Konzerte, Theater, Ausstellungen, Film und Diskussion, für jung und alt, vormittags, nachmittags und abends. Die Vielseitigkeit ist es, die beim Programm der Tage der jüdischen Kultur und Geschichte Magdeburgs sofort auffällt. Vom 10. Oktober bis zum 12. November ist im Forum Gestaltung für alle etwas dabei.
Daniel Kahn und seine Band The Painted Bird, die auf ihrer Tour zum neuen Album „The Butcher’s Share“ am 18. Oktober in Magdeburg vorbeischauen, sind mit ihrem tanzbaren Klezmer-Punk sicher ein Highlight. Das musikalische Programm ist damit jedoch noch lange nicht ausgeschöpft, beim Konzert „A Glezele le khaim“ vom Klezmer-Trio aus Hannover, dem Jazz in der Kammer Konzert Schnaftl Ufftschick GOD BRASS YOU und dem Leonard Cohen Liederabend von Susan Borofsky und Joseph L. Heid kann man sich schwer entscheiden, welchem Konzert die Vorfreude als erstes gelten soll. Lieder der jüdischen Kultur aus aller Welt gibt es beim Liederprogramm LE DOR VA DOR, beim musikalischen Programm zu 70 Jahre Israel von der Weltunion Magdeburger Juden e.V. und beim Musikalischen Nachmittag mit der Gruppe Klezmer Jüdisch Blues & mehr.
Seit 1938 gibt es in Magdeburg keine Synagoge mehr, deshalb lohnt sich das Benefizkonzert zum Neubau der Synagoge in Magdeburg nicht nur musikalisch. Denn das Otto eine Synagoge braucht, wissen wir nicht erst seit dem Banner in der Julius-Bremer-Straße. Mehr darüber gibt’s beim Gespräch am Runden Tisch am 23. Oktober.
Jüdisches Leben in Magdeburg sichtbar zu machen, das sei ein großes Ziel der Kulturtage, erzählt mir Norbert Pohlmann, der Geschäftsführer des Forum Gestaltung. Für Aha-Momente sorgen der Vortrag zu 25 Jahre russischsprachig-jüdische Zuwanderung nach Magdeburg, die Veranstaltung zu Christen und Juden in der Geschichte unserer Stadt und die offene Sitzung des Jüdischen Gesprächskreises des JSK Ludwig Philippson Zentrum e.V.
Ein anderes großes Ziel sei es, ein kulturelles Highlight zu schaffen, und trotz aller Kontorversen durchaus unterhaltsam zu sein. Dass das geklappt hat, zeigen die zahlreichen Theater- und Literaturveranstaltungen. Christiane Hagedorn liest aus „Brennendes Geheimnis“ von Stefan Zweig, die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron liest aus ihrem Buch „Sweet Ocupation“, und die Autorin und Soziologin Ruth Zeifert präsentiert ihr Buch „Nicht ganz koscher. ,Vaterjuden’ in Deutschland.“, auch jüdische Literatur für Kinder wird präsentiert. Mit dem Erzähltheater Machandel, der Inszenierung von „Scherben“ von Arthur Miller und „Das Kind von Noah“ nach E. E. Schmitt kommt auch das Theater nicht zu kurz.
Die Verbindung zu Israel ist eine wichtige Komponente der Tage der jüdischen Kultur und Geschichte. Mathias Max Hermann berichtet über seine autobiographische Soloinszenierung „Das Wohnzimmer meines Lehrers“, die von der Suche nach Hermanns ehemaligem Schauspiellehrer handelt, den er schließlich in Israel findet. Am 22. Oktober wird in den schönen Räumen des Forum Gestaltung „1948. Die Ausstellung“ eröffnet, die über die Staatsgründung Israels aufklärt.
Beim Durchblättern des Programms werden immer wieder Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deutlich. In der Eröffnungsveranstaltung, einer Szenischen Lesung aus „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor, werden die gesellschaftlichen Veränderungen behandelt, die der Nationalsozialismus in Deutschland damals mit sich brachte. Beim Literarischen Workshop des FrauenNetzWerks gibt es „Liebesbriefe aus der Vergangenheit“ als Input. Die Brücke zwischen dieser Vergangenheit und der Gegenwart baut besonders die Bild-Installation „Gemeinsam erzählte Geschichte: Die Flüchtlingskonferenz von Évian 1938“. Bei dieser Konferenz sollte damals über die Möglichkeiten einer geregelten Auswanderungen der im Deutschen Reich und im annektierten Österreich systematisch verfolgten Juden beraten. Die Verhandlungen scheiterten an der Schwerfälligkeit diplomatischen Handelns. Die Zeichnungen der Bild-Installation wurden 2016/17 von muslimischen Geflüchteten aus Syrien angefertigt. Es zeigt sich, dass das Ganze aktueller nicht sein könnte, die Möglichkeiten aus der Vergangenheit zu lernen, sollten wir alle nutzen. Brücken vom damals ins heute schlägt auch der Dokumentarfilm „Moritz Daniel Oppenheim – Der erste jüdische Maler“, der im Moritzhof gezeigt wird.
Die jüdischen Tage der Kultur und Geschichte Magdeburg zeigen dieses Jahr zum 10. Mal die Vielseitigkeit jüdischen Lebens in Deutschland, Mazel Tov! Ursprünglich war die Motivation Kultur zu schaffen, berichtet Norbert Pohlmann, heute sei sie angesichts zunehmendem Antisemitismus auch politischer Natur. Seine Hoffnung sei es damals gewesen, dass jüdisches Leben irgendwann so zum Alltagsleben im Deutschland gehöre, dass die Tage der jüdischen Kultur nicht mehr als Besonderheit stattfinden müssten. Diese Hoffnung habe sich lange nicht erfüllt. Das Verhältnis bleibe vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein besonderes, und die Tage der jüdischen Kultur seien heute politische Notwendigkeit. Er betont, dass fehlende Kultur- und Bildungsangebote oft die Ursache seien für faschistoide und rechtsradikale Entwicklungen. Die Tage der jüdischen Kultur könnten Teil einer kulturellen Bewegung sein, die dagegen wirkt.
Zum Abschluss der Tage der jüdischen Kultur veranstaltet das Forum Gestaltung am 11. November eine Tag des Gedenkens. Der 9. November ist dieses Jahr ein Freitag und damit der Auftakt zum Shabbat, deshalb soll 2 Tage später an die Ereignisse vor 80 Jahren erinnert sein. Gut zugehört werden sollte dabei dem Zeitzeugen Luis (Ludwig) Simonsohn aus Santiago de Chile, der erzählt, wie er als 13-Jähriger die Reichpogromnacht in Magdeburg erlebt. Ein bisschen gelebte Erinnerungskultur schadet uns schließlich in den heutigen Zeiten sicher nicht.
Hinterlasse einen Kommentar