Am 14. November öffnet das MAW in Magdeburg seine Türen für etwas, das in der Clubszene oft zwischen Bass, Nebel und Barlicht verloren geht: Raum für Reflexion. Unter dem Titel „Kompetent durchs Nachtleben“ startet das Awareness- und Soli-Projekt RAVE:IN offiziell in seine nächste Phase. Im Zentrum steht kein erhobener Zeigefinger, sondern eine Einladung zum Nachdenken – über Konsum, Verantwortung und das, was eine Nacht im Club für jede*n bedeuten kann. RAVE:IN will informieren, vernetzen und Strukturen schaffen, die das Feiern sicherer und solidarischer machen, ohne den Rausch zu verbieten.
Zum Auftakt geht es um „Drogen & Konsumkompetenz“, begleitet von Kokosu aus Dresden – mit Gesprächen, Austausch und Wissen aus der Praxis. Der Zugang bleibt bewusst begrenzt, die Presse ist ausgeschlossen: Es geht um Vertrauen, um offene Gespräche, um geschützte Räume.
Wir haben mit Patrick Drebenstedt vom RAVE:IN-Team und MAW Clubbetreiber über Motivation, Grenzen und Zukunft gesprochen – über Verantwortung auf dem Dancefloor, Care-Arbeit im Kollektiv und darüber, was es braucht, um wirklich kompetent durchs Nachtleben zu kommen.

nächste Termine:
14.11. RAVE:IN Kick-Off – „Kompetent durchs Nachtleben“
22.11. RAVE:IN – Soliparty mit dem Female Hip Hop Tresen

Ihr startet mit „Kompetent durchs Nachtleben“ und dem Schwerpunkt Drogen & Konsumkompetenz. Euer Ansatz ist, nicht zu verbieten, sondern zu befähigen. Das klingt nach Vertrauen in die Menschen. Wie ist dieser Gedanke bei euch entstanden – und was heißt das ganz praktisch für den Umgang mit Rausch?
Uns ist wichtig, dass Menschen lernen, bewusst und richtig zu konsumieren – statt einfach nur gewarnt oder bevormundet zu werden. Rausch gehört für viele zum Nachtleben dazu, also sollten wir ehrlich und offen darüber sprechen. Unser Ansatz ist, Wissen zu teilen, über Risiken und safer use aufzuklären und Räume zu schaffen, in denen Fragen erlaubt sind. Gemeinsam mit kompetenten Partner*innen wie Kokosu wollen wir Verantwortung und Bewusstsein fördern – ohne moralischen Zeigefinger, sondern mit echtem Vertrauen in die Menschen.
Viele reden über Awareness, aber oft bleibt es bei Symbolik oder Workshops, die nach außen gut aussehen. Was bedeutet Awareness für euch persönlich – jenseits der Theorie? Wann habt ihr selbst gemerkt, dass ihr in diesem Bereich aktiv werden wollt oder müsst?
Für uns war Awareness von Anfang an kein Trend, sondern eine Haltung. Schon beim Start unserer Projekte war klar, dass wir Verantwortung übernehmen wollen – für das, was in unseren Räumen passiert und für die Menschen, die sie besuchen. Awareness bedeutet für uns, hinzuschauen, zuzuhören und Strukturen zu schaffen, die Sicherheit und Respekt möglich machen. Das geht weit über Workshops oder Symbole hinaus – es ist etwas, das wir im Alltag, bei jeder Veranstaltung und in jedem Gespräch leben wollen.
Der Kick-Off findet im alten MAW-Gebäude statt – einem Ort, der selbst schon viel Geschichte geschrieben hat. Was habt ihr in den vergangenen 3 Jahren gelernt?
Ich würde sagen, wir haben in den letzten drei Jahren unglaublich viel gelernt – und wir lernen immer noch. Das ist auch wichtig, denn dieser Prozess hört nie auf. Jeder Schritt, jedes Event, jede Begegnung bringt neue Erfahrungen mit sich. Wir haben gelernt, wie viel Verantwortung in dieser Arbeit steckt, aber auch, wie viel Gemeinschaft, Vertrauen und Kraft daraus entstehen kann, wenn man dranbleibt und sich gegenseitig unterstützt.
Ihr schreibt, dass eure Veranstaltungen unter Ausschluss der Presse stattfinden, um geschützte Räume zu schaffen. Wie gelingt euch dieser Spagat zwischen Schutz und Sichtbarkeit? Und warum braucht Awareness manchmal auch Rückzug?
