Was hat es mit dem geheimnisvollen Elefanten auf sich, der sich in der Neuen Neustadt herumtreibt?
Auf der Suche nach Antworten hat uns die Fährte zu dem Projekt Auf die Plätze…! Kulturraum Moritzplatz neu entdeckt geführt. Der Titel hält, was er verspricht. Das Projekt will raus in den Stadtteil, zu den Menschen, auf den Moritzplatz und zu anderen, vielleicht noch unterschätzten Plätzen in der Neuen Neustadt, so verrät uns Marjoleine, die Projektleiterin, im Gespräch.
Dafür sollen unter anderem Brachen und Leerstände bespielt werden, wie die Spiel-Wiese auf der Freifläche Haldensleber Str./Grünstraße. Am 11.05. schallte dort der Startschuss für 2 Jahre Zwischennutzung durch den Kiez, mit Graffitiworkshop, Upcycling und dem gemeinsamen Bauen eines Holzelefanten. Im Fokus steht in diesem Jahr auch der Moritzplatz, der im Sommer mit regelmäßigen Angeboten in neuem Glanz erstrahlen wird. Die Ideen dafür aus dem Projektteam sind zahlreich. Vom Sommerkino über ein Theaterprojekt bis hin zu Sport- und Tanzkursen ist alles vorstellbar. Die bereits vorhandene Boulebahn soll wieder eröffnet werden und auch die Idee von regelmäßigen Picknicks steht im Raum. Wichtig ist Marjoleine jedoch, dass die Angebote mit den Bewohner*innen vor Ort zusammen entwickelt werden. Sie sollen also nicht nur daran teilnehmen, sondern tatsächlich aktiv mitarbeiten können. So sollen die Brache und der Moritzplatz nach und nach mit den Ideen der Anwohner*innen gefüllt werden.
Doch welche Ideen haben die Neustädter*innen eigentlich für ihren Kiez? Um dem auf den Grund zu gehen, ist das Projekt im Oktober mit einer Bedarfsermittlungsphase gestartet. Was trocken klingen mag, ist der Grundstein für ein funktionierendes Projekt, das von den Menschen vor Ort angenommen wird. Es geht hierbei darum, herauszufiltern, was die Menschen sich wünschen und wo mit dem Projekt Schwerpunkte gesetzt werden können. Eine Umfrage, die über die vierteljährig erscheinende Stadtteilzeitung durchgeführt wurde, brachte beispielsweise interessante Erkenntnisse über das Freizeitverhalten der Neustädter*innen. Viele von ihnen verbringen ihre freie Zeit außerhalb des Stadtteils, auch aufgrund des Mangels an Angeboten. Deutlich wurde auch, dass bestimmte Plätze, wie der Moritzplatz und der Nicolaiplatz, von manchen Menschen als Treffpunkte genutzt, während sie von anderen bewusst gemieden werden. Für die Bedarfsermittlung war auch der Offene Kanal in der Neuen Neustadt für Straßeninterviews unterwegs. Außerdem gab es zahlreiche Anwohner*innenrunden und im Dezember einen Wünscheladen als erste Auftaktveranstaltung. Donnerstags von 14:00 bis 18:00 findet im Neustadtladen in der Moritzstraße 2f eine wöchentliche Sprechstunde statt. Unterschiedliche Formate, die im Grund das gleich Ziel verfolgen: mit den Menschen ins Gespräch kommen. Diese haben teilweise schon sehr klare Ideen für ihren Stadtteil. Besonders wenn sich die Frage nach der Nutzung konkreter Leerstände stellt, werden teilweise tolle Ideen wie Repaircafés und Tauschläden laut.
