Buckau brummt – das hat mittlerweile der letzte in Magdeboogie gemerkt. Doch zu welchem Preis? Langsam scheint das Schreckgespenst der Gentrifizierung auch in Magdeburg angekommen zu sein. Wir haben uns mit Omid in der Schönebecker 31 getroffen, wo seit vielen Jahren der Zooladen ein Schnittpunkt nachbarschaftlichen Engagements ist. Doch jetzt sollen alle raus.

Seit 2003 lebt Omid in Magdeburg. Damals, mit 15 Jahren, ist er auf der Heinrich-Heine-Schule in Buckau gelandet. “Früher war hier noch alles tot. Die Straße im Engpass waren noch Pflastersteine und kein Asphalt. Und die ganzen Häuser waren auch noch nicht saniert.” Doch nach erstem Wohnen in Stadtfeld und Sudenburg war er froh, dass sein ehemaliger Klassenkamerad Max Grimm ihn irgendwann gefragt hat, ob er nicht mit in das bunte Haus in der Schönebecker Straße ziehen möchte.

Im Haus grenzt man sich nicht ab. Türen werden nicht abgeschlossen – man vertraut sich. Und wenn man doch mal seine Ruhe haben will, dann redet man drüber. “In Stadtfeld hat sich unsere Nachbarin mal beschwert, weil die Uhr in der Küche zu laut getickt hat. Da dachte ich erst, dass das überall in Deutschland so ist. Hier habe ich das ganz anders kennengelernt. Mich hat das hier von Anfang an fasziniert, diese Hausgemeinschaft. Wo ich vorher gewohnt habe, da kennt man sich nicht, man hört nur Stimmen. Und hier kennt man sich und lebt miteinander, statt nur übereinander.”

So richtig hat es wohl Anfang der 2000er begonnen. Damals sind die ersten der heutigen Mieter*innen bzw. Freund*innen in das Haus im Engpass eingezogen. Martin, einer der ersten Mieter, meinte laut Omid, dass das Haus eigentlich nicht bewohnbar war. Doch man hat den Besitzer angesprochen, mit dem Ziel, eine Art Wächterhaus zu gestalten: günstige Miete, aber dafür beteiligen sich alle Mietparteien an der Renovierung. Alle Räume hat man hergerichtet, die Fassade selbst gestaltet und später sogar das Dach selbst gedeckt – Material hat der Hausbesitzer gestellt. Jede*r konnte sich frei entfalten und die Wohnungen so herrichten, wie man es eben haben möchte. Alles in Abstimmung mit dem Besitzer, einem älteren Herren aus Bayern, der auch regelmäßig zu Besuch war.

Bekannt ist die Hausgemeinschaft sicherlich durch den ehemaligen Zooladen. Im Erdgeschoss hat das Haus, wie so viele im Engpass, ein Lokal. Früher wurden hier Nager und Reptilien angeboten, später wurden die Fahrräder der Bewohner*innen abgestellt. Doch irgendwann kam der Entschluss, einen Gemeinschaftsraum einzurichten – aber nicht nur für sich, sondern auch für Freundinnen und Freunde des Hauses.

“Das haben wir hier alles selbst gemacht. Elektrik verlegt, geputzt, gemalert. Hier hängt viel Herzblut und Engagement drin. Regelmäßig kommen Freund*innen und Nachbar*innen vorbei. Sogar meine Hochzeit habe ich damals hier gefeiert. Irgendwie bin ich hier auch aufgewachsen.”

Zukunft, Magdeburg

Es gibt feste Termine unter der Woche, bei denen man sich zum Beisammensein im Zooladen zusammenfindet. Freund*innen und Nachbar*innen kommen vorbei, spielen Poker und trinken Bier zusammen. Im Sommer wird im Garten hinterm Haus gegrillt und neben der Vogelvoliere die Tischtennisplatte aufgebaut. Ab und an öffnet man die Räumlichkeiten auch für Externe. So war das Puppentheater-Festival La Notta 2006 hier zu Gast. Auch manche heut etablierten Magdeburger DJs haben hier ihr Debüt gehabt. Geld will man damit nicht verdienen; Bardienst übernehmen die Bewohner*innen. Und es ist privat. Als das Ordnungsamt und die GEMA da waren, hat man denen von jedem Gast einfach den Namen genannt, lacht Omid, und damit gezeigt, dass es nicht öffentlich ist. Einlass gibt es eh nur durch Klopfen.

