Seit etlichen Jahren begleitet Wenzel Oschington das Leben in Magdeburg, insbesondere die Kulturszene, mit der Kamera. Auf seinem Blog irgendwo-nirgendwo.de dokumentiert er regelmäßig Veranstaltungen, meist mehrere pro Wochenende und für alle offen zugänglich. Man könnte ihn als eine Art fotografischen Stadtschreiber bezeichnen. Nun hat er mit „Ein Land vor langer Zeit“ seinen ersten Bildband herausgegeben. Wir haben uns mit ihm über seinen Blick auf Magdeburg unterhalten.

 

Konzert im Bluenote, Foto: Wenzel Oschington

Wenzel, zu allererst wollen wir die größte aller Fragen klären: Was bedeutet eigentlich dein Name?

Irgendwann dachte ich über einen Film mit Denzel Washington nach. Und da war plötzlich dieser Buchstabendreher, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich bin in Oschersleben geboren, insofern passte dieser verdrehte Name Wenzel Oschington zu mir.

Du machst ja generell viel Fotografie, auch als Job. Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Mit zehn oder zwölf Jahren kaufte ich mir damals in der DDR die erste Kamera. Mit der Zeit ist mit den Modellen auch die Erfahrung gewachsen. Ich habe mir alles im Sinne von Learning by Doing beigebracht.

Also hast du auch keine Ausbildung gemacht?

Keine fotografische.

Aber wie bist du dann Fotograf geworden?

Wie gesagt, Fotografie begleitet mich von Kindesbeinen an. In der DDR waren die Möglichkeiten für eine Ausbildung zum Fotografen recht eingeschränkt. Mit dem Umbruch in der DDR eröffneten sich mir Perspektiven im fotojournalistischen Bereich. Seit dieser Zeit bin ich am Ball.

Was hast du dann stattdessen gelernt?

IT-System-Kaufmann und Heilerziehungspfleger. Unabhängig davon habe ich auch als Redakteur bzw. Fotograf für diverse Zeitungen gearbeitet.

Wie war das dann für dich, den Schritt zu wagen, das Hobby als Beruf auszuüben?

Ich habe schon immer gern mein eigenes Ding gemacht. Insofern ist mir der Schritt in die Selbständigkeit nicht schwer gefallen. Angefangen hat es mit einer eigenen Internetzeitung rund um Oschersleben und den Bördekreis und kleinen Fotoaufträgen.

Wann kam bei dir der Punkt, wo du gesagt hast: Ich mach Bilder und ich will die jetzt auch der Öffentlichkeit präsentieren? Du bist schon unglaublich viel unterwegs, aber hast auch das Bedürfnis, das mit der Welt zu teilen.

In den Neunzigern gab es erste Ausstellungen meiner Fotos. Vor ungefähr 10 Jahren standen private und berufliche Veränderungen an. Zu dieser Zeit entschloss ich mich auch, meine Aufnahmen mit der Netzgemeinde zu teilen.

TalentVerstärker-Gewinner 2015 Chivre, Foto: Wenzel Oschington

Man trifft dich oft bei Konzerten. So auch beim Talentverstärker: man beobachtet die Szene ja ein bisschen intensiver, da ist ja wirklich viel an neuen musikalischen Sachen in den letzten Jahren hoch- und runtergekommen. Wie ist da dein Eindruck – musikalische Vielfalt und junge Leute, die Musik machen?

Aus meiner Sicht ist der Talentverstärker ein gutes Sprungbrett für Musiker*Innen aus Magdeburg und Umgebung. Ich denke, das ist auch eine gute Möglichkeit zur Vernetzung von Bands, Solokünstler*Innen und Musikinteressierten im weitesten Sinne. Was die musikalische Vielfalt betrifft – ja, der Wettbewerb bietet musikalische Abwechslung. Auf Anhieb fallen mir Bands wie beispielsweise AnSpielung, Bobby Ka oder Berlin Syndrome ein. „Junge Leute“ – die wahrhaft jungen Menschen fehlen mir tatsächlich. Nicht ohne Grund gab es seinerzeit die Umbenennung von „MusiCids“ in „Talentverstärker“.

