Foto: Nilz Böhme

Stell dir vor, du lebst mit deinem Ehemann (Konstantin Lindhorst) zusammen, der Geräusche für Elektroautos kreiert. Du (Marie Ulbricht) arbeitest als vegane Köchin und hast dich für dein Alter gut gehalten. Eines Tages ziehen neue Nachbar*innen nebenan ein. Sie (Jenny Langner) sagt Joga [Dschoga] statt Yoga und ist mobile Fitnesstrainerin. Er (Timo Hastenpflug) macht Musik. Doch Männer haben in diesem Stück nicht viel zu melden. Sie versuchen zu vermitteln, sind den Frauen aber untergeben, halten sich bei der Entscheidungsfindung zurück. Das Ergebnis wird akzeptiert oder hinterfragt, je nach Situation und Belieben. Nur ein Kerl (Raphael Gehrmann), der sich samt Chor (Bürger Ensemble Magdeburg) ständig in Szene zu setzen versucht. Oft ist er mit seinem Gefolge anderer Meinung als du. Nervt, oder? Gib doch einfach nach, füge dich dem System und der allgemeinen Ansicht. Nein? Das kannst du nicht mit deinem Gewissen vereinbaren? Gutmensch also! Viel Spaß mit dem Widerstand, der sich dir entgegenstellt. Gib lieber auf.

Die Zuschauenden fühlen sich bereits am Anfang hin- und hergerissen zwischen Willkommenskultur in Form eines Händedrucks sowie dem Verlorensein im Raum. Das Stück ist aktuell und greift auf, was uns bereits vor Betreten der Studiobühne un-/bekannt ist. Regisseurin Marie Bues, Ausstatterin Heike Mondschein und Dramaturgin Julia Figdor veränderten die Inszenierung im Probenverlauf, so gewinnt das Stück anhand der realen Geschehnisse an Brisanz. Die Darsteller*innen halten ständig Blickkontakt zum Publikum, integrieren es ins Stück. Unausweichlich scheint die eigene Positionierung bezüglich der Frage: Wenn einer an deine Tür klopft, den du nicht kennst, würdest du ihm helfen?

Wir sind keine Barbaren, aber wir lieben Verallgemeinerungen. Klischeehaft wird die Nation durch den uniformen Heimatchor dargestellt, deutsche Tugenden betont: Wir sind organisiert wie kariertes Papier. Stereotype helfen uns in dieser Welt voller Möglichkeiten und Mitbewerber um die schönen Dinge zurechtzukommen. Wir definieren uns über Besitz. Also: Teilen gern, aber nicht zu viel. Flüchtlinge müssen nicht böse sein, aber sie sind fremd, egal wie gut sie sich integriert haben. Stete Angst vor einem Angriff auf das Eigene, sicher Geglaubte hält die Distanz zu Menschen (anderer Kulturen) aufrecht.

Das Stück von Philipp Löhle entführt zu einer Achterbahnfahrt. Leben halt, voller Unsicherheit und zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen, denen wir uns allzugern verschließen zur Realisierung eines Pseudofriedens fernab der Symptombeseitigung. All das birgt „Wir sind keine Barbaren“ samt musikalischer Live-Untermalung, Videosequenzen und mobilem Bühnenbild. Fantastisch nah. Seid herzlich eingeladen zur nächsten Aufführung.