Ein Gespräch über Freiräume, Engagement und die Suche nach einem neuen Zuhause
Magdeburg verändert sich – sichtbar, spürbar, manchmal beunruhigend schnell. Zwischen steigenden Mieten, neuen Bauprojekten und alten Leerständen gibt es sie noch: die Orte, an denen Menschen einfach zusammenkommen können, ohne etwas kaufen zu müssen. Orte, an denen Solidarität nicht nur ein Wort, sondern gelebte Praxis ist. Einer dieser Orte heißt Tacheles, getragen vom Verein platz*machen e.V.
Seit 2021 schafft das Kollektiv Räume für Begegnung, Kultur und politische Bildung – unkommerziell, laut, herzlich, manchmal chaotisch, aber immer mit Haltung. Hier wird geschraubt, gekocht, diskutiert, gestritten, gelacht. Hier wächst etwas, das in vielen Städten längst fehlt: Gemeinschaft.
Doch jetzt steht das Projekt vor einem Umbruch. Der Mietvertrag läuft aus, ein neuer Raum muss her. Trotzdem strahlen die Menschen hinter platz*machen eine bemerkenswerte Ruhe und Entschlossenheit aus. Sie sprechen über Widerstand, Solidarität und die Kraft, einfach weiterzumachen – mit neuen Ideen, neuen Gesichtern, neuem Mut.
Wir haben mit ihnen gesprochen – über Visionen, Rückschläge, Freiräume und die Frage, was eine Stadt eigentlich lebendig macht.
Ein Ort für alle
Wie würdet ihr platzmachen jemandem erklären, derdie noch nie von euch gehört hat?
Platz*machen e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für Kultur, politische Bildung, gesellschaftliche Teilhabe und Gleichberechtigung einsetzt. Seit unserer Gründung 2021 engagieren wir uns für offene, solidarische Räume in Magdeburg.
Einer davon ist unser Kiezladen Tacheles in der Sternstraße 30. Dort finden unter anderem das Kiezcafé „Platz&Kuchen“, die Fahrradwerkstatt „PaRADies“, die progressive Bibliothek „Zusammengebunden“ und die „Küche für alle“ statt. Unser Ziel ist es, niederschwellige Begegnungsorte zu schaffen, in denen Menschen solidarisch wirken können – mitgestaltet von der Community selbst.
Tacheles? platz*machen? Wie heißt ihr denn nun eigentlich?
Platz*machen ist der Name unseres Vereins, Tacheles der Ort, an dem wir unsere Ideen praktisch umsetzen. Viele nutzen beide Begriffe synonym – das passt schon. Das Tacheles ist für uns nur eines von mehreren Projekten, die aus dieser gemeinsamen Vision entstehen.
Zwischen Vision und Realität
Wann wusstet ihr: Wir müssen diesen Verein gründen?
Die Idee entstand 2020 während der Pandemie. Viele von uns waren schon in politischen oder (sub-)kulturellen Gruppen aktiv. Doch es fehlten unkommerzielle Orte für Begegnung ohne Kaufzwang. Als sich die Chance ergab, das ehemalige Café Central zu übernehmen, haben wir sie genutzt – mitten in der Stadt, am Hasselbachplatz.
Seitdem motiviert uns vieles: der Wunsch nach Austausch, der Blick auf soziale Spaltung, steigende Mieten, rechte Hetze. Wir wollen einen Ort schaffen, der dagegenhält – solidarisch, offen, lebendig. Im Tacheles sind neue Freundschaften, Projekte und Ideen entstanden. Wir glauben: Gerade jetzt braucht unsere Gesellschaft solche Orte.
Ihr zieht gerade um – was ist passiert?
Unser Mietverhältnis mit Vonovia endet zum 31.12.2025. Eine Begründung gab es nicht. Stattdessen wurde uns eine teurere Immobilie angeboten – was für uns nicht infrage kam. Nach dem ersten Schock richten wir den Blick jetzt nach vorn: Wir suchen eine neue, bezahlbare Fläche, mit einer Vermieter*in, die uns auf Augenhöhe begegnet.
Der neue Ort soll vielseitiger werden: mehr Tagesangebote, getrennte Bereiche für parallele Veranstaltungen und möglichst barrierearm. Wir hoffen, dass dieser Tapetenwechsel frischen Wind bringt – für uns, unsere Community und neue Mitstreiter*innen.
Wer uns unterstützen möchte, kann das über unsere Spendenkampagne tun: platzmachen.org/links/spenden
Ehrenamt statt Umsatzlogik
Wie funktioniert ihr organisatorisch?
Alles läuft ehrenamtlich. Mitmachen darf jeder, der*die will – unabhängig vom Geldbeutel. Beiträge sind freiwillig, Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Unsere AGs, etwa „PR“, „Rückbau“ oder „Neuer Raum“, stehen auch Nicht-Mitgliedern offen.
Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass wir eine mietbare Location mit Personal wären. Tatsächlich ist unser Raum unkommerziell und entsteht aus freiwilligem Engagement. Wir folgen dem Solidaritätsprinzip – nicht kapitalistischen Interessen.
Was unterscheidet euch von einer Bar oder einem Club?
Bei uns geht es nicht um Umsatz, sondern um Begegnung. Unser Laden ist Treffpunkt, Diskussionsort und Wohnzimmer zugleich. Teilhabe darf nicht vom Geldbeutel abhängen – das ist unser Beitrag zu einer solidarischen Nachbarschaft.
Warum Freiräume überleben müssen
Wie blickt ihr auf Magdeburgs Stadtentwicklung?
Was viele „Aufwertung“ nennen, erleben wir als Verdrängung. Luxuswohnungen, steigende Mieten, fehlende Jugend- und Kulturorte – all das macht Freiräume rar. Wenn eine Stadt nur noch Konsumräume bietet, verliert sie ihre Seele.
Wie steht die Stadt zu euch?
Vonseiten der Verwaltung gibt es oft gute Worte, aber wenig praktische Unterstützung. Förderlogiken sind kurzfristig, Bürokratie lähmt. Nachhaltige Arbeit braucht Vertrauen und langfristige Finanzierung. Die Menschen in der Stadt hingegen unterstützen uns – und wir wünschen uns, dass noch mehr von ihnen Lust bekommen, selbst aktiv zu werden.
„Wir machen Platz für deine Ideen“
Was motiviert euch weiterzumachen?
Es sind die Momente, in denen Menschen den Raum zum ersten Mal erleben und mit einem Strahlen wieder gehen. Wenn Reisende zufällig hereinkommen und sagen, wie schön es war – dann wissen wir, warum wir das alles machen.
Was wollt ihr jungen Menschen mitgeben?
„Wir machen Platz für deine Ideen.“ Das Tacheles ist ein Ort zum Ausprobieren, Lernen, Wachsen – oder einfach nur zum Dasein. Jeder kann etwas beitragen, jeder ist willkommen.
Und was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Von der Szene: Solidarität. Von der Nachbarschaft: Offenheit. Und von der Stadt: Vertrauen in zivilgesellschaftliche Strukturen.
Danke an alle, die uns die letzten fünf Jahre begleitet haben – wir freuen uns auf viele mehr.

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