Wien, Freitagabend, 20:30. “QR-Code, Maske, Krankenkarte, Ausweis und die Bestätigung für den Termin.” Es ist wieder soweit. Um einen Teil meiner Freiheit zurück zu bekommen, lasse ich mir von einem wildfremden Menschen ein Stäbchen durch die Nase ziehen.

2020 war geprägt durch Corona. Ein Lockdown nach dem anderen. Jedoch gibt es seit Sommer 2021 einen Hoffnungsschimmer in der Pandemie. Ein strukturiertes Hygienekonzept. Getauft auf dem Namen 3-G. Genesen, Geimpft, Getestet – unter diesem Motto öffnet Österreich ab 1. Juli seine Türen. Egal ob Restaurants, Friseure, Schwimmbäder oder Fitnessstudios, alle haben wieder offen. Überall in Wien werden kostenlose Teststationen errichtet. Die dortigen Antigen Tests gelten für 48 Stunden. Seit 1. Juli wurden schon mehr als 1,5 Millionen Tests durchgeführt.

Ich steige in das Auto und fahre los. Die Musik ist laut, jedoch dreht sich in meinem Kopf alles um das kommende Wochenende. Eine stundenlange Autofahrt nach Deutschland und anschließend noch ein nettes Treffen mit Freunden in einer Bar.
Seit in Wien wieder alles offen hat, tummeln sich die Menschen am Abend wieder in der Stadt herum. Sie alle genießen die zurück erlangte Freiheit wohl wieder. Wer kann es ihnen verübeln. Ein Jahr lang nur zuhause sein, Familienmitglieder und Freunde nicht sehen dürfen. Nebenbei immer die Angst, an COVID –19 und seinen Mutationen zu erkranken und schlimmsten Falle auf die Intensivstation zu müssen, wo Pfleger jeden Tag gegen die Erschöpfung ankämpfen.
Ich biege auf die dicht befahrene Hauptstraße neben dem prachtvollen Schloss Schönbrunn ab. Am Abend ist das Schloss mit seinen gelben Mauern hell beleuchtet. Touristen irren um diese Uhrzeit noch umher und versuchen dieses wunderschöne Bild einzufangen. Ein paar Meter weiter, auf der anderen Straßenseite stehen hohe weiße Zelte und Container. Autoschlangen drängen sich durch die engen Pässe, sehr unpassend zu dem königlichen Bild gegenüber. Sisi, die ehemalige Kaiserin von Österreich würde sich wohl im Grab umdrehen, wenn sie dieses groteske Bild sehen würde.

Ich bremse ab und reihe mich in der Autoschlange ein. Ein großes Schild steht am Anfang der Einbahnstraße “Teststraße Schloss Schönbrunn”. Die Teststraße wird vom Samariterbund Wien organisiert und geleitet. Im Schritttempo bewegt sich die Schlange langsam vor. Ich setze meine FFP2 Maske auf und senke das Seitenfenster. Ich schalte meine Musik aus. “Hallo. Zum Testen hier?”, fragt ein junger Mann in einer orangenen Warnweste. Ich nicke freundlich. “Kann ich ihre Terminbestätigung sehen?” Ich drücke hastig am Handy hin und her, öffne mehrmals die falsche App und fluche dabei leise in meine Maske hinein. Nach kurzen hin und her zeige ich ihm meine Bestätigung. Er nickt und lässt mich weiterfahren, “Bitte zur Nummer drei. Noch einen schönen Abend.” “Ebenfalls!”, rufe ich zurück. Noch einen schönen Abend? Der Abend wird wohl kaum schön werden, wenn ich gleich ein langes Stäbchen in meine Nase geschoben bekomme. Unvorstellbar noch vor einem Jahr, das ein Fremder eine Untersuchung an mir durchführt, die ich derzeit für ein regelmäßiges normales Leben brauche.

