… nun ja, spring ich nicht gerade vor Freude in die Luft! Mein innerer Fußballmuffel tritt jetzt aber zur Seite, versprochen!

    Eine Rezension des performativen Stadtrundgangs »Passionsweg Blau-Weiß«

In der vergangenen Spielzeit realisierte das Theater Magdeburg ein Chorprojekt mit Fans des 1. FC Magdeburg. In diesem Jahr nehmen sie das 50. Jubiläum des Europapokalsieges unseres Fußballvereins im Jahr 1974 zum Anlass, in Kooperation mit dem Literaturhaus Magdeburg eine Stadtrauminszenierung zu initiieren, die die Herzen aller Fans höherschlagen lassen wird.

Vor genau fünfzig Jahren gelang dem 1. FC Magdeburg, was zuvor keiner Mannschaft aus der DDR gelang und auch keiner mehr gelingen sollte: Die Jungs aus Magdeburg setzten sich in Rotterdam mit einem 2:0 gegen den AC Mailand durch und gewannen somit den Europapokal der Landesmeister. Dieses Ereignis markiert bis heute den größten Erfolg in der Vereinsgeschichte.

Wir haben uns den frösteligen Apriltemperaturen entsprechend warm eingepackt (sorry, aber unser Fanschal hing leider noch auf der Wäscheleine) und eine der Aufführungen besucht.

Nadja Gröschner © Nilz Böhme

Warmherzig, ein wenig kauzig, aber das Herz am rechten Fleck – Henny G. ist Stadtführerin und begrüßt uns zu Beginn unserer Reise auf dem »Passionsweg Blau-Weiß«. Nadja Gröschner, bekannt für ihre beliebten und unterhaltsamen Stadtteil- und Nachtführungen durch die Elbestadt, blüht in der Rolle der Stadtführerin vollends auf, sodass es nicht lange braucht, bis wir uns fünfzig Jahre zurückversetzt fühlen.

Startpunkt unserer Zeitreise ist das ehemalige Centrum Warenhaus, dem heutigen Galeria Karstadt Kaufhof. Zwischen 1970 und 1973 nach den Entwürfen des VEB Wohnungsbaukombinates Magdeburg errichtet, war das Warenhaus in der DDR nicht nur für sein umfangreiches Sortiment an Mobiliar, Kurzwaren und Speisen bekannt. Nach dem Europapokalsieg am 08. Mai 1974 wurde der Pokal hier ausgestellt und das Centrum Warenhaus zur Pilgerstätte für Fans. Ein bescheidener Nachbau darf auch auf unserer Zeitreise nicht fehlen. Darauf ein Jubelchor.
Über den Alten Markt, wo die triumphierenden Spieler einst von den Magdeburger:innen überglücklich empfangen und gefeiert wurden, kommen wir zum Fahnenmonument an der Elbpromenade. Dort erwarten uns die jungen Tänzerinnen des Klub 5 des Theater Magdeburg. Die Kids haben sich in den vergangenen Monaten mit Fußballchoreografien auseinandergesetzt und lassen es sich nicht nehmen, ihre Liebe für den Magdeburger Fußballverein mit viel Kreativität und Freude in Bewegungen und Animationen zu übersetzen.

Tänzerinnen des Klub 5 © Nilz Böhme

Auf dem Weg über die Elbe, wie auf den meisten Wegen, werden Audiobeiträge eingespielt, die Geschichten aus dem Leben der Spieler und ihrer Familien, von Spieltagen und den sozialen Verhältnissen aus der Zeit erzählen. Die meisten Audiobeiträge gehen leider im Straßenlärm unter und wer nicht unmittelbar hinter dem Lautsprecher läuft, versteht kaum etwas von den O-Tönen.
Auf dem Werder angekommen treffen wir auf Silke Grunert aus der Kultkneipe Silkes Zolleck und Henny Thiele, ihrerseits Zeugwärterin im Verein, urkomisch und kauzig von der wunderbaren Ines Lacroix vom Theater an der Angel gespielt. Nachdem die Kehlen mit dem süßlichsten aller Schnäpse benetzt sind, setzt sich die Reisegruppe wieder in Bewegung und gelangt letztlich zur Kleingartensparte am Unterbär, dem unbestreitbaren Highlight des Abends (mehr möchten wir an dieser Stelle gar nicht verraten …)

