Philipp Kronenberg steht seit der aktuellen Spielzeit als festes Ensemblemitglied auf der Bühne des Magdeburger Schauspielhauses. Am 28. Januar 2023 feierte er als Woyzeck im gleichnamigen Schauspiel nach Georg Büchner Premiere.

Philipp Kronenberg vor einer Glasfasade

Philipp Kronenberg © Jan Reiser

In Hamburg geboren und größtenteils aufgewachsen, studierte Philipp dort Illustration und Kommunikationsdesign. Im Jugendclub des Schauspielhauses Hamburg entdeckte er seine Freude am Spielen mit und vor anderen Menschen, woraufhin er ein Schauspielstudium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin aufnahm.
Nach seinem Abschluss zog es ihn zurück nach Hamburg, wo er am Jungen Schauspiel sein erstes Festengagement als Schauspieler antrat. In dieser Zeit lernte er auch Bastian Lomsché, Clemens Leander und Clara Weyde kennen, die ihrerseits Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus, Kostümbildner sowie Regisseurin am Jungen Schauspielhaus der Hansestadt waren. Auf seinem Weg nach Magdeburg zog es ihn u.a. nach Hannover, Bremen und Mainz. Bereits während seines Studiums in Berlin besteht die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jan Friedrich, weitere Arbeiten folgten 2017 am Schauspiel Hannover und 2021 am Staatstheater Mainz.

Im November 2021 schlenderte er erstmals durch die Straßen unserer Elbestadt, die er zuvor nur von Umstiegen am Hauptbahnhof kannte. Mit seinem Umzug im Mai 2022 ist Philipp dann so richtig in Magdeburg angekommen.
Für ihn ist Magdeburg eine schöne Sommerstadt. Die Datsche und die Milchkuranstalt sind nur zwei Orte, die Philipp im letzten Sommer kennen und genießen gelernt hat. Am meisten schätzt er die Nähe seiner Arbeitsstätte zur Elbe. Während der Pausen oder nach längeren Probetagen nutzt er den kurzen Weg für einen Spaziergang über die Hubbrücke, in den Stadtpark hinein, einmal um den Albin-Müller-Turm herum und wieder zurück. Wenn ihr noch den einen oder anderen Geheimtipp für ein gemütliches Abendlokal parat habt, dann leitet diesen gern an Philipp weiter. Begeistert erzählt er uns vom Tacheles und wie er auf den Kiezladen in der Sternstraße gestoßen ist. Eigentlich war er nur auf der Suche nach einem Feierabendgetränk, fand sich dann aber auf einem Punkkonzert im Tacheles wieder. Blickte er anfangs noch in unbekannte Gesichter, ließ er sich schnell von der Atmosphäre anstecken und kam mit den Menschen ins Gespräch.

Während der Endproben einer Inszenierung begrenzen sich Philipps Wege dann auch mal nur von seinem Bett auf die Bühne und wieder zurück. Die Proben für „Woyzeck“ begannen Mitte Dezember, Ende Januar dann die Premiere im ausverkauften Schauspielhaus.
Erzählt wird die Geschichte von Franz Woyzeck, der in einer niedrigen Stellung tagtäglich Demütigungen erdulden muss und mit dem wenigen Geld, dass er verdient, seine Freundin Marie und das Kind versorgen muss. Aus eben diesen Nöten lässt er sich auf ein medizinisches Experiment ein, im Zuge dessen seine Ernährung radikal eingeschränkt wird. Mangelernährung, Armut, Demütigungen und psychische Gewalt – Die Situation spitzt sich zu. Am Ende ermordet er seine Freundin.
Durchaus keine leichte Kost, der sich das Team um den Regisseur Jan Friedrich angenommen hat. Wir haben mit Philipp Kronenberg und Bastian Lomsché, dem Dramaturgen der Inszenierung, gesprochen, was sie an der Figur des Woyzeck so interessiert und was die Zuschauer:innen bei der Magdeburger Inszenierung so erwarten können.

Eine Frau und ein Mann, dahinter ein beleuchteter Hintergrund

Julia Buchmann, Philipp Kronenberg © Kerstin Schomburg

Für Philipp sind es die unterschiedlichen Lesearten des Woyzecks, die seine Figur für ihn so spannend machen. Inwieweit kann Woyzeck nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer verstanden werden? Inwieweit können ihn seine widrigen Umstände zu einer solchen Tat gedrängt haben, wenngleich sie keinen Mord rechtfertigen? Hätte es einen Ausweg gegeben?
Woyzeck gehöre außerdem zu einen der ersten Theaterstücke, bei dem ein einfacher Mensch ohne gesellschaftliches Ansehen, Macht oder Reichtum im Mittelpunkt eines Dramas steht. Für seine Hauptfigur bediente sich Büchner Zeitungsberichten, die den Femizid eines Perückenmachers und Soldaten namens Johann Christian Woyzeck aus Leipzig dokumentierten. Von der Armee entlassen, verfiel er in Depressionen, trank zunehmend Alkohol und verblieb arbeits- und obdachlos. 1821 ermordete er seine zweitweise Geliebte Johanna Christiane Woost. Stimmen in seinem Kopf sollen ihm dies befohlen haben. Erstmals diskutierte das einfache Volk über Schuldfähigkeit und die äußeren Umstände. Mehrere psychologische Gutachten bescheinigten seine Zurechnungsfähigkeit. Woyzeck wurde knapp drei Jahre nach dem Mord an Woost öffentlich hingerichtet.
Ein Sozialdrama, das viel darüber aussagt, wie wir uns als Gesellschaft wahrnehmen, und anerkennen, unter welchem sozio-ökonomischen Druck zahlreiche Menschen stehen. In Büchners Werk wird jeder noch so kleinen Figur, eine weitere Figur gegenübergesetzt, auf die sie herumtrampeln kann.