Ich fahre zur Nummer drei und stelle meinen Motor ab. Die Umwelt ist mir ja wichtig. Leider den anderen Autofahrern eher weniger. Viele lassen den Motor laufen und bei einigen wenigen dampft eine dunkle Dieselwolke aus dem Auspuff. Unsere Umwelt freut sich. Lange warten muss ich nicht. Es kommt ein junger Mann in grüner Samariteruniform her und begrüßt mich wieder sehr freundlich. “Links oder rechts?” Ich lache: “Mir egal, dürfen sie gerne entscheiden.” Ich hebe meinen Kopf seitlich an und versuche dabei im dunkelblauen Himmel etwas zu finden, was mich von dem Testabstrich ablenkt. Meine Augen tränen leicht und mein Gesicht verkrampft sich, als der Mann das Teststäbchen durch mein linkes Nasenloch drückt und darin herum bohrt. Welcher Wissenschaftler kam auf die Idee, den Corona Test müsse man durch die Nase machen, dieser solle für immer in der Hölle schmoren. Vielleicht übertreibe ich ein wenig, jedoch wird der Abstrich eines der wenigen Dinge sein, die ich nach der Pandemie nicht vermissen werde. “So das war’s.” Er zieht es wieder heraus. Ich rümpfe meine Nase und würde gerne mehrmals in ein Taschentuch niesen. Er rührt mit dem Stäbchen kurz in einer transparenten Flüssigkeit in einem kleinen Plastikbehälter herum und drückt mir diese anschließend in die Hand und meint: “Einmal zu meiner Kollegin weiterfahren.” Nun beginnt der Balance Akt. In einer Hand der Behälter mit dem Teststäbchen und mit der anderen Hand einen Kleinwagen steuern. Für Fahranfänger sicherlich schwer. Für mich jedoch eine Leichtigkeit. Zu häufig habe ich mich mittlerweile bei der Teststraße testen lassen. Ich beherrsche das Spiel zwischen, die Flüssigkeit nicht verschütten und das Auto langsam durch den abgezäunten Bereich steuern, tadellos. An dem Container angekommen, auf dem eine große Drei hängt, stehen zwei junge Frauen. Eine junge Frau steht neben meinem Auto und hält einen Scanner zur Hand, die andere junge Frau sitzt im Container und bereitet die Teststreifen vor. Beide sind grün gekleidet, jedoch ohne Plastikkittel, Haarnetz oder Schutzbrille. Sowas wäre am Beginn der Teststation nicht möglich gewesen. So wenig Angst hat man also noch vor Corona.
Und wie vorhin auch, werde ich wieder nett begrüßt. “Einmal ihren QR-Code und Ausweis bitte.” Wieder tippe ich auf meinem Handy hastig herum und suche den Screenshot von meinem QR-Code.

Durch die 3-G Regel ist Wien nicht mehr, das was es vorher war. Obwohl langsam wieder Normalität einkehrt, ist der spontane Kaffee in der Innenstadt Geschichte. Restaurant oder Café Besuche müssen gut geplant werden. Ohne Test geht gar nichts.
Ich zeige meinen QR-Code und Ausweis her und versuche immer noch die Flüssigkeit in dem Behälter nicht zu verschütten. Mein Name wird mit meinem Ausweis abgeglichen und anschließend wird mir ein Teststreifen gereicht, wo mein Name und die aktuelle Uhrzeit draufstehen. 20:42 Ich werde zum nächsten Container geschickt, in dem ein junger Mann sitzt. Er lächelt mich an und verlangt den Plastikbehälter und den Teststreifen. Ich strecke nicht nur meinem Arm aus dem Fenster, sondern beuge mich förmlich aus meinem Auto hinaus und reiche ihm die beiden Sachen. Er tropft drei Tropfen auf den Teststreifen und lässt mich dann weiterfahren. Nun warte ich für mehrere Minuten in der Autoschlange. Während meiner Wartezeit schaue ich mich aus meinem Auto um. Obwohl mehrere Schilder hängen, auf denen groß “Motor abstellen” steht, macht dies kaum wieder jemand. Ebenfalls hängt ein Schild mit “Maske aufsetzen und anlassen”, auch daran halten sich wenige Autofahrer. Viele Mitarbeiter halten gerade ihre Pause neben den Container ab, rauchen und trinken gemeinsam Kaffee. Abstand wird kaum gehalten. Und das in einem Testzentrum.

Durch Impfungen und niedrige Inzidenzzahlen werden viele Menschen nachlässig, wenn es um den Schutz vor Corona geht. Das Hygienekonzept scheint zu funktionieren und durch die vielen Impfungen und Tests werden weniger Menschen krank und können herausgefiltert werden. Jedoch habe ich Angst, dass im Herbst wieder eine neue Welle entsteht und wir wieder in den Lockdown gehen.
Die Autoschlange geht schleichend voran und langsam komme ich am letzten Container an. Ein junger Mann erscheint und fragt mich nach dem Teststreifen und nach meiner Krankenkassenkarte. Er verschwindet mit beiden und kommt kurze Zeit später mit meinem Ausdruck. “Schönen Abend noch und ein gutes Wochenende!” “Dankeschön, ebenfalls!” Ich werfe kurz einen Blick auf das ausgedruckte Testergebnis und falte es anschließend zusammen und lege es auf den leeren Beifahrersitz. Ich lasse die Fenster offen, drehe meine Musik wieder auf und fahre an dem warmen Freitagabend glücklich Nachhause. Ich freue mich auf das kommende Wochenende.
Ich bin negativ.

© Kimberley Resch