Natürlich herrscht in so einer großen Gemeinde auch ein Kommen und Gehen. Doch laut Omid sind alle hier glücklich rausgegangen und die meisten halten heute noch Kontakt, schreiben Karten oder rufen mal an. Auch Omid ist nach dem Studium mal für ein Jahr weg, nach Mainz. “Da hatte ich eine Wohnung für 800 Euro, war aber eigentlich nie da, weil ich immer auf Arbeit war. Und da hat mir die Gemeinschaft hier dann irgendwie gefehlt – darum musste ich wieder kommen.”

Doch genau in der Zeit hat er nicht mitbekommen, dass das Haus verkauft wurde. Der damalige Besitzer hatte der Gemeinschaft schon vor vielen Jahren angeboten, dass Haus zu kaufen – aber so richtig kam das nie zustande. Und so kam was kommen musste: vor 2-3 Jahren wurde der Immobilienbestand an einen Hamburger Investor verkauft. Dazu gehörten auch die restlichen Häuser bis vor zur Ecke Thiemplatz. Der vordere Teil, wo sich heute auch ein Bäcker und Geschäfte finden, wurde von den Hamburgern renoviert. Im Hinterhof wurde gar ein ganzes Gebäude abgerissen, um Platz für Parkplätze zu machen. “Ich bin Bauingenieur, doch was ich da gesehen habe, hat mir das Herz gebrochen. Die Häuser wurden einfach mit Styroporplatten eingekleidet und neu verputzt. Und da wo wir heute noch unsere Garten haben, gibt es jetzt einen großen Parkplatz. Die Nachbarskinder haben da ein-, zweimal gespielt, seitdem nicht mehr.”

Doch die Schönebecker Straße 31 wollte die Hamburger Firma nicht renovieren. Als Omid aus Mainz wiederkam, gab es einen Brief an alle, dass das Haus jetzt weiterverkauft wurde – an eine Magdeburger Hausverwaltung, ohne dass es weitere Informationen für die Mieter*innen gab. Auch wenn es mittlerweile Interesse gab, das Haus selbst zu kaufen, kam Ende 2015 die außerordentliche Kündigung für alle – auch an viele ehemalige Mitbewohner*innen adressiert.

“Wir wollen natürlich auch, dass das Haus saniert wird. Mittlerweile gibt es ja schon auch Bedarf. Aber wir wollen auch gern hier wohnen bleiben. Denn wir haben nicht nur viele Erinnerungen gesammelt, sondern viele wohnen hier auch schon seit über 10 Jahren.” Derzeit gibt es neun Parteien im Haus, und nur eine Wohnung ist frei. Dabei ist es bunt gemischt, von Pärchenwohnung bis hin zur klassischen WG. Jede*r hat seinen eigenen Vertrag und jeder zahlt ganz normal Miete. Die ist zwar ein wenig niedriger als im Umkreis, aber durch den Zustand des Hauses sind die Nebenkosten eher hoch. Und ein feuchter Traum von Langzeitstudierenden ist es auch nicht: alle stecken im Beruf, seien es Ärzt*innen, Ingenieur*innen, Erzieher*innen oder eben Künstler*innen.

Omid ärgert es am meisten, dass es keinen Dialog, kein Gesprächsangebot gab. Einfach nur die Kündigung. “Natürlich können Besitzer*innen entscheiden, wie sie mit ihrem Besitz umgehen wollen. Aber die ganze Arbeit die wir hier und in den Kiez eingebracht haben, einfach mit Füßen zu treten, das finde ich schade.” Kontaktversuche gab es schon, als der Besitz gewechselt hat. Damals hieß es, dass eine Sanierung geplant ist. Man wollte miteinander reden, eine gemeinsame Lösung finden, doch von Seiten der Hausverwaltung hieß es, man werde die Bewohner*innen schriftlich informieren. Das war dann aber nur die Kündigung.

Das ist allen bitter aufgestoßen. Damit haben die neuen Besitzer*innen gezeigt, dass sie eigentlich nicht an einem Gespräch interessiert sind. Eine ähnliche Situation gibt es derzeit auch in Stadtfeld, wo konkret auch die Angebote des Infoladen bedroht sind.

