„Ich hoffe, das fällt nicht runter“. Camita klebt ein Eingangsschild mit zwei Streifen Tesaband an die Wand. „Das wollten wir seit Wochen machen, hat nur keiner. Dann tu ich es eben“. Ein weiteres Schild hängt im Eingangsbereich des Intakt. Camita lässt sich in den einzigen Sitzsack fallen und verweilt so für etliche Minuten. Das Intakt bezeichnet sich selber als Freiraum und entstand vor zweieinhalb Jahren wegen einem Uni-Seminar zum Thema Stadtentwicklung. Bevor das Intakt als ein für alle zugänglicher Ort etabliert wurde, musste die Theorie stehen. Was brauchen Menschen für ein gutes Zusammenleben? Wie sind Städte aufgebaut? Wie verbessert man die Lebensqualität einer Stadt? Und was genau wollen wir und können wir bieten? „Unser Dozent Hendrik ist sehr cool. Dank ihm ist der theoretische Teil nicht furchtbar langweilig“, lacht Camita. „Er lässt uns viele Freiheiten: wir organisieren und planen, er gibt nur Hilfestellungen und Tipps“. Zwei Jahre und zwei Umzüge später ist das Intakt ein gerade bei Studenten bekannter Ort, um den Stress des Alltags hinter sich zu lassen. Ausstellungen und Veranstaltungsreihen zu den Themen Gesundheit, Kunst und Kultur und Gemeinschaft fanden schon statt. Auch Tauschpartys, Spieleabende und Silentdiscos gab es schon. Doch gerade steht es nicht gut ums Intakt, erzählt Camita: „Wir haben alles gegeben, dass wir jetzt hier sein können. Letzten Winter schien es aus zu sein“.
Das Problem war wie so oft das Geld: die Wirtschaftsförderung wurde nicht verlängert. Eine Bedingung für die Förderung war eine sichtbare Veränderung im Breiten Weg, dem vorherigen Standort. Das funktionierte auch kurzzeitig. Menschen kamen für Veranstaltungen des Intakts, die Fußgängerzone wirkte belebter und einladender als zuvor. Aber wie alle anderen mussten auch sie während der Lockdowns ganz auf Veranstaltungen verzichten. Der Breite Weg war wieder unbelebt. Also hatten sie ihre Aufgabe, diese Straße zu beleben, nicht geleistet. So argumentierte der Stadtrat. Ein neuer Wirtschaftsplan wurde erstellt, ohne das Intakt diesmal. „Da konnten wir doch nichts dafür. Es wäre illegal gewesen, weiterzumachen und Leute in die Straße zu locken. Was hätten wir bitte tun sollen?“ Getan haben sie dann aber doch etwas: vor dem Rathaus haben die Mitglieder des Intakts protestiert und offene Briefe an den Stadtrat geschrieben. „Dann haben wir auch noch Briefe an fast alle Parteien geschrieben, die im Stadtrat sitzen. Das hat endlich geholfen“. Die SPD reichte kurz darauf einen Antrag ein, das Intakt in die Wirtschaftsförderung aufzunehmen. Zugestimmt haben Die Grünen und Die Linke. Zusammen haben über die Hälfte des Stadtrates dafür gestimmt. Von da an wurden sie wieder von der Stadt unterstützt. „Sonst wäre es aus gewesen“.
Von Existenzängsten merkt man an einem Sonntag Anfang Juli nichts. Normalerweise stehen die bunt zusammengewürfelten Sitzmöbel im Inneren der Erdgeschosswohnung mit Schaufenster. Heute sind sie als Sitzkreis auf dem Bürgersteig vor dem Altbau aufgestellt. „Bitte nehmt euch, was ihr wollt“, ruft jemand vom Intakt den drei Frauen zu, die gerade am Tisch mit dem Essen für das Foodsharing stehen. Daneben kochen drei Männer des Syrisch-Deutschen Kulturvereins syrisches Essen. Etwa zehn Besucher und Besucherinnen sind da, essen, trinken, entspannen, geben großzügige Spenden, nehmen Essen vom Foodsharing mit und gehen wieder. „Damit können wir doch zufrieden sein“, fassen die Mitglieder des Intakt zusammen. „60 Euro Spenden haben wir auch noch eingenommen“. Nur Paula wirkt etwas betrübt. Das eingenommene Geld oder die Anzahl der Menschen, die da waren, stören sie nicht. Es geht ihr darum, welche Menschen da waren. Paula leitet die Social Media-Accounts des Intakts und kümmert sich um die Werbung für Veranstaltungen wie das Foodsharing.
