Heute, am 09. November 2024 jährt sich eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zum 86. Mal. In der Reichspogromnacht 1938 kam es in Deutschland zu massiven antisemitischen Ausschreitungen. In dieser Nacht wurden jüdische Geschäfte zerstört und Synagogen niedergebrannt. Dieser Tag markierte einen Wendepunkt in der nationalsozialistischen Verfolgung von Jüdinnen und Juden.
Wie Ihr aktuell sicher mitbekommt, erstarken rechte Parteien und politische Strömungen in den Parlamenten. Wir, die Redaktion, stehen persönlich und mit unserer ehrenamtlichen Arbeit für eine offene und tolerante Gesellschaft und verurteilen jegliche Form von Antisemitismus, Faschismus und Menschenhass. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht und 7 Stolpersteine in der unmittelbaren Nähe von Kultureinrichtungen gesucht, geputzt und mit einer Blume versehen.
Damit Ihr, wenn ihr das nächste Mal feiern, ins Theater oder einfach nur was essen gehen wollt, nicht ungeachtet an den kleinen, mit Messingplatten versehenen Steinen vor überschreitet, sondern dass ihr eventuell innehaltet und euch verdeutlicht, dass das Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus nicht nur der Vergangenheit dient, sondern auch eine Mahnung für die Zukunft ist. Indem wir die Namen und Schicksale der Menschen hinter diesen Steinen kennenlernen, können wir die Erinnerung wachhalten und so ein Zeichen gegen das Vergessen setzen. Jeder Stolperstein erzählt die Geschichte eines Lebens, das durch Hass und Intoleranz aus dem Gleichgewicht geriet. Auch wir tragen Verantwortung für eine offene Gesellschaft und eine friedliche Zukunft.
Uns ist bewusst, dass 7 Stolpersteine nur eine kleine Menge der schlimmen Schicksale abdecken. Wer mehr zu den Erinnerungssteinen wissen möchte oder sogar eine Patenschaft übernehmen möchte, findet alle wichtigen Informationen hier.
Station 1: Karl-Schmidt-Str. 56 // Nahe des Volksbad Buckau //
Ettla Netti Hirschhorn und ihre Kinder
Ettla Hirschhorn, Tochter von Selig Hoch und Ciwie Wachtmann, wurde in Ottenhausen (heute Satoka, Ukraine) geboren. Ihre Familie, einschließlich ihres Bruders Mechel Joine, zog um 1908 aus Galizien nach Magdeburg, wo sie in der Kleinen Klosterstraße und später in der Rotekrebsstraße wohnten und ein Kleidergeschäft führten. Ettla heiratete Feiwel Hirschhorn, ebenfalls aus Galizien stammend, und sie hatten zwei Kinder, Heinz und Cilly. Nach dem frühen Tod von Ciwie 1925 und Feiwel 1931 führte Ettla das Geschäft in kleinerem Umfang weiter. Die Familie litt unter der zunehmenden Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten. 1938 wurden Ettla, Heinz und Mechel verhaftet und nach Polen abgeschoben, wo sie bis Sommer 1939 in einem Lager in Zbaszyn lebten. Das weitere Schicksal dieser drei bleibt unbekannt. Selig Hoch wurde 1938 verhaftet, kam aber kurz darauf frei und versuchte, zusammen mit Cilly, seiner Enkelin, die Familie zu erreichen. Letztlich wurde er 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er starb. Cillys weiteres Schicksal ist ungewiss.
Station 2: Buckauer Straße 4 // Nahe des Basta //
Friedrich Heinz Augut Liebau
Friedrich Heinz Augut Liebau, kurz Fritz Liebau, stammte aus einer evangelischen Fabrikantenfamilie in Magdeburg. Sein Großvater Hermann Liebau war ein erfolgreicher Ingenieur, der ab 1860 Gasanstalten und später Heizungsanlagen produzierte. Paul Liebau, Fritz’ Vater, übernahm ab 1920 die Firma, war ein angesehener Ingenieur und spezialisierte sich auf die Beheizung von Kirchen, darunter der Magdeburger Dom. Fritz wuchs mit seinen Schwestern Irmgard und Helene in Danzig und später in Magdeburg auf. Aufgrund seiner Epilepsie erlebte er gesundheitliche Einschränkungen, die sich in der Pubertät verschlimmerten. Nach wirtschaftlichen und familiären Rückschlägen, einschließlich des Konkurses der väterlichen Firma, wurde Fritz in verschiedenen Pflegeanstalten untergebracht. Schließlich wurde er 1944 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Königslutter eingewiesen und starb am 10. Mai 1944. Seine Todesursache wurde offiziell als „Herzmuskellähmung“ angegeben, wobei ein Verdacht auf „wilde Euthanasie“ besteht. Er wurde im Familiengrab in Magdeburg beigesetzt, kurz vor dem Tod seines Vaters im Juni 1944.
