Die Inszenierungen von „Das Letzte Kleinod“ sind einzigartig. Statt in einem traditionellen Theater finden die Aufführungen in Eisenbahnwaggons statt, die selbst schon wie Ausstellungsstücke wirken. Diese ungewöhnlichen Spielorte prägen das Erleben der Zuschauer*innen auf eine ganz besondere Weise. Ein Interview mit Juliane Lenssen (zusammen mit Jens-Erwin Siemssen Mitbegründerin und künstlerische Leitung des Theaters Das Letzte Kleinod) gibt Einblicke in ihre Arbeit und die besondere Atmosphäre ihrer Aufführungen.
Wie kam es zur Idee für eure neuste Inszenierung HOTEL EINHEIT – Eisenbahntheater über Hotels in der DDR?
Der Regisseur und Autor Jens-Erwin Siemssen erfuhr über einen Zeitungsartikel, dass das Hotel Lunik nach langem Leerstand und Untätigkeit eines vorherigen Investors im Jahre 2023 von der Eisenhüttenstädter Gebäudewirtschaft GmbH übernommen wurde. Das Letzte Kleinod verbindet gerne Orte und ihre Geschichten – deshalb entstand die Idee, in diesem außergewöhnlichen Gebäude ein dokumentarisches Stationentheater zu entwickeln. Das Thema ist so umfassend, da es auch um Begegnungen von Ost und Weste geht, dass schnell klar war, dass diese Inszenierung noch weiterentwickelt werden sollte und unter dem Titel HOTEL EINHEIT als Tourneetheater gezeigt werden soll. Das Hotel Einheit gab es tatsächlich einmal in Frankfurt (Oder).
Welche besonderen Herausforderungen stellt die Inszenierung in Eisenbahnwaggons dar?
Es ist eine besondere Herausforderung, eine Inszenierung, die in einer besonderen Atmosphäre dieses verlassenen Hotels Lunik entwickelt wurde, nun in ganz anderer Form zu präsentieren – nämlich die Räumlichkeiten nun in Bahn-Waggons nachzuempfinden. Dies ist tatsächlich gelungen, vor allem auch dadurch, dass die wenigen Objekte und Requisiten, die verwendet werden, alle authentisch sind und u.a. vom Museum Utopie und Alltag zur Verfügung gestellt wurden, aber auch aus privaten Sammlungen. Für die Darstellerinnen und Darsteller war es jedoch auch essenziell, wirklich in dem Gebäude gespielt zu haben – das lässt sich in den Theaterszenen jetzt nachempfinden.
Wie viele Menschen sind in eure Produktionen involviert?
Wir sind mit einem ganzen Team von 17 Menschen unterwegs – davon sind sechs auf der Bühne zu sehen. Es braucht also einige Leute auch im Bereich Technik, Produktion, Catering usw., um ein solches Projekt zu realisieren – und wir sind alle im Zug untergebracht und leben also für den Zeitraum auch zusammen.
Was ist das Besondere an Spielorten wie dem Industriehafen in Magdeburg für eure Inszenierung?
Wir mögen schon immer die abgelegenen Orte, die selbst ein Kleinod sind. Das ist beim Industriehafen in Magdeburg auf jeden Fall gegeben, auch der Ausblick auf den Hafen und die Nähe zu Industrie-Gebäuden. Und natürlich ganz besonders wichtig ist es, dass wir den Standort bei den Magdeburger Eisenbahnfreunden e.V. haben und von ihnen auch sehr unterstützt werden – das ist grandios!
Welche Bedeutung haben die Erinnerungen der Zeitzeugen für das Theaterstück HOTEL EINHEIT?
Die Erinnerungen der Zeitzeugen sind für das Theaterstück HOTEL EINHEIT die Basis und das Ausgangsmaterial – ohne diese Erinnerungen gäbe es das Stück nicht. Wir halten uns ja auch ganz wortwörtlich an die Aussagen und greifen da nicht ein, wir ändern weder Grammatik noch Duktus. Denn wir haben Respekt vor diesen Erzählungen und möchten nichts verfälschen. Es sind also authentische Berichte, die manchmal verschieden Perspektiven zeigen – und genau das ist das Dokumentarische daran. Die Zuschauenden können dann selbst eine Haltung einnehmen oder sich eine Meinung bilden. Ganz oft entstehen auch nach den Aufführungen eben noch intensive Gespräche mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, die ihre eigenen Erinnerungen schildern. Das ist ein toller Prozess für die gesamte gruppe und wird auch von den Schauspielerinnen und Schauspielern sehr wertgeschätzt.