Wie es nun weitergehen soll, darüber ist sich Omid auch nicht sicher. Die rechtliche Situation scheint klar – man wird trotzdem einen Anwalt kontaktieren. Aber eigentlich findet das Omid doof, denn das Verhältnis sollte eher am runden Tisch gepflegt werden, als über Anwälte zu kommunizieren.

“Wir möchten hier einfach wohnen bleiben. Wir wollen einfach mit den Besitzer*innen ins Gespräch kommen. Was haben sie vor? Wie soll das ablaufen? Dürfen wir danach wieder einziehen? Können wir den Zooladen als Gemeinschaftraum anmieten und nutzen?” Man hat viele Fragen im Haus. “Wir wollen einfach nur, dass man mit uns normal redet, nicht nur über Briefe. Dafür haben wir doch unsere Gemeinschaftsstrukturen.” Natürlich haben Omid und die anderen Verständnis dafür, dass der Besitz renoviert wird und dass die Mieten entsprechend steigen. Doch man hat Angst, dass es einfach luxussaniert wird – vorbei an den Bedürfnissen der Bewohner*innen, die ja eigentlich schon da sind.

Bei Omid schwingt viel Enttäuschung mit, aber auch ein wenig Frust. Man hat jetzt erstmal eine Unterschriftenaktion gestartet. Wie anerkannt und wertgeschätzt ihr Engagement im Kiez aber ist, zeigt, dass es vor allem die Nachbar*innen waren, die für einen Erhalt der Gemeinschaft als erstes mobilisiert haben – auch via der GWA, die es ja in jedem Stadtteil gibt.

Wer den Aktionen der Initiative weiter folgen möchte, der kann sich hier informieren. Doch die Frage steht im Raum, auf was wir beim gemeinsamen Gestalten der Stadt Wert legen. Das Strukturen saniert und erhalten bleiben ist wichtig, und natürlich eine kostspielige Sache. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren auch das Schmähwort der Gentrifizierung in Deutschland aufgetaucht. Eigentlich ein normaler Prozess der Entwicklung und Aufwertung von Stadtgebieten, hat sich zu einem Kampfbegriff um die Deutungshoheit von Stadtentwicklung durch Privatinvestoren entwickelt. Beispiele wie das Hamburger Gängeviertel oder der Berliner Miet-Wanderzirkus zeigen, dass Verdrängung und Sanierung an den Interessen der bisherigen Bewohner*innen vorbei, größtenteils gewollt ist. Das sowas mal in Magdeburg ankommt, das hätten wohl die wenigsten erwartet.

Das es anders gehen kann und vielleicht sogar muss, darüber gibt es bereits verschiedene wissenschaftliche Ansätze. Richard Sennett, Soziologe der sich auch viel mit Stadtentwicklung beschäftigt, sieht eher die Notwendigkeit für mehr statt weniger Partizipation bei der Entwicklung unserer umgebenden Lebenswelt. Und es ist nicht so, dass die Stadt Magdeburg das nicht auf dem Schirm hat. Schon bei den Ausschreibungen rund um das Sanierungsgebiet Buckau wurde auf Mitbestimmung gesetzt. Und derzeit ist Magdeburg auch Teil des BMBF-Wettbewerb Zukunftsstadt mit, wer hätte es gedacht, OTTOVision 2030+. Dazu gab es vor Kurzem auch schon Workshops mit den Bewohner*innen. Doch wenn es um Entwicklung durch private Investoren geht, sind der Stadt anscheinend die Hände gebunden.

“Dank des Wettbewerbs Zukunftsstadt probieren wir derzeit verschiedene Formate der Partizipation aus,” sagt Nicole Dalichow vom Zukunftsstadtbüro der Landeshauptstadt. “Dabei hat sich gezeigt, dass es am besten funktioniert, wenn wir gezielt einladen und vor Ort auf Augenhöhe diskutieren.” Doch meist fühlten sich nur die angesprochen, die sich schon in der Vergangenheit engagierten. “Wir konnten bereits viele spannende Ideen sammeln. Aber Partizipation funktioniert nur gut, wenn sie von möglichst vielen aktiv getragen wird. Wir wünschen uns für die Zukunft, dass das Bewusstsein wächst, dass positive Entwicklung in unserer Gesellschaft nur möglich ist, wenn viele verschiedene Akteure und Einwohner*innen gemeinsam in den Dialog treten.”