Station 3: Breiter Weg 32 // Nahe des In:takt //
Ehepaar Kreisel und seine Töchter Cäcilie, Ilse und Trude Gusta
Abraham Mattes Kreisel stammt aus Radautz, Bukowina, und zog später nach Magdeburg, wo er einen Wäscheladen betrieb. Er war ein frommer Jude und Vater von drei Töchtern: Cäcilie (Celia), Trude und Ilse. Seine Frau Ronie und er planten eine Auswanderung nach Palästina, doch 1939 wurde Abraham als im damaligen Polen Geborener verhaftet und im KZ Buchenwald inhaftiert, wo er am 22. Dezember 1939 starb. Seine Frau starb kurz darauf im März 1940. Die älteren Töchter, Cäcilie und Trude, entkamen 1939 mit einem Kindertransport nach England. Cäcilie wanderte später in die USA aus, während Trude 1946 nach Palästina ging. Die jüngste Tochter Ilse blieb zurück und kam in ein jüdisches Kinderheim in Leipzig. Am 10. Mai 1942 wurde sie deportiert und im Ghetto Belzyce ermordet.
Station 4: Breiter Weg 29 // Gegenüber der Stadtbibliothek //
Joseph Friedler und seine Tochter Gusta Herz
Joseph Pinchas Friedler zog mit seiner Familie aus Rozniatow, Osteuropa, nach Magdeburg. Er und seine Frau Esther, geborene Lehrer, hatten mindestens fünf Kinder, darunter Abraham und Gusta. Esther starb 1931 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Magdeburg beigesetzt. Joseph wurde 1938 für staatenlos erklärt und im Oktober zwangsweise nach Polen ausgewiesen, von wo aus sein weiteres Schicksal unbekannt blieb. Gusta, geboren 1884, war mit Max Herz verheiratet und führte mit ihm ein Kurzwarengeschäft. Nach seinem Tod 1935 plante sie, nach Palästina auszuwandern, was jedoch durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und bürokratische Hindernisse verhindert wurde. Ihr Vermögen wurde eingefroren, und sie lebte unter schwierigen Bedingungen in einem Judenhaus in Magdeburg. 1942 wurde Gusta Herz vermutlich nach Warschau deportiert und ihr restlicher Besitz versteigert. Ihr weiteres Schicksal blieb unklar. Ihr Schwiegervater Mechel Herz wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er starb.
Ehepaar Abraham Friedler
Abraham Friedler kam 1904 nach Deutschland und ließ sich ab 1913 in Magdeburg nieder, wo er Freide Geller heiratete. Das Paar hatte vier Kinder: Alexander, Elsa, Jette und Hanni. Die Familie war religiös. Abraham besuchte täglich ein jüdisches Bethaus. Sie führten gemeinsam mit dem Schwager Max Herz das Kurzwarengeschäft „Herz und Friedler“, das spätestens 1938 geschlossen wurde. Nach der Schließung des Geschäfts und zunehmender antisemitischer Verfolgung zogen sie 1939 in den Breiten Weg 99, wo auch Abrahams Schwester Gusta wohnte. Während die vier Kinder ins Exil flohen, blieb das Ehepaar in Magdeburg. 1943 wurden Abraham und Freide von Berlin aus nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Hanni erinnert sich, dass ihr Vater sie 1939 zum Schiff nach London begleitet und dies ihre letzte Erinnerung an ihn ist. Nach 1945 bestätigten Berichte, dass die Eltern von der Brandenburger Straße 2a nach Auschwitz deportiert wurden.