Auch der Elefant, der sympathisch von Flyern und Plakaten winkt, streckte in dieser Phase seinen Rüssel durch die Tür. Ursprünglich war dieser garnicht so geplant, erzählt Marjoleine. „Aber wir haben in der Umfrage erfahren, dass viele Leute hier in der Neuen Neustadt den Zoo als einen ihrer Lieblingsorte genannt haben. Der gehört ja auch dazu, aber der fällt einem vielleicht nicht als erstes ein. So sind wir über den Zoo erstmal auf ein Tier als Maskottchen gekommen.“ Der Elefant hat sich dann durchgesetzt, denn „irgendwie passt das ja auch, der kann sich Platz und Gehör verschaffen, und ist trotzdem irgendwie ein sanftmütiges Tier. Und ein dickes Fell hat er, das braucht man hier eben auch.“ Dass der Elefant auch als geduldiges Tier bekannt ist, trifft sich gut, denn die Vertrauensarbeit, die dem Projekt zugrunde liegt, braucht viel Zeit. Beim Blick auf das Projekt und die sich aufdrängende, ungeduldige Frage „Na, was passiert denn da so?!“, sollte man sich also ein Beispiel an dem geduldigen Dickhäuter nehmen.
Als Schlüssel, um als Projekt Fuß zu fassen, versteht Marjoleine auch die Zusammenarbeit mit den Vereinen und Institutionen vor Ort. Zu nennen sind dabei vor allem das Quartiersmanagement der Neuen Neustadt, der URANIA e.V., die Nicolaigemeinde, das Jugendzentrum KNAST und die Schulsozialarbeiter*innen. Für diese wertvolle Vernetzung, auch mit Kulturschaffenden in anderen Teilen Magdeburgs, gab es am 15.04. bereits ein Kooperationspartner*innentreffen. Entstanden sind dabei spannende Ideen, wie ein Musikfestival rund um den Moritzplatz, eine TV-Serie, eine Beteiligung am Internationalen Chorfest 2020 oder eine öffentliche Freiraumgalerie. Einig sind sich die Kooperationspartner*innen, dass das Projekt nicht elitär gedacht werden sollte, sondern die Menschen abholen muss. Nur zu sagen „hey, ihr könnt ja alle kommen“, funktioniert für viele einfach nicht. Über Vernetzung könnten die Möglichkeiten des Projekts erweitert und die Einwohner*innen erreicht werden. Eine eingegrenzte Zielgruppe gibt es dabei nicht. Das Projekt ist für alle offen, unabhängig von Alter oder sozialer und ethnischer Herkunft. Derzeit liegt der Fokus der Aktivitäten verstärkt auf Kindern und Jugendlichen, in Zukunft soll es aber auch Angebote für Senior*innen und generationsübergreifende Aktivitäten geben.
Das Projekt ist eingebunden in das bundesweite Modellprogramm UTOPOLIS – Soziokultur im Quartier. Neben Magdeburg sind auch Berlin, Bremen, Hamburg, Hildesheim, Kassel, Mannheim, Nürnberg, Oberhausen, Trier, Weimar und Wuppertal mit am Start.
UTOPOLIS – Soziokultur im Quartier ist Teil der ressortübergreifenden Strategie Soziale Stadt des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und der Beauftragten für Kultur und Medien. Im Sinne der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in den Städten wurde erkannt, dass bauliche Investitionen dafür alleine nicht ausreichen. Benachteiligte Stadtteile sollen deshalb durch kulturbezogene Projekte mit einer Laufzeit von vier Jahren besonders gefördert und dauerhaft stabilisiert werden (Quelle: Pressemitteilung des BMI). Die Stadtteile, in denen die Projekte im Oktober gestartet sind, waren alle bereits zuvor im Förderprogramm Soziale Stadt. Die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. steht den Projekten an den 12 Standorten beratend als Koordinierungsstelle zur Seite. Träger der Projektes in Magdeburg ist der ARTist! e.V., der Magdeburger*innen sonst vor allem durch den Moritzhof ein Begriff ist.
Den Ansatz, die Stadtteilentwicklung über Soziokultur zu bereichern, sieht auch Marjoleine, die zuvor im Kunstmuseum Kloster unser lieben Frauen in Magdeburg tätig war, als Chance. Das Projekt ist für sie eine Möglichkeit, Kunst und Kultur für alle zu denken und darüber etwas zu bewirken, „und wenn es nur ein Samenkorn bei den Kindern setzen ist, hier und da mal“.