Wie beeinflusst die örtliche Atmosphäre der Eisenbahnwaggons die Stimmung und das Erleben der Zuschauer*innen?
Die Atmosphäre der Eisenbahnwaggons ist etwas ganz Besonderes für die Zuschauer*innen, denn unser Theaterzug ist ja selbst schon fast wie ein Ausstellungsstück. Die Szenen spielen zwar auch in modernen Güterwaggons – aber wer war dort schon einmal selbst drin? Es lassen sich sehr intensive Szenen erleben auch z.B. durch die Geräusche, die eine gigantische Schiebetür macht, wenn sie geöffnet oder geschlossen wird – hier soll aber noch nicht zuviel verraten werden.
Bei euren Inszenierungen wird an den Spielorten außer Licht, Bewegung und Spiel kein fremdes Element hinzugefügt, wie stark müsst ihr euch als Spielende je nach Ort umstellen / anpassen?
Wir lassen den Ort selbst auch wirken bzw. ermöglichen durch unser Spiel, dass ein solcher Ort überhaupt erst wahrgenommen wird. Das sind Akzente und ein Fokus, die gesetzt werden und die Gäste dadurch überhaupt die Möglichkeit erhalten, genauer hinzuschauen. Da viele Szenen auch draußen spielen, sind wir auch noch viel mehr Sinneseindrücken ausgesetzt: man hört, wie etwas vorbeifährt, Hupen in der Ferne, man ist dem Wetter ausgesetzt usw. – das ist immer wieder spannend.
Welche Szenen oder Geschichten aus dem Stück haben dich / euch persönlich am meisten berührt?
Das kann ich ganz schwer sagen – aber es sind zwei bis drei Szenen in der Vorstellung, die auch von Erfahrungen mit der Stasi berichten und das hat einfach ganz krass in die persönlichen Lebensläufe eingegriffen. Das berührt mich jedesmal ganz unglaublich, selbst jetzt, wenn ich darüber berichte.
Dann gibt es aber auch immer wieder Szenen mit ganz viel Leichtigkeit und Spaß – das ist eine gute Abwechslung.
Welche Reaktionen habt ihr bisher von Zeitzeug*innen und Zuschauer*innen auf HOTEL EINHEIT erhalten? Gibt es Unterschiede bei jungen oder lebensälteren Menschen?
Erfreulicherweise können alle Generationen etwas mit dem Stück anfangen, wir haben auch schon Kinder in der Vorstellung gehabt. Die lebensälteren Menschen haben das natürlich alles selbst erlebt und finden sich da sehr gut „dargestellt“ bzw. erkennen es wieder und sind dadurch berührt. Und die jüngeren Zuschauer*innen sind einfach überrascht, wie das alles ablief und was es für den Einzelnen bedeutete. Und bekommen ein Gefühl dafür, im wahrsten Sinne des Wortes – und das ist unserer Meinung nach sehr wichtig. Wir wollen ja darüber hinausgehen, dass diese Erlebnisse nur ein Kapitel in einem Geschichtsbuch sind.
Was macht euch als Künstler*innengruppe „Das Letzte Kleinod“ aus? Habt ihr Lust wieder zu kommen?
Wir haben auf jeden Fall Lust wiederzukommen, denn es lauern noch überall gute und wichtige Geschichten, die erzählt werden sollten – und außerdem gefällt uns der Standort besonders gut. Wir hoffen darauf, dass genug Zuschauer*innen kommen, denn nur dann können wir einen solchen Ort auch wieder anfahren. Und Magdeburg würden wir gerne auch in Zukunft weiterhin als Spielort in unsere Tournee mit aufnehmen!
Fotos: Das Letzte Kleinod von Giacomo Biassoni und J.E. Siemssen
Hotels in der DDR waren einer der wenigen Orte, in denen sich Menschen aus Ost und West begegnen konnten. Die Restaurants, Nachtbars und Zimmer boten den Gästen einen ungewohnten Luxus. Beschattungen durch die Stasi waren in den Hotels alltäglich. Personal von Hotels in Eisenhüttenstadt und Frankfurt (Oder) erzählten für das dokumentarische Theaterstück von Ihren Erinnerungen an den Hotelbetrieb. Die Aufführung wird in mehreren Eisenbahnwaggons gezeigt, die mit originalen Möbeln und Objekten aus der DDR ausgestattet sind.
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