In letzter Zeit hatte ich – oder besser gesagt: hatten wir – genug Aufmerksamkeit. Manche Dinge brauchen einfach geschützte Räume. Die Themen, über die wir bei uns sprechen, sind oft sehr sensibel und persönlich. Da geht es um Erfahrungen, die nicht jeder von außen nachvollziehen kann, vor allem, wenn man nicht selbst Teil der Szene oder der Community ist. Deshalb ist es uns wichtig, diese Gespräche in einem sicheren Rahmen zu führen, wo Vertrauen, Verständnis und Respekt im Vordergrund stehen – nicht Öffentlichkeit oder Schlagzeilen.
Ihr arbeitet beim Auftakt mit Kokosu aus Dresden zusammen.
Was habt ihr euch von dieser Zusammenarbeit erhofft – und was ist vielleicht anders gelaufen, als ihr dachtet? Gibt es etwas, das ihr von anderen Städten lernen konntet?
Leider gibt es bei uns vor Ort kaum wirkliche Nachtkompetenz – also Menschen, die die Realität der Technoszene und den Umgang mit Substanzen wirklich verstehen. Als ich das Team von Kokosu kennengelernt habe und sie mir ihren Workshop vorgestellt haben, war für mich schnell klar: Das sind die richtigen für unsere erste Veranstaltung. Sie bringen nicht nur Wissen mit, sondern auch eine Haltung, die zu uns passt – offen, ehrlich und ohne Vorurteile. Von ihrer Erfahrung, wie man in anderen Städten mit solchen Themen umgeht, konnten wir viel lernen und gleichzeitig unseren eigenen Weg finden.
Welche weiteren Kollektive und Künstler*innen sind bei dem Kick-off mit dabei?
Genau deshalb haben wir bei uns extra Bereiche geschaffen, die Raum für Bewusstsein und Austausch bieten. Der Club muss nicht nur laut und schnell sein – er kann auch ein Ort sein, an dem man kurz durchatmet, Fragen stellt oder einfach ins Gespräch kommt. Zwischen Bass und Bewegung darf auch Platz sein für Reflexion. Es geht nicht darum, den Exzess abzuschaffen, sondern ihn bewusster zu leben – mit Wissen, Verantwortung und gegenseitigem Respekt.
In eurer Einladung heißt es: „Wer mehr weiß, kann bewusster handeln.“
Wie erlebt ihr das im Cluballtag? Haben Menschen überhaupt Raum, sich mit Wissen und Bewusstsein zu bewegen, wenn alles auf Geschwindigkeit, Lautstärke und Exzess ausgelegt ist?
Tatsächlich haben wir bisher keine direkte Unterstützung oder Reaktion von anderen Clubs bekommen. Das ist schade, aber vielleicht auch Teil des Prozesses – Awareness-Arbeit braucht Zeit, um anzukommen. Ganz anders ist es bei unseren Gäst*innen: Die Rückmeldungen dort sind unglaublich positiv. Viele sind dankbar, dass wir solche Themen offen ansprechen und Räume dafür schaffen. Besonders freut uns, dass inzwischen auch Menschen aus anderen Clubs Interesse zeigen und an unseren Workshops teilnehmen wollen. Das zeigt, dass sich etwas bewegt – langsam, aber stetig.
RAVE:IN ist nicht nur ein Projekt, sondern auch ein Statement für eine andere Art von Nachtleben – solidarischer, bewusster, caring.
Wie reagieren Szene, Clubs und Gäst*innen auf eure Arbeit? Spürt ihr Unterstützung – oder eher Überforderung, vielleicht auch Widerstände?
Was wir vor allem brauchen, sind noch mehr engagierte Menschen, die unser Team unterstützen. Nur so können wir in Schichten arbeiten und wirklich sicherstellen, dass alles reibungslos läuft – ohne dass jemand überfordert wird. Awareness-Arbeit bedeutet Verantwortung und auch emotionale Belastung, das darf man nicht unterschätzen. Deshalb achten wir darauf, dass alle im Team ihren Raum bekommen, um sich zurückzuziehen, durchzuatmen und selbst gut für sich zu sorgen. Nur wenn es uns gut geht, können wir auch für andere da sein.
Awareness-Arbeit bedeutet auch emotionale Arbeit.