Knapp zweieinhalb Stunden folgen wir Nadja Gröschner, Dorothea Lübbe und weiteren Mitwirkenden auf eine Zeitreise ins Magdeburg der frühen 70er Jahre. Die Performance arbeitet mit dokumentarischem Anschauungsmaterial, Tanzeinlagen, Fragerunden, Berichten von Zeitzeug:innen und Anekdoten. Annett Gröschner und Anne Hahn zeichnen sich für die Texte verantwortlich. Die vorausgegangene Recherchearbeit beeindruckt und lässt die Bilder einer vergangenen Ära wieder aufleben. Gleichzeitig wird der Ball immer wieder in die Gegenwart zurückgespielt, wenn beispielsweise nach dem Gesicht des Vereins gefragt wird oder wenn behauptet wird, dass der Zusammenhalt früher stärker gewesen wäre. War früher vielleicht doch alles besser? Was verbindet die Fans des 1. FCM heute noch untereinander und mit ihrem Verein? Welche Impulse gibt der Fußball an den Herzschlag der Stadt ab? Fragen, über die man bestens bei einem Bierchen (oder einem Piccolöchen) in einer urigen Gartenlokalität diskutieren kann …

Silke Grunert © Nilz Böhme

An vielen Stellen des Abends zeigt sich, dass ein wenig Vorwissen über die Geschichte des 1. FCM und die Lebensrealitäten in der DDR für das Verständnis durchaus von Vorteil sind. Letzten endlich geht es aber weniger darum, allem inhaltlich folgen zu können, alles abzuspeichern und zu reflektieren, als vielmehr darum, einem Lebensgefühl nachzuspüren. Einem Lebensgefühl, das durch die Venen der Magdeburger:innen strömt und eine Energie eindrucksvoller Unbändigkeit und Verbrüderung freizusetzen weiß. Die Teilnehmenden der Führung erscheinen in ihre liebste Fankleidung gehüllt. Blau-weiß leuchten ihre Mützen und Tücher. Blau-weiß schlagen ihre Herzen. Der Fangesang sitzt und schallt in die Stadt hinaus. Bei einem Bierchen wird sich zu geprostet. Der Performance ist es allemal zugute zu halten, dass sie es versteht, Menschen anzusprechen, die man seltener auf einer Legit Love Party trifft, die sich weniger im politisch-fantasievollen Programm des Sprechtheaters wiederfinden oder für die der Besuch einer Oper mit Barrieren verbunden ist.

Es wäre sicherlich zu viel verlangt, wenn ich diese Rezension nun als frischgebackener Fan des 1. FCM schließen würde. Und dennoch kann auch ich mich dieser enthusiastischen Stimmung nicht entziehen und muss anerkennen, dass Fußball mehr als nur ein Sport und dass der 1. FCM mehr als nur ein Verein ist. Egal, ob Fan oder nicht, was gibt es Schöneres, als gemeinsam für eine Sache zu brennen und diese Leidenschaft mit anderen zu teilen? In diese Stückentwicklung sind sehr viele Stimmen und Geschichten, Erinnerungen und Emotionen und sicher auch der ein oder andere Schweißtropfen hineingeflossen. Das Theater Magdeburg hat seine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Magdeburg weiter ausgebaut und mit den Schwestern Annett und Nadja Gröschner vom Kulturzentrum Feuerwache weitere engagierte Verbündete aus der Magdeburger Kulturszene gefunden. Herausgekommen ist ein Geschenk an alle Fußballfans dieser Stadt und diejenigen, die es noch werden möchten.

Nadja Gröschner © Nilz Böhme

Wer sich nun auf dem »Passionsweg Blau-Weiß« begeben sollte, muss sich beeilen. Die Karten sind sehr gefragt. Weitere Aufführungen finden am Dienstag, den 23.04., Mittwoch, den 24.05., Dienstag, den 30. 04., und Freitag, den 17.05., jeweils um 19:00 Uhr und am Samstag, den 04.05., um 15:00 Uhr statt. Alle Informationen zum Stadtrundgang und Tickets gibt es wie immer auf der Website des Theater Magdeburg.

Good to know: Die Führung ist nicht barrierefrei. Die Teilnehmenden sollten sich auf ausgedehnte Fußmärsche und längeres Stehen einstellen, sowie auf wetterfeste Kleidung achten (ggf. einen Regenschirm einpacken oder eine Begleitung mit einem Regenschirm finden).

Text: Tobias Bachmann (Letzte Aktualisierung: 19.04.2024)