Es wird heiß im Osten – nicht nur in der Realität, sondern auch auf der Bühne. „Und sie träumten von der Sonne“, das neueste Werk der freien Theatergruppe bühnenfrei, ist eine packende Auseinandersetzung mit den ökologischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die durch die Ansiedlung von Großunternehmen in Ostdeutschland ausgelöst werden. Die Uraufführung dieses Theaterstücks, das im Februar 2025 in Magdeburg Premiere feiert, verspricht nicht nur eine scharfsinnige Analyse des Strukturwandels, sondern auch eine emotional aufgeladenen Dramatik, die den Finger in die Wunde der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte legt.
Ein Hightech-Drama im Herzen von Bad-Neustadt
Bad-Neustadt ist eine fiktive Kleinstadt, aber das Thema, das bühnenfrei hier aufgreift, könnte aktueller nicht sein. Die Hightech-Fabrik, die sich dort niederlässt, steht symbolisch für den strukturellen Wandel, den viele ländliche Regionen im Osten durch die Ansiedlung großer Technologiekonzerne wie TSMC in Dresden, Tesla in Grünheide oder Intel in Magdeburg erleben. In dieser Siedlung von Fortschritt und Hoffnung umgibt sich die Bevölkerung mit einer fast greifbaren Erwartung: Arbeitsplätze, Wohlstand, eine neue Zukunft.
Doch wie immer im Leben gibt es einen Haken. Der Stadtrat Frank Wilke – ein Mann, der mehr über die Folgen des Wandels weiß, als ihm lieb ist – schlägt Alarm. Auf der Bühne von „Und sie träumten von der Sonne“ ist er derjenige, der von den potenziellen Gefahren warnt. Doch statt auf Gehör zu stoßen, wird seine Warnung unterdrückt, das Gutachten zur Wasserversorgung verhindert und der Showdown zwischen Wilke und dem Bürgermeister Schlother unausweichlich. Der Wunsch nach Fortschritt kollidiert mit der Realität der ökologischen Ressourcen und den bröckelnden gesellschaftlichen Fundamenten.

© Gia Huy Dinh
Ein Kampf um Wahrheit und Verantwortung
Im Stück geht es nicht nur um den klassischen Konflikt von „Fortschritt vs. Tradition“, sondern auch um die komplexeren, oft unsichtbaren Kämpfe hinter den Kulissen: um Deutungshoheit, um Macht, um den Preis, den wir bereit sind zu zahlen, um „den Fortschritt“ zu sichern. Denn der Strukturwandel bringt nicht nur Hoffnung, sondern auch Spaltung und Unsicherheit. Während die Fabrikproduktion weiterlaufen soll, sinkt der Wasserstand im Ort, die Temperaturen steigen und die Probleme, die lange ignoriert wurden, werden umso deutlicher. Der Widerstand gegen den Maschinenstaat wird zur persönlichen Tragödie, die auf der Bühne in grotesk-absurden Szenen kulminiert.
Die Frage, die sich am Ende stellt, ist nicht nur eine wirtschaftliche: Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen, um Arbeitsplätze zu schaffen? Sondern auch eine moralische: Was bedeutet Wahrheit, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse gegen den Willen der Mächtigen verbogen werden? Wo bleibt die Nachhaltigkeit, wenn die kurzfristigen ökonomischen Gewinne alles dominieren?
Eine Gruppe auf der Suche nach Lösungen
bühnenfrei ist bekannt für seine unkonventionellen, experimentellen Theaterproduktionen, die stets tief in gesellschaftliche Fragen eintauchen. Das Kollektiv, das sich seit seiner Gründung 2014 einen Namen gemacht hat, geht auch in dieser Produktion wieder neue Wege. Das Stück lebt von seiner Mischung aus realistischer Darstellung und surrealen, teils grotesken Elementen. So wird der Alltag auf der Bühne nicht nur skizziert, sondern durch absurde Übertreibungen spürbar gemacht, was vielleicht allzu vertraut ist und dennoch in seinen Auswirkungen oft unterschätzt wird.
Die Besetzung dieser Uraufführung spiegelt die Vielfalt und Experimentierfreudigkeit der Gruppe wider. Mit den Darsteller*innen Yona Dehoop, Richard Scharf, Stefan Kolata, Anja Kreft, Martha König, Linda Wöllm,Leon Junghans, Gina Kneusel, Birte Sosna, Moira Blatt, Michelle Maier ist eine großartige Mischung von Menschen auf der Bühne zu erwarten, die die verschiedenen Facetten von Macht, Verantwortung und menschlichem Versagen in ihren Rollen widerspiegeln wird. Die Dynamik der Charaktere – von der forschen politischen Stimme bis hin zur stillen Beobachter*in, die sich aus Angst vor Veränderung zurückhält – dürfte die Zuschauer*innen in einen emotionalen Strudel ziehen, der sowohl zum Nachdenken anregt als auch aufrüttelt.
Eine Einladung zum Nachdenken – und Handeln
Mit „Und sie träumten von der Sonne“ stellt bühnenfrei nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit den sozialen und ökologischen Folgen des Strukturwandels in Ostdeutschland auf die Bühne, sondern fordert auch uns als Gesellschaft heraus, über unsere eigenen Prioritäten nachzudenken. Was sind wir bereit zu opfern, um kurzfristige wirtschaftliche Erfolge zu feiern? Und wie gehen wir mit den langfristigen Folgen um, die wir heute möglicherweise noch nicht vollständig begreifen?
Diese Fragen, die in der Uraufführung gestellt werden, sind nicht nur die des Theaters – sie sind die der Gegenwart. In Zeiten, in denen die Klimakrise und der technologische Wandel Hand in Hand gehen, wird der Preis für unseren „Fortschritt“ immer sichtbarer. Wir müssen uns fragen, ob der Traum von der Sonne – oder dem Wohlstand, den diese Sonne verspricht – wirklich das ist, was wir uns erträumen sollten.
Die Uraufführung von „Und sie träumten von der Sonne“ ist mehr als nur ein Theaterstück – es ist ein notwendiger Diskurs. Und dieser Diskurs ist nicht nur auf der Bühne zu führen, sondern auch in der Gesellschaft.
Besetzung: Yona Dehoop, Richard Scharf, Stefan Kolata, Anja Kreft, Martha König, Linda Wöllm, Leon Junghans, Gina Kneusel, Birte Sosna, Moira Blatt, Michelle Maier
Termine: 8.2., 9.2., 1.3., 2.3.2025 // 18.00 Uhr Einlass // 18.30 Uhr Beginn mit Bitte um Kartenreservierung unter:
Leon Junghans (01578 – 7667867) oder per Mail an: kontakt(a)buehnenfrei.de
Uraufführung // deutsche Sprache // Dauer: 2.15 h mit Pause // Veranstaltungsort ist barrierefrei
Titelfoto: © Gia Huy Dinh
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