Du hast ja ein unglaubliches Pensum, was du an Veranstaltungen abdeckst. Man sieht dich manchmal nur kurz, wie du ein paar Bilder machst und dann bist du manchmal schon wieder auf dem Sprung für die nächste Veranstaltung. Wie intensiv beschäftigst du dich denn auch mit den Sachen?

Natürlich habe ich meine persönlichen Vorlieben. Bestimmte Konzerte / Veranstaltungen möchte ich von Anfang bis Ende erleben, das lasse ich mir nicht nehmen. Manchmal ist es einfach Neugier oder der Reiz, neue Motive zu entdecken. Ab und zu laufen interessante Events zeitgleich. Dann passiert es, dass ich mitunter nur kurz reinschaue.

Wenn du meist nur so kurz da bist, ist das für dich dann so eine Art Dienst, den du abhakst oder kannst du dann immer noch die Zeit finden, gerade wenn es ein Konzert ist, dich darauf einzulassen? Oder zieht es dann teilweise an dir vorbei?

Mitunter liegen mir an einem Abend zwei Veranstaltungen am Herzen. Sachen, die ich einfach abhaken kann, nehme ich nicht wahr. Es muss schon passen. Wir werden uns mit Sicherheit nicht bei einem Schlagermarathon oder Fest der Volksmusik treffen. Manchmal passiert es, dass mir ein Saal zu voll erscheint oder ich mir etwas anderes vorgestellt habe. Dann bin ich recht schnell verschwunden.

Würdest du dich als Journalist bezeichnen? Du schreibst ja auch.

Im Vordergrund stehen die Fotos, also betrachte ich mich eher als Fotoreporter. Ab und zu veröffentliche ich neben meinen Aufnahmen und Texten auch die von anderen.

Spontankonzert von Clueso in der Datsche, Foto: Wenzel Oschington

Was sind denn so deine Quellen für Veranstaltungen?

Einladungen kommen oft auch direkt von Künstlern oder Veranstaltern. Vieles wird mir auch über Familie, Freunde und Bekannte zugetragen. Ansonsten gilt, wie beim Fotografieren auch: Augen auf! Mitunter sind es kleine Flyer, die irgendwo ausliegen, Plakate an den Wänden.

Thema: Stadtentwicklung. Du bist ja auch schon länger in Magdeburg. Wie hat sich die Stadt aus deiner Sicht entwickelt?

Äußerlich ist wahnsinnig viel passiert. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass bestimmte Grundstücke, wie beispielsweise das vom City Carré oder Allee-Center, früher unbebaut waren. Neue Wohnviertel sind entstanden und werden immer noch gebaut. Der Hassel, wo ich früher gewohnt habe, ist jetzt Magdeburgs Kneipenviertel.

In Sachen Kunst und Kultur hat sich auch viel getan. Kultur- und Kunstvereine wurden gegründet. Wenn wir so wollen, bieten etliche von ihnen eine Art Kontrastprogramm zu den üblichen großen Events an. Mittlerweile finden in schöner Regelmäßigkeit auch Laden- und Wohnzimmerkonzerte in Magdeburg statt. Immer mal wieder höre ich Leute sagen, in Magdeburg sei nichts los. Ich persönlich teile diese Ansicht nicht. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt schlendert, kann viele kleine, feine Kulturorte und –veranstaltungen für sich entdecken. Dort bin ich auch als Fotograf am liebsten unterwegs. Nicht nur wegen der guten Atmosphäre, sondern auch, weil ich möchte, dass diese Orte / Veranstaltungen von mehr Menschen wahrgenommen werden. Man könnte meine Beiträge auch als eine Art Ehrenamt für Stadt und Leute betrachten.

Wo du die Kultur angesprochen hast: Was ist deine Meinung zur Kulturhauptstadt-Bewerbung?

Keine schlechte Sache, denke ich. Möglicherweise werden durch diese Bewerbung Dinge in Magdeburg angeschoben, die es unter anderen Umständen so nicht geben würde. Ich habe den Eindruck, die Organisatoren möchten möglichst viele Magdeburger für die Idee der Kulturhauptstadt gewinnen. Das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass sich die Verantwortlichen direkt ins Magdeburger Leben begeben. Hinein in die kleinen Vereine, hin zu den vielen ehrenamtlichen Unterstützern und Freunden, in die Kultur- und Bildungseinrichtungen, auf die Straße… Ich meine, so ein Vorhaben muss wahrhaft gelebt werden. Und da habe ich so meine Zweifel.

