Vor rund 30 Jahren, am 12. Mai 1994, erlebte Magdeburg eine der dunkelsten Stunden seiner Geschichte. Die Gewaltausschreitungen zu Himmelfahrt erschütterten die Stadt und hinterließen tiefe Wunden in der Gesellschaft. Doch anstatt zu verdrängen, setzt ein Bündnis aus verschiedenen Gruppen rund um den Jahrestag ein Zeichen gegen das Vergessen. Die Aktionswoche vom 6. bis 12. Mai 2024 steht ganz im Zeichen des Gedenkens, der Aufklärung und des gemeinsamen Engagements gegen rechte Gewalt.

Ein Rückblick auf die Geschichte

Am Nachmittag des 12. Mai 1994 versammeln sich 30 bis 40 teilweise angetrunkene Rechtsradikale auf den Ulrichplatz in der Innenstadt in Magdeburg. Sie beginnen Mitbürger*innen mit Migrationserfahrung, insbesondere Schwarze Menschen, zu beschimpfen, mit Gegenständen zu bewerfen und gewaltsam anzugreifen. Die angegriffenen Personen fliehen in die Marietta-Bar, damals ein beliebter Treffpunkt für Nicht-Deutsche in Magdeburg. Es entstehen Ausschreitungen vor und in dem Lokal, Stühle, Tische und Steine fliegen, Scheiben werden zerstört und immer wieder hört man rassistisches Gegröle, Sieg-Heil-Rufe oder sieht Jugendliche mit rechtsradikalen Gesten, darunter auch den Hitlergruß. Die Angegriffenen wehren sich teilweise mit Messern und Schreckschusspistolen gegen ihre Angreifer. Bis die ersten Polizeibeamten eintreffen, gibt es mehrere leichtverletzte Personen. Nach dem Eintreffen der Polizeibeamten beruhigt sich die Situation kurzzeitig, dennoch bleibt die Lage für die Beamten unübersichtlich.

Allerdings greifen die Polizeibeamten nicht ein, um die gesamte Lage zu beruhigen und Verhaftungen durchzuführen. Dadurch fühlen sich die rechtsradikalen Angreifer in ihrem Vorhaben bestärkt und gehen weiter gegen Personen vor. Die Lage eskaliert, als sich die Migrant*innen in die Enge getrieben fühlen und die vor dem Lokal befindlichen Deutschen angriffen. Die Beamt*innen der Polizei waren zu jeder Zeit überfordert und agierten unsicher. Höhepunkt der Ausschreitungen sind bürgerkriegsähnliche Zustände, bei denen sich Migrant*innen und Neonazis auf dem Breiten Weg gegenüber standen, getrennt durch die Straßenbahnschienen und einer kleinen Gruppe von völlig überforderten Polizeibeamten.

Bis in die späten Abendstunden des 12. Mai 1994 entstanden immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Nazis  und Migranten*innen in der Innenstadt mit schwerverletzten Personen, größtenteils Verletzungen von Messerstichen oder -schnitten. Darunter war auch der 30-jährige Farid Boukhit aus Algerien.
Die Täter waren aus der Straßenbahn auf ihn zugestürzt und hatten ihn mit Baseballschlägern angegriffen und schwer verletzt. Er verstarb am 26.September an den Spätfolgen des Überfalls. Er ist bis heute nicht als Opfer rechter Gewalt offiziell anerkannt.
Die Festnahmen betrafen zu einem großen Teil die sich wehrenden Opfer, anstatt den angreifenden Rechtsradikalen, welche sich dadurch in ihrem Vorhaben noch bestärkt fühlten. Die Beamt*innen bagatellisierten die Übergriffe als Reaktion von „Alkohol und Sonne“, nicht als rassistisch motivierte Straftaten. Die Staatsanwaltschaft wurde erst am darauffolgenden Tag über die Geschehnisse informiert, wodurch das sofortige Erlassen von Haftbefehlen nicht mehr möglich wurde. Insbesondere durch die Nichtausschöpfung des Unterbindungsgewahrsams gerieten vor allem Polizeipräsident Antonius Stockmann und der Innenminister Sachsen-Anhalts Walter Remmers unter Kritik. Der ihnen unterstellte Vorwurf war die Verharmlosung von Rechtsextremismus.