„Es ist wirklich frustrierend“, setzt Paula an. „Es waren wieder nur Leute in unserem Alter da“. Das Intakt soll ein Ort für alle sein. Um entspannen zu können oder etwas zu arbeiten und die meisten Veranstaltungen sind deshalb auf ein diverses Publikum ausgerichtet. Camita spinnt Paulas Gedankenstrang weiter: „Foodsharing kommt bei allen Altersgrupen gut an, das ist nicht das Problem“. Aktuell scheitert es an der Werbung, die bis auf ein paar Flyer auf Social Media und Mundpropaganda basiert. Menschen, die Instagram und Facebook nicht regelmäßig nutzen, bekommen wenig mit von den geplanten Veranstaltungen. „Ich möchte das wirklich ändern“, setzt Paula fort. „Aber wir sind alle Studenten. Für das Intakt bleibt nie so viel Zeit übrig, wie ich es gern hätte“. Mehr Flyer verteilen und Anzeigen aufgeben sind Ideen, mit denen das Intakt auch ältere Zielgruppen erreichen will. Der limitierende Faktor ist die Zeit. „Und natürlich die Anzahl der Leute, die mitmachen“, fügt Camita hinzu. Die anderen sieben Anwesenden nicken. „Am Anfang waren wir zwanzig. Jetzt sind wir zehn, das reicht nicht.“
Im März ist das Intakt zum zweiten Mal umgezogen. Zuvor hatten sie eine luftige Wohnung mir einer meistens offenen Tür an der Goldschmiedebrücke. Dort befindet sich jetzt ein Corona-Test-Zentrum. Die Räumlichkeiten, in denen das Intakt eingerichtet werden kann, werden von der Stadt gestellt, umsonst. Jedoch immer, wenn dieser Raum für etwas anderes genutzt werden kann, muss das Intakt umziehen. Das kann jederzeit passieren. „Das zeigt sehr gut, dass uns die Stadt nicht gutheißt, sondern nur duldet“. Camita lässt ihrem Frust freien Lauf. „Wir sind denen herzlich egal“. Ungefilterte Wörter platzen nur so aus ihr heraus: „Wir werden ja noch nicht mal als Kultur angesehen. Wir machen nichts als Kultur!“. Paula unterbricht sie, um Camita eine Pause zum Atmen zu geben. „Das stimmt, deshalb werden wir auch nicht von der Kulturförderung unterstützt, sondern von der Wirtschaftsförderung“. Sie erklärt, das liege daran, dass die Stadt das Intakt eingestuft hat als ein Ort, der die Straßen belebt. Und die Menschen, die aus dem Intakt raus kommen, könnten in die Geschäfte in der Umgebung gehen. Demnach trägt es dazu bei, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Camita hat wieder zu Atem gefunden: „wenn Leute bei uns aus der Tür raus gehen, sehen sie auf der anderen Straßenseite als allererstes ein riesiges Schild des Allee Centers. Ist das ein Zufall?“ Paula meldet sich wieder zu Wort und balanciert den Ton des Gesprächs mit Diplomatie aus. Sie vom Intakt seien wirklich dankbar gegenüber der Stadt und gerade den drei Parteien, die es ihnen ermöglicht haben, weiterzumachen. „Trotzdem wäre es schön, endlich als Kultur anerkannt zu werden“.
Schon bald wird es wieder darum gehen, welche Institutionen in die Wirtschaftsförderung aufgenommen werden, welche nicht, und welche die Kulturförderung bekommen werden. Wenn es wieder nötig ist, werden die Mitglieder des Intakt wieder demonstrieren und wieder Briefe schreiben.
© in:takt
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