Martin Rühmann und Band im Wissenschaftshafen, Foto: Wenzel Oschington

Was heißt das für dich: Leben?

Dinge tun, die mir persönlich sinnvoll erscheinen. Am liebsten ohne Einschränkungen oder bürokratische Hürden. Klappt eher selten. Aber dann nicht aufgeben und nach einem Weg suchen, wie ich die Dinge trotzdem anpacken kann. Materielles ist mir nicht ganz so wichtig. Okay, meine Miete möchte ich schon bezahlen, ein paar Wünsche erfüllen natürlich auch. Aber „höher, schneller, weiter“ gilt für mich nicht. Manchmal werde ich gefragt, ob ich denn nie Feierabend habe, aber die Fotografie ist eben auch mein Hobby. Ich muss allerdings nicht jeden Moment zwanghaft mit der Kamera einfangen. Auf privaten Feiern fotografiere ich so gut wie nicht. In den wärmeren Monaten entspanne ich sehr gern irgendwo im Nirgendwo ohne irgendetwas zu tun oder ich schmökere mal in einem Buch.

Würdest du sagen, Kultur muss man sich leisten können?

Kultur im weitesten Sinne kann jeder haben. Neugierig auf andere und anderes sein. Sich treffen, gemeinsam kochen, musizieren oder Musik hören, was auch immer. Viele schöne Dinge kosten kein Geld.  Geht es um kulturelle Veranstaltungen, finde ich schon, dass jeder die Möglichkeit haben sollte am kulturellen Leben der Gesellschaft teilzunehmen. Glücklicherweise gibt es in Magdeburg Einrichtungen und Vereine, die den interessierten Magdeburgern vielfältige Kulturangebote kostenfrei oder für kleines Geld anbieten können. Spontan fallen mir Moritzhof, Familienhaus im Park oder auch das Volksbad Buckau ein. Bei aller Flexibilität in den Vereinen und Einrichtungen ist hier auch finanzielle Unterstützung vonseiten der Stadt gefragt.

Wie erlebst du es mit dem Zuspruch von Veranstaltungen, der Wertschätzung? Es gibt ja auch großartige Veranstaltungen, da geht kaum jemand hin.

Das ist mir auch schon öfter aufgefallen. Mitunter handelt es sich dann sogar um kostenfreie Veranstaltungen. Das ist sehr schade. Auch in Zeiten von Social Media kriegt nicht jeder alles mit. Oft habe ich aber auch den Eindruck, dass viele Menschen gar nicht die fest getrampelten Pfade verlassen möchten, wenig Interesse an Unbekanntem haben. Hier kann ich den Veranstaltern raten – sich nicht unterkriegen lassen, weitermachen.

Ausblick 10 Jahre. Potentiell Kulturhauptstadt. Was würdest du dir für Magdeburg wünschen?

Ich wünsche Magdeburg, dass sich in den kommenden Jahren noch mehr Menschen für Kultur im weitesten Sinne interessieren. Wahre Kulturbotschafter sind die Ehrenamtlichen, die sich in ihren Vereinen und Einrichtungen ganz selbstverständlich und mit viel Herzblut in Sachen Kultur engagieren. Regelmäßig hören wir in irgendwelchen Sonntagsreden, dass man die Arbeit der Ehrenamtlichen gar nicht genug würdigen kann. Wäre es dann nicht an der Zeit, es nicht beim Reden zu belassen, sondern diese Vereine und Einrichtungen finanziell mehr zu unterstützen?
Und viele kostenfreie Kulturangebote in Kindergärten und Schulen wünsche ich mir für Magdeburg. Unsere Kinder sind schließlich die Kulturbürger von morgen.

Den Bildband “Ein Land vor langer Zeit” könnt ihr in der Buchhandlung Fritz Wahle auf dem Breiten Weg kaufen. #supportyourlocaldealer