitzig pointierten Aussagen. Die Inszenierung von Hartnagel nimmt die Vorlage gut auf und wird im Stil einer Reality-Show konsequent durchgezogen.

Diese dystopische Komödie ist also sehr unterhaltsam und absolut sehenswert, wobei eines klar wird: Klimawandel und Artensterben sind nicht lustig, sondern eine brutale Konsequenz unseres Handelns. Wenn wir uns nicht langsam einen Plan B überlegen, wie wir das Überleben aller auf diesem Planeten sichern wollen, bleibt uns am Ende nur das Ende. There Is No Planet B.

von: Angela Mund (bühnenfrei)