Ehepaar Biener und Sohn Eugen
Regina und Philipp Biener stammten aus Galizien und ließen sich in Deutschland nieder, wo sie vier Söhne bekamen: Eugen, Siegmund, David und Selmar. Philipp war ein erfolgreicher Geschäftsmann und Inhaber mehrerer Firmen in Magdeburg, darunter ein Möbelwarenhaus und ein Elektrik-Großhandel. Die Familie führte ein erfolgreiches Leben, bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Die Söhne emigrierten: Selmar und Elsa nach England, Siegmund mit Familie ebenfalls nach England, und David nach Israel. Philipp und Regina bereiteten ihre Ausreise vor, doch der Kriegsbeginn machte dies unmöglich. Eugen wurde verhaftet und 1941 in Dachau ermordet. Philipp und Regina wurden 1942 in ein Judenhaus umgesiedelt und schließlich nach Theresienstadt deportiert. Philipp starb drei Wochen nach der Ankunft. Regina wurde später nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.
Station 5: Brandenburger Straße 2a // Schräg gegenüber des Forum Gestaltung //
Familie Chaim Brustawitzki
Die Familie Brustawitzki stammte aus Kolno, nahe Bialystok in Podlachien. Der Vater, Chemia Brustawitzki, ein Pferdehändler, und seine Frau Rosa wurden beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Magdeburg interniert, wo ihre Tochter Eva 1914 geboren wurde. Die Familie zog nach Magdeburg nach und eröffnete 1921 das Hotel „Stadt Amsterdam“ mit koscherer Küche. 1933 wurden sie Opfer antisemitischer Übergriffe durch die SA. Nach der „Polen-Aktion“ 1938 wurden Chaim Baruch Brustawitzki, seine Eltern und Familie nach Zbaszyn an die polnische Grenze deportiert und durften kurzzeitig nach Magdeburg zurückkehren, bevor sie erneut ausgewiesen wurden. Ihre letzte Nachricht stammte aus Kolno im März 1940. Nach der deutschen Besetzung 1941 fielen die Juden in Kolno Pogromen und Massenhinrichtungen zum Opfer. Viele wurden nach Auschwitz deportiert. Niemand aus der nach Kolno deportierten Familie überlebte.
Station 6: Otto-von-Guericke-Straße 46 // Schräg gegenüber des Schauspielhaus //
Waldemar Böhmel
Waldemar Böhmel, über dessen Herkunft und frühen Lebensweg nur wenig bekannt ist, zog aus Meißen nach Magdeburg, wo er mit seiner Frau Therese in der Schoppenstraße 1a lebte. Die Ehe blieb kinderlos und wurde später geschieden, möglicherweise wegen seiner homosexuellen Neigung. Bekannt wurde er vor allem durch Polizei- und Gerichtsakten: 1934 wurde er wegen Betrugs zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. 1936 wurde er unter dem Vorwurf der Kuppelei inhaftiert und verbüßte seine Strafe in Coswig. Später wohnte er geschieden in der Otto-von-Guericke-Straße 46. 1940 wurde er erneut verhaftet und wegen Verstoßes gegen § 175 StGB und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Trotz Erreichen des Strafendes im August 1942 blieb er weiter in Haft und starb dort am 27. Mai 1944 ohne Angabe einer Todesursache.
Station 7: Immermannstraße 21 // Gegenüber des Pastel Blumencafes //
Rosa Renke
Rosa Renke, Tochter des jüdischen Ehepaares Salomon und Selma Herzfeld, wurde in Mansfeld geboren und heiratete 1898 den evangelischen kaufmännischen Angestellten Oskar Renke in Magdeburg. Sie bekamen einen Sohn, Max Alfred, der evangelisch aufwuchs, konfirmiert wurde und später eine kaufmännische Laufbahn einschlug. Rosa kümmert sich liebevoll um ihren Enkel Horst, den Sohn von Max. Trotz Rosas Integration in eine evangelische Familie betrachtete das NS-Regime sie aufgrund ihrer Abstammung als Jüdin. Dies führte dazu, dass sie, ihr Sohn Max (als „Halbjude“) und ihr Enkel Horst (als „Vierteljude“) unter den Nürnberger Gesetzen leiden. Oskar bot bis zu seinem Tod 1943 einen gewissen Schutz. Nach seinem Tod wurde Rosa nach Auschwitz deportiert und am 26. Oktober 1943 ermordet. Max und Horst überlebten die NS-Zeit.
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