Eine Reportage über den Alkoholkonsum in Handwerksbetrieben 

Es riecht nach Bier, Zigaretten und Urin. Drei Männer stoßen mit Sterni an und grölen laut. Trotz der Kälte versammeln sich auf einer heruntergekommenen schwarzlackierten Bank. Sie ist ganz links platziert neben drei weiteren Bänken auf dem Olvenstedter Platz in Magdeburg. Ein Platz, den täglich viele Menschen überqueren, doch kaum einer verweilt dort länger als nötig. Vor der Postfiliale an der Ecke wird die Warteschlange immer länger und der Supermarkt daneben  füllt sich. Auch an der Straßenbahnhaltestelle stehen Menschen, die auf die nächste  Bahn warten. Auf der rechten Seite des Platzes befindet sich die Blumeninsel, ein kleines Gebäude aus Glas, der Gärtnerei Gerber. Es ist das einzige Geschäft, das direkt  auf dem Olvenstedter Platz platziert ist. Daneben ist ein unscheinbarer Stein platziert.  Eingraviert steht fast unlesbar: „Zum Gedenken an Erich Scharf – Der im Kampf um  Deutschlands Einheit am 30. Mai 1948 hier verunglückte.“ Das Denkmal scheint niemanden zu interessieren. Nicht ein Fußgänger, der an der Stelle die Straße überquert  wirft ihm einen Blick zu. 

Einige Meter entfernt von der linken Bank steht ein grüner Mülleimer aus Metall auf  dessen Deckel liegt eine leere Flasche Kräuterlikör. Die drei Männer tragen schmutzige Arbeitskleidung und ihre Gesichter sind von Bartstoppeln übersät. Sie verbringen  hier täglich ihre Mittagspause bei zwei oder drei Flaschen Bier. 

Martin (Name geändert), 47 Jahre alt, Maler und Lackierer 

Der eine von ihnen hat dreckige, raue Hände und in seinen Hautfalten sammeln sich  die Reste von Gips und Farbe. Auch in seinen dunkelbraunen Kopf- und Armhaaren  und auf seiner weißen Latzhose kleben Überbleibsel von der Arbeit. Martin ist Maler  und Lackierer von Beruf und arbeitet täglich auf verschiedenen Baustellen. Dabei stehen er und seine Kollegen oft unter schweren Wetterbedingungen auf Gerüsten, Leitern oder Bänken, um überall gut hinzukommen. Trotz der Arbeiten in schwindelerregender Höhe gehört Alkohol für ihn und viele Arbeitskollegen zu einem  Tag auf der Baustelle dazu. Martin zieht an seiner Zigarette und wirft sie zu Boden, um  sie mit dem Fuß auszudrücken. Dann öffnet er mit seinem Schlüssel das zweite Bier  und erklärt: „Manche lassen sich schon volllaufen und trinken während der Arbeit einen  halben oder dreiviertel Kasten Bier. Die sind abends nicht mehr ansprechbar und den Mist, den die verzapfen, den müssen die anderen wieder ausbessern.“ Doch solang  alles in der vorgegebenen Zeit erledigt werde und niemand die betroffenen Kollegen  melde, würde sich auch nichts ändern. Er selbst würde sich nicht als Alkoholiker bezeichnen. „Ich trinke vielleicht so zwei bis vier Bier am Tag, das macht keinen Unterschied bei der Arbeit“, sagt er. 

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit ist Alkohol „einer der wesentlichen Risikofaktoren für zahlreiche chronische Erkrankungen und für Unfälle.“ In Deutschland  gelten 1,6 Millionen Menschen der 18- bis 64-Jährigen als alkoholabhängig. 

Zwar wird in Martins Betrieb viel Alkohol getrunken, wirklich viel passiert sei aber noch  nicht. Er erinnert sich nur an zwei Geschichten bei denen der Alkoholkonsum Folgen  hatte: „Ein Kollege ist Junggeselle und der ist eigentlich ab elf Uhr immer ziemlich voll,  es ist aber nie was passiert. Nur einmal, da stand er auf dem Gerüst und ist dann  runtergestürzt und hat sich den Arm geprellt. Ein anderer hat sich mal die Hose voll gepinkelt im Suff.“  

Bereits ein Glas Sekt oder ein Bier können laut der Bundeszentrale für gesundheitliche  Aufklärung zu Einschränkungen im Sehvermögen und der Bewegungskoordination  führen. Es wird geschätzt, dass der Konsum von Alkohol für rund 20 Prozent aller Arbeitsunfälle verantwortlich ist. 

