Foto: Andreas Lander
Das Richtige tun. Sittsam und ehrlich handeln. Moralisch unverwerflich agieren. Ein guter Mensch sein. Aber wie, ohne sich selbst zu verleugnen und ständig die eigenen Ansprüche ans Leben hinter die der anderen zu stellen? Sich selbst mal etwas gönnen, aber nicht auf Kosten der Nachbar*innen. Wie verzwickt dieser löbliche Vorsatz ist, verdeutlicht „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht in einer Inszenierung des Schauspieldirektors Tim Kramer am Schauspielhaus.
Alles kostet Geld und die Gebote der Götter zu befolgen, hilft nicht gegen Mangel. Deshalb ist sich jede*r selbst die/der nächste. Erst am Sankt Nimmerleinstag wird die Welt zum Paradies. Doch so niederschmetternd, wie all dies klingt und einige von uns es vielleicht allzu gut kennen, kommt das Stück nicht daher. Das Elend der Gesellschaft zu Brecht’s Zeiten wie heute wird gekonnt in unterhaltsame Szenen gepackt. So begegnet uns die Ungerechtigkeit des Lebens zwar unangenehm, aber auch kurzweilig, artistisch, melodisch und akustisch (Musikalische Leitung: Tobias Schwencke). Sie ist echt und nah. Jedes Hier besitzt auch ein Dort. Die Charaktere und Situationen sind facettenreich, zwar mitunter übertrieben dargestellt, aber so ist das im Theater. Immer wieder wird die Wand zum Publikum eingerissen und das Bühnenspiel demaskiert, denn was ihr auf der Bühne seht, ist Leben. Das Stück als Ansprache ans Publikum, es besser zu machen bzw. wirksamer zu sein (Dramaturgie: Laura Busch).
Wenn in einer Stadt ein Unrecht geschieht, muss Aufruhr sein!
Die Welt nicht ändern zu können, ist die billigste aller Ausreden.
Vielleicht hilft es in eine andere Rolle zu schlüpfen, so wie es die Prostituierte Shen Te tut, um den eigenen festgefahrenen Standpunkt zu umgehen und die eigene Last zu lindern. Egal, ob dieser Ausweg erfolglos ist, irgendetwas muss getan werden, um das Leben nicht nur hinter sich zu bringen, sondern etwas Gutes darin zu sehen…
Ja, das geht, denn das Leben ist mehr als nur schwarz und weiß! Lasst uns auf die Zukunft anstoßen, denn wir sind bereit, die Zuversicht trotz allem nicht zu verlieren.
Maike Schroeter überzeugt in ihren Hauptrollen als Shen Te/ Shui Ta und ist zuckersüß, wenn sie mit einem imaginären Kind die Bühne erkundet. Hin- und hergerissen leiden wir mit Shen Te, die von der Gesellschaft wegen ihrer Gutmütigkeit ausgenutzt wird. Das Ensemble stützt Maike’s Figuren mit einem abwechslungsreichen Spiel, ausgeklügelten Reifenchoreografien und imposanten Slapstickeinlagen. Die Schauspielenden agieren in einem anderen Raum, die Bühne ist eindeutig verwandelt und doch auch als Bühne erkennbar. Mit seinem Bühnenbild erzeugt Gernot Sommerfeld eine fremde Landschaft, die das Publikum auf eine Reise zu sich selbst schickt. Dabei sind die Schauspieler*innen im Grunde gleich gekleidet mit schwarzer Hose, schwarzen Sneakern und weißem Hemd. Mit seinem Kostümbild weist Sommerfeld auf das Wesen der Figuren hin und dass wir alle gleich und Menschen sind. So agiert er ganz im Sinne Brechts, der den/die Schauspieler*in als Menschen, das Bühnenbild als Bretterhaufen und das Stück als Gesellschaftsabbild enthüllt.
Nicht alles ist perfekt und manch verquerer Liedtext regt die/den Zuschauer*in zum Nachdenken an, ohne die Atmosphäre des Schauspiels zu zerstören. Traut euch, diese Reise anzutreten und beobachtet nicht nur das Treiben auf der Bühne bzw. im Leben, sondern werdet aktiv.
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