Foto: Nilz Böhme
Die Stadt der Fahrraddiebe ist eine Uraufführung und gleichzeitig das Eröffnungsstück der Spielzeit 2016/17 am Schauspielhaus Magdeburg. Eine Inszenierung, von der sich die Bürger*innen Magdeburgs, egal ob Theatergänger*innen oder nicht, viel erhoffen, denn es gibt einige vom Fahrraddiebstahl Geplagte hier. Mir selbst wurden in den vergangenen sieben Jahren drei Zweiräder entwendet. Eins davon vor der heutigen Spielstätte dieses Stückes. Egal. Im Vorfeld der Stückentwicklung wurden Interviews geführt und die Magdeburger*innen angeregt, von ihren Erfahrungen zu berichten. Der Regisseur Hakan Savaş Mican hat sich selbst in die Stadt begeben, um sie kennenzulernen und ihre Eigenheiten zu ergründen.
Das klingt vielversprechend.
Aus all der Recherche und der Geschichtensammlung ist eine Produktion entstanden, die zwar nicht auf die Schicksale derer fokussiert, denen das Fortbewegungsmittel gestohlen wurde, dennoch ist es eine Collage, die auf andere Art relevant ist für die Bewohner*innen Magdeburgs.
Die Stadt der Fahrraddiebe ist ein ästhetisches Stück. Die Leere, die aus der Diskrepanz zwischen Titel und Inhalt entsteht, wird von der spärlichen Bühnengestaltung aufgenommen. Im Laufe der Inszenierung füllt sie sich, sofern sich die Zuschauenden darauf einlassen, mit polarisierender Musik, verschiedenen Haltungen und Emotionen sowie Momenten der Berührung, bei denen sich die Betrachtenden verstanden oder gar zu Hause wähnen. Die Stadt der Fahrraddiebe ist eine Komposition, bei der nicht jede Episode sofort verständlich erscheint. Es gibt viel zu entdecken und auch viel Raum für Assoziationen, Gedanken, Traumbilder sowie Hoffnung.
Besonders imposant agiert Marie Ulbricht, die Hassan aus Aleppo nicht karikiert, sondern ein wenig überspitzt als einen Jugendlichen in der Fremde darstellt, der nicht oft nach seinen Träumen gefragt wird und voller Sehnsucht bzw. Leidenschaft ist. Mit diesen Emotionen werden die Zuschauer*innen in einem beeindruckenden Hassmonolog konfrontiert.
Viel leiser spielt dem gegenüber Amadeus Köhli auf. Er ist einer der neuen Darsteller am Theater Magdeburg und erarbeitet sich bei seinem ersten Stück eine Präsenz mit dezentem Spiel, aber auch bedrohlichen Sequenzen.
Als Dritte ist Susi Wirth hervorzuheben. Sie trägt einen Großteil zur Ästhetisierung bzw. Kunstwerdung der Inszenierung bei. Sie verkörpert u.a. die Elbe. Sie ist der belebende Strom und geleitet uns durch die Stadt mit Hilfe von Videoprojektionen (Video: Guillaume Cailleau).
Das Stück konfrontiert die Zuschauenden mit Vorurteilen gegenüber Magdeburg und seinen Bewohner*innen. Die Protagonist*innen auf der Bühne stehen für verschiedene Facetten dieses Ortes. Sie spiegeln Sehnsüchte und Träume wieder, bringen das Publikum zum Schmunzeln, Staunen und sind in der Lage, zu verstören. Dennoch sind wir uns im Grunde einig:
Da, wo ich hin will, muss ich nicht funktionieren.
Da, wo ich hin will, funktioniert die Welt und nicht die Menschen in ihr.
Da, wo ich hin will, will ich bleiben.
(Dramaturgie: David Schliesing, Maiko Miske)
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