Drei Personen stehen beieinander, dahinter ein beleuchteter Hintergrund

Philipp Kronenberg, Marie-Joelle Blazejewski, Robert Lang-Vogel © Kerstin Schomburg

Sowohl Philipp als auch Bastian stimmen überein, dass die äußeren Umstände Woyzecks nicht vernachlässigt werden dürfen. Dennoch ergibt sich daraus keine Rechtfertigung für einen Mord. Der Femizid kann und darf nicht beschönigt werden, weshalb es enorm wichtig ist, sich sehr kritisch diesem Stoff anzunähern. Neben der besagten kritischen Einordnung der Geschichte legt die Inszenierung einen besonderen Fokus auf die Form und Ästhetik.
Der Regisseur Jan Friedrich brachte die Idee ein, die Geschichte in einem an Computerspiele angelehnten Raum zu erzählen. Woyzeck wird mit einer Body-Cam ausgestattet. Als Zuschauer:innen folgen wir den Handlungen und Entscheidungen Woyzecks, übertragen auf einer großen Videoleinwand. Dialogfenster öffnen sich, wenn eine neue Entscheidung ansteht. Für welche der drei Handlungsmöglichkeiten wird er sich entscheiden? Und was passiert, wenn eine oder gleich zwei der Optionen gesperrt bleiben, wie in Videospielen, bei denen erst ein bestimmter Punktestand erreicht werden muss? Mit dieser Vorgehensweise wird eindrücklich gezeigt, dass nicht alle Menschen die gleichen Startbedingungen haben.
Die Übersetzung in eine Art Computerspielewelt kann nicht nur einen zeitgemäßen Zugang zur Geschichte, insbesondere für junge Menschen, eröffnen, sondern den Zuschauer:innen helfen, sich in die Figur des Woyzeck hineinzudenken und der Geschichte aus seiner Perspektive zu folgen.

Ein beachtliches Gemeinschaftswerk, vor allem ein enorm technischer Aufwand, für das sich das Team um Jan Friedrich, der Kostümbildnerin Vanessa Rust, dem Videokünstler Nico Parisius und dem Soundkünstler Friedrich Byusa Blam verantwortlich zeichnen. Neben Philipp spielen Marie-Joelle Blazejewski, Julia Buchmann, Robert Lang-Vogel, Mia Rainprechter, Anton Andreew und Bettina Schneider. Durch fein abgestimmte Bewegungen erhalten Ton und Video ihre Einsätze und auch die Maske hat vor den Vorstellungen wieder fleißig zu tun.
Für Philipp, der bereits in den Produktionen „Das Leben ein Traum“ und „Gas“ am Haus zu sehen ist, eine mit den beiden vorigen Produktionen kaum vergleichbare, komplexe, dennoch super spaßige Herausforderung. An eine ausgeprägte Computerspielvergangenheit kann Philipp weniger anknüpfen. Er erinnert sich noch an Counter-Strike, eines der am meisten gespielten Online-Actionspiele der beginnenden 2000er. In dem Spiel bekämpften sich Terrorist:innen und Antiterroreinheiten. Sie erhielten Aufträge, die von dem gegnerischen Team verhindert werden mussten. Doch lange überlebten Philipps Figuren nicht und während seine Freund:innen den Auftrag zu Ende spielten, kümmerte er sich um die Chips und trank Cola. Bei Bastian waren es eher Fußball- oder Rennspiele, bei denen er früher gut entspannen konnte. Heute haben diese Welten ihren Reiz für ihn verloren.

Ein Mann sitzt auf einer Bank vor einem beleuchteten Hintergrund

Philipp Kronenberg © Kerstin Schomburg

Wer nun wissen möchte, wie sich der Magdeburger Woyzeck durch die Spielewelt navigiert, was eine Ratte im Stück zu suchen hat und wozu die Maske fluoreszierende Farbe benötigt, sollte sich unbedingt eine der Vorstellungen im Schauspielhaus angucken (und nicht zuletzt auf die Fortsetzung dieses Beitrags gespannt sein).

Für die nächste Vorstellung am Donnerstag, den 16. Februar 2023 um 10 Uhr gibt es nur noch wenige Restkarten. Alle Informationen zum Stück und zu den weiteren Spielterminen findet ihr auf der Website des Theater Magdeburg.