Ein Blick auf den Boden. Dort steht etwas mit Kreide geschrieben. „Ich war auf dem Rad, ein Typ radelt mir entgegen und ruft „Geil, Titten!“ Worte wie diese zu lesen ist hart. Es ist schwer sich vorzustellen, was die Betroffene in der Situation gefühlt hat. In Magdeburg habe ich sowas zum ersten Mal auf dem Boden entdeckt und mich gefragt, wer steckt dahinter?

Kati ist 21 und studiert in Magdeburg. Sie hat @catcallsofmagdeburg gegründet. Die Initiative gibt es bereits in anderen Städten und ist in New York gestartet. Bei der Überorganisation Chalk Back (deutsch: Kreide zurück) kann man sich als Interessierte*r registrieren und verifizieren lassen, um als Mitglied dieser Organisation zu agieren. Chalk Back spricht sich gegen Belästigungen jeglicher Geschlechter aus und hat mehrere Projekte. @catcallsof ist eines davon und existiert in den meisten Städten auf Instagram.

Bei dem Format @catcallsof schreiben Menschen, die sich der Organisation angeschlossen haben, in den jeweiligen Städten mit Kreide die Vorfälle sexueller Belästigung auf den Boden. Das wird auch ankreiden genannt. Die Vorfälle an sich heißen unter anderem Cat Calls – eine Form von Gewalt gegen Menschen. Cat Calls sind anzügliche und objektifizierende Kommentare von Fremden, die auf dem Erscheinungsbild der Betroffenen basieren. Es ist ein Angriff auf die Selbstbestimmung, weil Fremde in diesem Moment die Körper der Betroffenen fremd sexualisieren. Dies geschieht häufig an öffentlichen Orten, an denen die jeweiligen Vorfälle auch angekreidet werden. Ziel ist es, die betroffenen Personen zu stärken und ihnen den öffentlichen Raum wieder zu geben, der ihnen im Moment der Belästigung genommen wurde. Außerdem macht die helle Kreide den Vorfall vor allem eins: sichtbar. Sexuelle Belästigung passiert, täglich.

Es ist nicht einfach, genaue Zahlen zu Cat Calls zu finden. Theoretisch sind diese nicht mal strafbar. Ein Blick in das Strafgesetzbuch: 13. Abschnitt – Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. §184i „(1) Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“ Somit wird die rein verbale sexuelle Belästigung zu keiner Straftat und der Täter damit nicht kriminalisiert. Durch diese Rechtsgrundlage kann den Opfern in den meisten Fällen nicht geholfen werden. Wenn jedoch diese sexuelle Belästigung eine Beleidigung enthält, wird dies nach §185 des Strafgesetzbuches strafbar. Bei dem Portal Statista bin ich auf eine Statistik gestoßen, bei der mit einer Online-Umfrage im Oktober 2017 etwa 2.400 Menschen befragt wurden. Hier gaben 35% der Befragen Frauen an, schon mal verbale Belästigung erfahren zu haben. Bei den Männern waren es 8%. Ein weiteres Ergebnis zeigt: 74% der Befragten Männer haben noch keine Erfahrung mit persönlicher sexueller Belästigung gemacht. Bei den Frauen waren es 34%. Bei einer Umfrage des Institutes YouGov von 2017 gaben 43% der Befragten Frauen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Das ist fast die Hälfte der Frauen in Deutschland.

Die Vorfälle bekommt Kati per Direktnachricht auf Instagram @catcallsofmagdeburg zugeschickt. Diese notiert sie sich dann und formuliert sie so um, dass sie auf die Straße geschrieben werden können. Manchmal geht sie allein ankreiden, manchmal nimmt sie auch die Betroffenen mit. Das fertige Werk wird dann fotografiert und auf Instagram gepostet, zusammen mit der originalen Nachricht. Dabei bleibt Alles anonym.

