Bevor ihr diesen Blogeintrag weiterlest, fragt euch einmal, wann wart ihr das letzte Mal in einer Oper? Was reizt euch bzw. was reizt euch gerade nicht an dem Genre?
Welche Ansprüche stellt die Oper an sich selbst? Für wen macht sie das Genre zugänglich und attraktiv? Für wen entstehen Barrieren und Hürden? Ist eine Oper automatisch und ausschließlich ein Kunstwerk? Oder kann eine Oper auch einfach unterhalten?

An diesen Fragestellungen kann Richard Strauss‘ Oper „Ariadne auf Naxos“ anknüpfen. Sie lässt den Konflikt zwischen Kunst- und Bildungsansprüchen und dem Bedürfnis nach Unterhaltung auf der Bühne austragen.
Die Inszenierung des britischen Regisseurs James Bonas, feierte am 04. März 2023 auf der Bühne des Magdeburger Opernhauses Premiere. Wir waren bei der Premiere am Start und haben uns anschließend für euch ein paar spannende Hintergrundinformationen vom Regisseur eingeholt.

Weronika Rabek, Anna Malesza-Kutny, Na’ama Shulman, Arnold Bezuyen, Paul Sketris, Marko Pantelic, Susi Wirth © Andreas Lander

Was macht „Ariadne auf Naxos“ auch heute noch so erzählenswert? Warum sollten sich die Zuschauer:innen auf diese Oper einlassen?

„Wie alle großen Theater- und Musikstücke spricht es direkt unsere Erfahrungen an. Im ersten Teil ist für jeden, der sich schon einmal gefragt hat, wie es hinter der Bühne vor einer Aufführung zugeht, und für jeden, der gerne zusieht, wie zwei sehr unterschiedliche Kulturen aufeinander prallen, ein wahres Vergnügen. Im zweiten Teil, der eigentlichen Oper, werden die Themen Verlust, Isolation, Einsamkeit und Verzweiflung außerordentlich detailliert beschrieben, aber sie treffen auf heitere Komik, Absurdität und Wärme in einer Weise, die völlig überraschend und für die Zeit, in der sie geschrieben wurde, ein sehr gewagtes Experiment ist. Das Werk selbst ist also teils ein radikales Experiment, teils ein zeitloser Klassiker: es ist lustig, es ist albern, es ist schön und es ist tiefgründig.“

Die Oper besteht aus einem Akt, dem ein Vorspiel vorangesetzt wird. Gleich zu Beginn der Aufführung geht es im Parkett und auf der Vorbühne wuselig zu. Ein reicher Gastgeber lädt in seine Gemächer ein, der Uraufführung einer Oper, gefolgt von heiteren Unterhaltungsnummern einer Komödiant:innentruppe, beizuwohnen. Der junge Komponist der Oper, gespielt und herrlich gesungen von Emilie Renard, fürchtet um die Kunst seines Werkes, die durch die Einlagen Zerbinettas und ihrer Leute geschmälert werden könnte. Diese wiederum sehen ihr Publikum durch die vorangestellte Oper gelangweilt zurückbleiben.
Kurz bevor die Wogen geglättet werden können, verkündet der Haushofmeister (Susi Wirth) den nächsten Eklat: Beide Aufführungen sollen aus Zeitgründen nun gleichzeitig stattfinden. Ein energiegeladenes Wortgefecht zwischen Komponist und Komödiantin, Musiklehrer, Tanzlehrer und Opernsänger:innen bricht aus. Zwischen all den Vorwürfen und Schmälerungen beruhigen und nähern sich der Komponist und Zerbinetta in einem einfühlsamen Duett, dem musikalischen Highlight des ersten Teils, an.

Das Vorspiel zeichnet sich durch eine gelungene Personenführung aus. Das Setting ist stimmig und das Spiel vor dem Eisernen Vorhang passend. Dennoch kostet es den Zuschauer:innen viel Konzentration, dem Inhalt bis zum Ende zu folgen. Ein Großteil des Librettos wird singend vorgetragen. Textlich sind viele Sänger:innen nur schwer zu verstehen und die angekündigten Übertitel fehlen.
Nach knapp einer dreiviertel Stunde endet das Vorspiel und entlässt das Publikum mit einer Vielzahl von Erwartungen an eine erfrischend-witzige, mitunter etwas chaotische Opernaufführung in die Pause.

Dogukan Kuran, Aleksandr Nesterenko, Lisa Mostin, Adrian Domarecki, Johannes Stermann © Andreas Lander

Diesen Erwartungen will der zweite Teil, die eigentliche Aufführung der Oper, nicht so ganz gerecht werden. Die Geschichte der Ariadne beruht auf den griechischen Mythos um Prinzessin Ariadne. Diese wird von ihrem Geliebten Theseus verlassen und auf der einsamen Insel Naxos ausgesetzt. Regisseur James Bonas übersetzt den antiken Mythos ins Hollywood der 1960er und Ariadne verkörpert einen gefallenen Filmstar, die sich in einem trostlosen Hotelzimmer ihrer Todessehnsucht hingibt.