Das Besondere an UTOPOLIS ist, dass durch die Laufzeit von vier Jahren die Möglichkeit gegeben ist, ein Experimentierfeld zu betreten, Formate auszuprobieren und auch mal scheitern zu lassen. Die Modellprojekte sind langfristiger gedacht als andere Projekte dieser Art, die meist nur eine Laufzeit von ein bis zwei Jahren haben. Die Problematik dieser kurzfristig gedachten Projekte wird schnell klar, als Marjoleine von ihren Erfahrungen berichtet. „Es gab hier und da schon Projekte, bei denen gefragt wurde, was sich für den Stadtteil gewünscht wird. Natürlich kann man nicht immer alles umsetzen, aber die Menschen sind eben auch skeptisch mittlerweile. Sie sagen: ,Naja, da sind wir immer so die Versuchskaninchen, und beteiligen uns mal, und dann am Ende wird doch nicht davon umgesetzt.’ Ich merke auch, dass ich vorsichtig bin, weil ich nicht die größten Erwartungen schüren will, und dann am Ende sind die Leute wieder enttäuscht. Da muss ich schon auch einfach realistisch bleiben.“
Trotz der verlängerten Laufzeit stellt sich auch bei den Modellprojekten die Frage nach der Nachhaltigkeit, und ob die „langfristige Stabilisierung benachteiligter Stadtteile“, von der in diesem Zusammenhang gesprochen wird, auf diese Art funktionieren kann. Wichtig wäre, soziokulturelle Projekte generell langfristiger zu denken und die Arbeit von Kulturschaffenden nicht nur punktuell zu fördern, sondern zu verstetigen. Notwendig für eine nachhaltige Stadtentwicklung sind selbstverständlich noch andere Maßnahmen, Marjoleine nennt beispielsweise den Einsatz mehrsprachiger Sozialarbeiter*innen.
Außer Frage steht trotzdem, dass Auf die Plätze…! Kulturraum Moritzplatz neu entdeckt eine Chance für die Neue Neustadt ist, besonders da Projekte dieser Art hier zuvor noch nicht stattgefunden haben. Das Projekt mit dem sympathischen Elefanten könnte dazu beitragen, dass sich zum einen die Einwohner*innen wohler fühlen, indem Orte geschaffen werden, an denen Menschen zusammenkommen. Zum anderen kann die Außenwahrnehmung der Neuen Neustadt verändert werden, die in der Pressemitteilung des BMI als „sozialer Brennpunkt mit bundesweit einschlägigem Ruf“ bezeichnet wird. Schlagzeilen wie „Magdeburg-Neustadt bleibt Problemviertel“ bekommen auch Magdeburger Zeitungsleser*innen immer wieder auf den Frühstückstisch. Marjoleine bevorzugt es für das Projekt, auf die Potentiale des Stadtteils aufmerksam zu machen, wie beispielsweise die hohe Diversität in der Bevölkerung und die Vielzahl an Freiräumen wie Brachen und Leerstände. Das wirke möglicherweise im ersten Moment trist, man könne da aber auch anders drauf blicken und sagen „Hier kann sich noch was entwickeln“. Das sei für das Projekt besonders spannend, da es eine Herausforderung sei, aber durchaus auch die Möglichkeit biete, einfach mal Dinge auszuprobieren.
Auf die Plätze…! Kulturraum Moritzplatz neu entdeckt soll Vorurteile, Bedenken und Vorbehalte innerhalb der Nachbarschaft abbauen und ein Miteinander, Gemeinsamkeiten und ein neues gegenseitiges Vertrauen schaffen. Für Marjoleine ist das Projekt erfolgreich, „wenn noch mehr Leute den öffentlichen Raum als auch ihren begreifen, und durch uns eigene Ideen mitentwickeln können.“ „Man kann auch nicht alle erreichen, aber die, die man erreichen kann, für die lohnt es sich einfach“, sagt sie.
Die Idee des Projektes ist auch, dass möglichst viele Menschen mitwirken. Deshalb freut sich der Elefant aus der Neuen Neustadt stets über helfende Hände, sei es vereinzelt bei Veranstaltungen oder mit eigenen Ideen und Formaten.
Die Ergebnisse aus den Projekten, die bereits angelaufen sind, werden beim Kultursommerfest am 22.06. präsentiert. Freuen dürft ihr euch schon jetzt auf ein buntes Programm aus Theater, Tanz, Musik und vielem mehr!
Fotos: © Auf die Plätze…! Kulturraum Moritzplatz neu entdeckt
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