Martin arbeitet seit 30 Jahren in dem Beruf und bemerkt in den letzten Jahren einen  Wandel, denn die jüngere Generation würde kaum bis gar nicht bei der Arbeit Alkohol  trinken. Er fragt den Mann neben sich nach Feuer und zündet seine Zigarette. 

Jens (Name geändert), 61 Jahre alt, Schweißer 

Der Mann neben ihm heißt Jens und arbeitet seit über 40 Jahren als Schweißer in  einem Metallunternehmen. Er hat graue lockige Haare und trägt einen blauen Arbeitsoverall. Seine dunklen Augenringe und die abgemagerte Figur lassen ihn müde und  erschöpft wirken. Jens erzählt von dem Ritual einiger Kollegen, die vor der Arbeit einen so genannten Startpilot, ein Schnapsfläschchen, zu sich nehmen: „Startpilot nennt  man den Vorgang, wenn einem schwer anspringenden Motor extra Kraftstoff beige führt wird, damit er leichter anspringt. Manche Kollegen können mit ihrem Startpilot  auch leichter mit der Arbeit beginnen.“ Das sei aber vor allem bei Kollegen seiner Generation üblich, bei den Jüngeren nicht. Jens kramt ein trockenes, belegtes Brötchen  aus seiner Tasche und beißt rein. Einige Brösel bleiben in seinem Bart hängen, andere  fallen in die Brusttasche seiner Arbeitsjacke. Er nimmt einen Schluck Bier und erzählt  von einem Kranfahrer bei seiner Arbeit: „Der ist dafür bekannt, dass der mit fünf Bier  intus noch viel besser fährt. Rotzevoll kann der die Last noch zentimetergenau abset zen.“ Er berichtet von der Alkoholbeschaffung und dem eingeweihten Pförtner, der den  Getränkelieferanten wöchentlich durchwinkt. Bei der Arbeit regelmäßig Bier zu trinken  sei in seiner Firma ganz normal und auch die Geschäftsleitung würde dies dulden.  

In vielen Betrieben ist es mittlerweile gängig, dass die Arbeitnehmer ein Formular unterschreiben müssen, in dem sie ihrem Arbeitgeber versichern, dass sie während der  Arbeit keinen Alkohol trinken. Das Formular dient zur Absicherung der Arbeitgeber und  der damit entzogenen Verantwortung, falls ein Arbeitnehmer doch Alkohol konsumieren sollte. 

Christian (Name geändert), 53 Jahre alt, Hausmeister 

Jens reicht dem dritten im Bunde, Christian, das nächste Bier und fragt ihn nach der  Uhrzeit. „Zehn vor halb, wir müssen gleich los“, erinnert Christian die beiden. Er arbei tet als Hausmeister in einem mittelständischen Unternehmen. Im Gegensatz zu den  anderen beiden wirkt er fit und gepflegt, nur sein graues Hemd lässt vermuten, dass  er einem handwerklichen Beruf nachgeht. Zwei weitere Hausmeister arbeiten in dem  Unternehmen, einer von ihnen sei regelmäßig betrunken auf der Arbeit. „Der trinkt öfter  mal in unserer Werkstatt heimlich ein paar Bierchen und Schnäpse mit unserem Vor stand. Da wird niemals jemand etwas sagen.“ Generell wären in seinem Unternehmen  alle eher offen dem Thema Alkohol gegenüber. So würden viele Kollegen Bier und  Sekt an ihren Geburtstagen ausgeben. „Der ein oder andere betrinkt sich da schon  auch mal. Da sagt aber keiner was, sonst dürfte ja niemand mehr trinken“, sagt Chris tian. Er nennt vor allem die Gruppenzugehörigkeit als Grund für den hohen Alkohol konsum. „Bei einer Zigarette oder einem Bier lernt man sich ganz anders kennen. Da  werden die Menschen locker und tauen auf“, erklärt er.

„Männer, es ist halb, wir müssen wieder ran“, ruft Martin nach einer halben Stunde. Alle trinken ihr zweites Bier aus und stellen es neben den grünen Mülleimer. Martin  reicht den anderen einen Kaugummi und sperrt sein Fahrrad auf. „Macht et jut!“, rufen  sie einander zu. Martin und Jens steigen auf ihre Fahrräder und Christian in die  nächste Straßenbahn. Sie fahren wieder zu ihren Arbeitsplätzen zurück. Sechs Flaschen Sterni bleiben zurück.