Es ertönt ein kurzes Summen. Klick. Stille. „Naja, vielleicht muss man der einfach ein bisschen nachhelfen”, hofft der Mann. Er blickt seine Eisenbahn kurz an, die auf der Teststation steht. Schaut auf und lacht unsicher zu der rothaarigen, kleinen Frau hinter dem Tresen. „Das ist eigentlich nur noch was für Bastler, hier können wir die nicht gebrauchen.“, sagt sie.

Die kleine Besitzerin wirkt groß in diesem Laden. Es ist klar, dass es ihr Territorium ist, hier kennt sie sich aus. Sie findet für alle Dinge den richtigen Platz, obwohl einem das unmöglich erscheint, denn die Menge an Sachen ist überwältigend. Geschirr, Bücher, Kabel, Platten, Kameras. Doch sie scheint für alles einen Platz zu kennen. Sie sieht Struktur, wo man auf dem ersten Blick keine sieht.

© Marie Plesse

Auch der größte Raum des Ladens wird von Unmengen an Eisenbahnzubehör ausgefüllt. Schienen, Bäume, Häuschen. Sie nehmen Platz ein, scheinen wichtig zu sein. Kaum eine Stelle an den Wänden ist frei. Es ist klar, bei nur einem einzelnen Besuch in diesem Laden, allein in diesem Raum, lässt sich nicht alles entdecken.

Die Eisenbahnen und das Zubehör sind das Standbein des Ladens. Das war nicht immer so. Als Gudrun Hahn-Floris den Laden 1991 übernimmt, ist es das Glasporzellan, dass es zu DDR- Zeiten nicht gab, für das alle in den Laden kommen. Später dann Videorekorder, Videokassetten. Die Menschen wollten immer die neuste Technik. Das Geschäft boomte nach der Wende. Doch nach `96 lief es jedes Jahr immer schlechter. Ebay kam. Kaum wurde noch Technik aus dem An- und Verkauf gekauft, geschweige denn gebracht.

Das war der finanzielle Einbruch. Aufgeben war aber keine Option. Der Laden passte sich an den Umbruch an, sie richteten einen Onlineshop bei 1&1 ein. Für das, was jetzt noch am besten läuft, nachdem der Rest des Sortiments – Glas, Porzellan, Technik – wegbrachen. Modelleisenbahnen sind das, womit sich der Laden jetzt hält. „Da muss man sich anpassen. Das ist so. Wenn ich jetzt 10 Jahre jünger wäre, würde ich mich vielleicht ärgern, aber jetzt ärger ich mich nicht mehr. Meine Zeit ist irgendwann auch abgelaufen.“

Gudrun Hahn-Floris hofft trotzdem, dass sich durch die Umweltdiskussion die Menschen wieder zu ihrem Laden in der Keplerstraße hingezogen fühlen. Bewusster werden und Gläser

und Teller einfach gebraucht kaufen, anstatt neu. Denn Neuproduktionen braucht es eigentlich nicht mehr. Es ist alles schon da.

Um bei dem rasanten Wandel mitzuhalten, den sie auch in ihrem Gebrauchtwarenhandel zu spüren bekommt, muss Gudrun Hahn-Floris immer auf dem Laufenden bleiben und sich den neuen Bedingungen und Trends anpassen. Durch Recherche und durch Kund*innen, die einem immer etwas beibringen, bleibt sie am Nabel der Zeit und wird selbst zur Informantin für viele Antwortsuchende.

Frau Hahn-Floris nimmt die Eisenbahn aus der Teststation, gibt sie dem älteren Herrn wieder und bewegt sich Richtung Treppe. Aus dem Raum hinten im Laden schleicht der Mann ihr hinterher, vorbei an den zahlreichen verschlissenen Romanen und Sachbücher. Er folgt ihr über die Treppen nach unten. Dabei streift er die Hosen und Gürtel, die an dem Geländer auf jemanden warten, der sie wieder wertschätzt.

Mehr als 30 Euro kann sie ihm nicht anbieten. Der Mann verabschiedet sich, seine Frau geht mit ihm durch die Tür nach draußen. Verabschiedet sich nicht. „Die Leute werden auch verunsichert, die denken, es ist wertvoll, auch durch diese Fernsehsendung Bares für Rares. Da denkt jeder der hat was Wertvolles und das ist oft gar nicht der Fall. Das kriegen wir halt nicht mehr in den Ankauf.“

Ganz selbstverständlich, mit ernstem Gesicht bewegt sie sich wieder die alte Treppe hoch. „Ich bin für den ganzen Tag erstmal beschäftigt.” ruft sie ihrer Kollegin zu. Vorbei an den Büchern und Spielen, zurück hinter den gläsernen Tresen, fängt sie an, die alten braunen Kartons auszuräumen und Eisenbahnhäuschen an ihren Platz zu stellen.

Eisenbahnen sind das Geschäft, aber nicht die Liebe. Die große Liebe sind die Bücher. Bücher, Kunst und Schmuck. „Bücher nehmen wir ja nicht mehr. Da haben wir uns einfach übernommen.“ Es sind sogar so viele Bücher, dass eine Verwarnung kam, weil der Boden nicht mehr so viel standhält.

Unter den Fenstern in der Bücherecke sind unzählige alte Postkarten mit schönen Handschriften verziert in großen Kästen einsortiert. Von vergilbten Karten lächeln einem kleine Kinder entgegen, daneben zeigt eine andere Karte die Weiten der Alpen. Umgeben von Bücherregalen, in denen mit Beschriftungen versucht wurde, eine gewisse Ordnung in die bis unter die Decke vollen Regale zu bekommen. Aber gerade diese volle Unordnung lässt einen wohl fühlen. Es ist fast kein Wunder, dass eine Kundin einmal fragte, ob sie ihre Masterarbeit hier an dem kleinen Tisch in der Nische schreiben könne. Weil die Atmosphäre so schön ist. Aber der Platz

ist für die reserviert, die in den Büchern stöbern wollen und alte Briefmarken beschauen. Da kann sie auch keine Ausnahme machen.

Gudrun Hahn-Floris erzählt begeistert von der Band In my Days, die hier in der Bücherecke eines ihrer Videos drehte. „Da haben se den ganzen Tag gedreht, für nur ein paar Sekunden. Das war schon schön.“ Auch zu der Premiere des Videos wurde das ganze Team in die Feuerwache eingeladen.

Durch den Laden und ihr Interesse an ihren Mitmenschen hat sich Frau Hahn-Floris einen großen Bekanntenkreis aufgebaut. Viele Stammkund*innen kennt sie schon seit deren Kindheitstagen. Heute kommen sie mit ihren eigenen Kindern her. Einige sind zu Freund*innen geworden, bei denen sie stehen bleibt, wenn sie sich auf der Straße treffen.

Und verschiedener könnten diese nicht sein. Von Sozialhilfeempfangenden und Obdachlosen bis hin zu Professor*innen und Kunstschaffenden. Jede*r scheint hier etwas zu finden oder loswerden zu wollen. Oder ein offenes Ohr zu suchen. Ihr vertrauensvolle Art wird belohnt. Erst kürzlich kam ein Obdachloser in das Geschäft, in der Hoffnung, etwas von seinem Hab und Gut zu verkaufen, das ihm noch geblieben ist. Gudrun Hahn-Floris wies auf die Suppenküche hin, und gab dem Mann zwei Euro. Zehn Tage später kam er zurück, bedankte sich für die Hilfe und sie bekam ihr Geld zurück. „Wir sind nicht nur Verkäufer, wir sind auch Lebensberater. Wir helfen in allen Situationen.“

Von Lara Höfemann