Wie geht ihr als Team mit dieser Verantwortung um? Was braucht ihr, um nicht auszubrennen – und wie achtet ihr auf euch selbst, während ihr auf andere achtet?
Wir lieben es, unabhängig zu sein – das gehört für uns zum Wesen der Szene dazu. Wir glauben, dass die Club- und Kulturszene ihre Zügel selbst in die Hand nehmen sollte, statt sich ständig von außen sagen zu lassen, wie Nachtleben funktionieren muss. Natürlich ist die Zusammenarbeit mit Behörden und Politik manchmal notwendig, aber echte Veränderung entsteht nur aus der Szene heraus – durch Menschen, die selbst Teil davon sind und wissen, worum es geht.
Wenn ihr nach vorn schaut:
Was wäre für euch ein Zeichen, dass sich wirklich etwas verändert – im Bewusstsein, in der Sprache, im Verhalten? Und was wünscht ihr euch von der Stadt, von Veranstalter*innen, von Gästen?
Unser Konzept greift von Mal zu Mal stärker – und das merkt man deutlich. Mit jeder Veranstaltung sammeln wir neue Erfahrungen, aus denen wir lernen und wachsen. Auch wenn wir im Jahr vielleicht nur rund zehn Veranstaltungen machen, sehen wir oft größere Fortschritte als manche Locations, die 160 Events im Jahr haben. Das liegt daran, dass wir gezielt reflektieren, nachbesprechen und unser Konzept ständig weiterentwickeln. Wenn es zu unangenehmen Situationen kommt, reagieren wir ruhig, klar und mit Respekt gegenüber allen Beteiligten. So entsteht Vertrauen – und genau das ist die Grundlage dafür, dass Awareness im Club wirklich wirken kann.
Viele sagen: Die Clubkultur verändert sich – mehr Bewusstsein, aber auch mehr Erschöpfung.
Wie nehmt ihr das wahr? Haben sich die Bedürfnisse der Gäst*innen in den letzten Jahren verändert?
Die Clubkultur war schon immer im Wandel – und das ist auch gut so. Veränderungen gehören dazu, weil sich Gesellschaft, Menschen und ihre Bedürfnisse ständig weiterentwickeln. Wir erleben, dass viele heute bewusster feiern wollen – mit mehr Achtsamkeit füreinander und für sich selbst. Gleichzeitig spüren wir aber auch eine gewisse Erschöpfung, vor allem nach den letzten Jahren. Deshalb ist es umso wichtiger, Räume zu schaffen, in denen beides Platz hat: Exzess und Entschleunigung, Energie und Erholung. Genau da setzt unser Ansatz an.
Wenn ihr über „Kompetenz im Nachtleben“ sprecht – gehört dazu nicht auch, wie Städte mit Nachtkultur umgehen?
Was müsste Magdeburg tun, damit sich eine lebendige, aber sichere Szene entfalten kann – jenseits von Kontrolle oder Verbotslogik?
Magdeburg muss sich ehrlich gesagt ein bisschen den Stock aus dem Arsch ziehen. Wenn man will, dass hier wirklich lebendige Clubkultur entsteht, dann braucht es Vertrauen statt Kontrolle. Nachtkultur ist kein Störfaktor, sondern ein wichtiger Teil urbanen Lebens. Die Stadt sollte weniger verbieten und mehr ermöglichen – Freiräume schaffen, Dialoge auf Augenhöhe führen und die Szene als das sehen, was sie ist: kreativ, engagiert und voller Potenzial. Nur so kann Magdeburg wirklich wachsen und eine eigene, starke Nachtidentität entwickeln.
Awareness-Arbeit wird oft von engagierten Einzelpersonen getragen.
Wie kann man solche Strukturen langfristig sichern, damit sie nicht von Idealismus abhängen?
Braucht es feste Förderungen, Räume, Anerkennung als Teil von Kulturarbeit?
Indem man die Menschen, die diese Arbeit leisten, anständig bezahlt und gut ausbildet. Awareness-Arbeit ist keine Nebensache, sondern verantwortungsvolle, emotionale und oft belastende Arbeit. Wenn wir wollen, dass sie langfristig funktioniert, müssen wir sie auch als das anerkennen – mit fairer Bezahlung, solider Ausbildung und Strukturen, die diese Menschen tragen, statt sie auszubrennen.
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