Das Erlassen von Haftbefehlen geschah erst eine Woche nach den Ausschreitungen am 17. Mai 1994. Insgesamt konnten 86 mutmaßliche Täter der Angriffe am 12. Mai 1994 ermittelt werden, wovon es aber nur acht Verurteilungen im Juli und August 1994 gab, darunter auch mehrjährige Haftstrafen.

Eine kollektive Erinnerung für die Stadt Magdeburg und was wir aus den Geschehnissen lernen müssen

Die sogenannten „Himmelfahrtskrawalle“ im Mai 1994 bewirken bis heute noch einen starken Imageverlust für die Stadt Magdeburg. Die Geschehnisse an diesem Tag waren keinesfalls ein Wendepunkt in den rechtsradikalen Entwicklungen der 1990er Jahre, sondern sind ein weiterer Höhepunkt dieser.

Ein nachgestelltes Zeitzeugengespräch mit Paulino M. erinnert an die Ereignisse im Interview bei Radio Corax:

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Vielfältige Veranstaltungen für Erinnerung und Diskurs

Die Aktionswoche vom 06.05.2024-12.05.2024 bietet eine Vielzahl von Veranstaltungen, die sich mit verschiedenen Aspekten des Gedenkens und der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt beschäftigen. Von Filmvorführungen über Vorträge bis hin zu Podiumsdiskussionen und Gedenkveranstaltungen ist für jeden etwas dabei. Höhepunkt der Aktionswoche ist die Demonstration am 12. Mai unter dem Motto „Gegen das Vergessen“. Gemeinsam wollen wir ein starkes Signal für Erinnerung, Toleranz und ein respektvolles Miteinander setzen. Denn nur wenn wir uns gemeinsam für diese Werte einsetzen, können wir eine Gesellschaft schaffen, in der sich alle sicher und respektiert fühlen.

Die Aktionswoche gegen das Vergessen ist mehr als nur eine Erinnerung an die Vergangenheit. Sie ist ein Aufruf zum Handeln, zur Solidarität und zur gemeinsamen Gestaltung einer besseren Zukunft.

Aktionswoche gegen das Vergessen

06.05.2024-12.05.2024

Anlässlich der sich jährenden Gewaltausschreitungen zu Himmelfahrt am 12.05.1994 in Magdeburg ist es wichtig gegen das Vergessen anzukämpfen und den Betroffenen rechter Gewalt damals wie heute zu gedenken. Aktuell erleben wir das massive erstarken rechter Parteien in unseren Städten und sehen es in unserer Verantwortung dem entgege zuwirken. Daher laden wir alle Interessierten herzlich zur Aktionswoche gegen das Vergessen ein. Kommt vorbei und lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen!

06.05.2024
OLLIWOOD Filmvorführung Himmelfahrtskrawalle
OVGU G40 Raum 25, 19 Uhr

07.05.2024
Stadtspaziergang durch die antifaschistische Geschichte Magdeburgs
Am Blauen Bock/Galeria Karstadt, 17:45 Uhr

08.05.2024
Vortrag
„Faschismus verstehen und durchbrechen“
Ort folgt online, 19 Uhr

10.05.2024
Ausstellung 15:00 Uhr
Und Podiumsdiskussion 18:00 Uhr
„Rechte Gewalt damals und heute“
Tacheles (Sternstraße 30, 39104 Magdeburg)

11.05.2024
Gedenken Torsten Lamprecht
Neustädter Friedhof, 16:00 Uhr

12.05.2024
Demonstration
„Gegen das Vergessen“
Willy-Brandt-Platz, 16:00 Uhr