Kati kommt aus Hannover und hat einen angekreideten Cat Call zum ersten Mal dort gesehen. „Ich kannte das Konzept vorher schon, aber habe dann gedacht, cool! Das gibt es hier in Hannover auch. Dann habe ich mir deren Instagram-Account angeschaut und mich gefragt, ob es das auch in Magdeburg gibt. Natürlich nicht! Und dann war ich auf dem Weg zurück nach Magdeburg und habe den Instagram-Account gestartet. Als ich aus dem Zug ausgestiegen bin, hatte ich schon die erste Nachricht“, erzählt sie mir. Ankreiden war Kati schon an mehreren Orten in Magdeburg – am Elbauenpark, am Hasselbachplatz, an der Station Verkehrsbetriebe und an der AOK. Basierend auf den Nachrichten, die sie bekommt, sind Belästigungen schon in ganz Magdeburg passiert.

Die Nachrichten auf Instagram geben reale Ereignisse wieder – zum Zeitpunkt unseres Gesprächs hat sie den Account seit etwa zwei bis drei Wochen und es stehen noch 20 weitere Cat Calls aus. „Es gibt viele, die sich selbst in ihren Nachrichten an mich fragen: Was war ihr Fehler? Nein. Es ist egal was du tust, was du trägst – es ist immer noch sexuelle Belästigung. Immer bewusst machen: man ist nicht allein. Und die Schuld hat immer der Täter. Niemand sollte damit umgehen müssen. Es ist etwas, was einfach nicht passieren sollte“, sagt Kati.

Manchmal bekommt sie Stories, die auch weiter gehen als Cat Calls. „Nicht alle Formen von sexueller Belästigung sind juristisch strafbar. Das bedeutet: es ist ein weites Feld, was nur in bestimmten Bereichen einen festen Rahmen hat. Wenn die Betroffenen sagen, dass es sexuelle Belästigung war, ist es das auch“, erklärt sie. In dem Moment, wo Kati die Nachrichten bekommt, kann sie nichts für die Person tun. Der Vorfall ist geschehen – der Rest ist Schadensbegrenzung. Ein Vorfall ist ihr besonders aufgefallen. Hier wurde eine junge Frau von einem Mann im Supermarkt angefasst. Der ist dann mit ihr in die Straßenbahn eingestiegen und hat sie bis nach Hause verfolgt. Die Betroffene wusste in der Situation nicht, was sie tun sollte. Kati kommen da die Gedanken: „Wenn ich eine andere Person bin, sehe ich ja nicht, dass dieser Mann gerade diese Person verfolgt. Und diese alltäglichen Sachen lassen mich nachdenken, ist mir das schon mal passiert? Saß ich in einer Straßenbahn, wo ein anderer Mensch jemanden verfolgt?“

Kati und ich waren gemeinsam ankreiden. Diesmal war es ein Vorfall im Kaufland im City Carré. In diesem Fall ging ein Mann an der Betroffenen im Kaufland vorbei, kam ihr näher und sagte zu ihr „Nicht schlecht, nicht schlecht.“ Danach hat er sie angestarrt. Ich habe mit blauer Kreide den Vorfall geschrieben, sie mit rosa Kreide die Hashtags #ankreiden #stopptbelästigung. Manche Menschen sind stehen geblieben und haben sich das Geschriebene durchgelesen, einmal wurden wir auch angesprochen und haben ein Gespräch mit einem Mann über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen geführt. Ansonsten haben wir weder negatives noch positives Feedback bekommen. Der Effekt des Ankreiden wurde mir aber schon in dem Moment bewusst, denn die Menschen wurden wirklich aufmerksam. Die Kreide auf dem Boden fällt schon auf, auch wenn sie nicht lange hält. Ein Regenguss und sie ist weg.

Ich frage Kati, wie sie die Situation für Frauen in Magdeburg einschätzt. „Ich würde das nicht so an den Städten differenzieren, sondern eher an den Orten. Wer wurde noch nicht dumm am Hassel angequatscht? Daran ist natürlich nicht der Ort schuld, das kann überall passieren. Sexuelle Belästigung ist eine unterdrückende und machtausübende, übergriffige Form des Patriarchats. Und dieses ist orts- und städteunabhängig“ erklärt sie mir.

Eine häufige Resonanz auf das Thema sind Aussagen wie „Hab dich mal nicht so“ oder „Das war doch nur nett gemeint.“ Katis Antwort darauf ist „Es ist kein Kompliment. Es ist sexuelle Belästigung.“ Es ist übergriffig, basierend auf dem Erscheinungsbild einer Person ein Kommentar dazu abzugeben. Egal in welcher Situation.