Die Figur der Ariadne ist an die Schauspielerin Marilyn Monroe angelehnt. Inwieweit können auch jüngere Menschen, die so ziemlich alle nach dem Tod Monroes geboren wurden, heute an ihr Leben und Leiden anknüpfen?

„Obwohl ich schon sehr alt bin, wurde ich erst geboren, als Marilyn schon tot war. Dennoch schien sie eine so starke Entsprechung für Ariadne zu sein, da sie innerhalb von Jahrzehnten nach ihrem Tod zu einer Legende wurde. Ihr Bild, die Vorstellung von ihr und auch ihre Misshandlung und schreckliche Isolation sind Teil der Sprache und der Bildsprache unserer Kultur geworden. Sie ist mit Sicherheit zu einem modernen Mythos geworden. So sind gerade in den letzten Monaten neue Dokumentarfilme über ihr Leben auf Netflix erschienen, ein Film auf einer anderen Plattform und so weiter. Auch wenn keiner von uns sie kannte und sie für die meisten von uns schon tot war, bevor wir geboren wurden – ihr Bild, ihre Geschichte und ihr Leiden haben immer noch einen starken Nachhall. Ich denke, das gilt auch für die jüngeren Generationen.

Die Geschichte der Ariadne hat für uns eine Bedeutung, die sie vor vielen Jahren gehabt haben mag. Auch die Art und Weise, wie Marliyn gelitten hat, hat sich überhaupt nicht verändert – die Zahl der zeitgenössischen Künstler:innen – seien es Amy Winehouse, Heath Ledger, Kurt Cobain und die Liste ließe sich leider fortsetzen -, die feststellen mussten, dass sie inmitten ihres Ruhms verzweifelt sind und sterben, wächst weiter. Diese Geschichte ist in der heutigen Welt, in der immer mehr von uns miteinander verbunden sind, so wichtig wie eh und je – denn immer mehr von uns sind tatsächlich allein.“

Das Hotelzimmer ist stilgetreu mit einem großen Kronleuchter, Satinbettwäsche und gigantischen weißen Vorhängen ausgestattet. Aus unserer heutigen Betrachtung heraus gleicht diese Tristesse durchaus der einer Wüstenlandschaft, wie sie im Originallibretto zu finden ist.
Videoprojektionen spiegeln dezent und atmosphärisch die Stimmungswechsel der Protagonistin wider. Dennoch wirkt das Bühnengeschehen sehr statisch. Abgesehen von einer Lichterkette und einem lebensgroßen (leider nur künstlichen) Kuchen bietet das Bühnenbild keinerlei Umbauten, geschweige denn Überraschungen.
Inhaltlich baut sich die Oper um einen Monolog Ariadnes herum auf, in dem sie mit ihrer Trauer, Verzweiflung und ihren Träumen hadert. Dieser Monolog wird durch die Einsätze Zerbinettas und ihrer Komödiant:innentruppe durchbrochen. Ihr Auftreten wirkt den Charlie Chaplin-Filmen entsprungen und die Spielenden meistern ihre Rollen fabelhaft. Dennoch: Eine Rollschuheinlage oder der Ritt auf einem Strauß mögen durchaus amüsant daherkommen, die Komik möchte aber nicht so richtig zünden. Das nimmt der Oper den so wichtigen und gewünschten Gegenpart zur Dramatik und somit das Tempo.

Soojin Moon-Sebastian, Lisa Mostin © Andreas Lander

Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Künstler:innen und dem Team in Magdeburg?

„Das Team hat eine wunderbare Gruppe von Menschen aus der ganzen Welt zusammengebracht. Mit dem Können und dem Engagement des Theaters Magdeburg hatten wir die Chance, sechs Wochen lang gemeinsam eine Show zu machen, die wirklich von uns allen kommt – den Sänger:innen, dem Dirigenten und dem Orchester, den Schauspieler:innen, den Designer:innenn, den Videokünstler:innen, den brillanten Statist:innen, der Technik- und Theater-Crew und dem Regieteam, die das alles möglich machen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Menschen daran beteiligt sind, dass eine Aufführung stattfinden kann – sie sind einfach fantastisch!“

Musikalisch kann der zweite Teil umso mehr beeindrucken. Allen voran Lisa Mostin als Zerbinetta verzaubert mit ihrem Sopran auch die letzten Zuschauer:innen in den hintersten Reihen. Ein virtuoses Spiel mit den Tönen, welches sich in entlegenen Höhen bewegt und federleicht daherkommt, was ihr zurecht einen tosenden Zwischenapplaus einbringt. Die Ariadne wird am Abend der Premiere von Soojin Moon-Sebastian gesungen, die nur vier Tage vor der Premiere für die erkrankte Noa Danon einsprang. Sie glänzt während des Abends mit einer bewegenden und kraftvollen Stimme und schafft es, die psychischen Abgründe ihrer Figur überzeugend darzubieten. Souverän spielt sich die Magdeburger Philharmonie unter der Leitung des 1. Kapellmeisters, Svetoslav Borisov, durch die facettenreiche Partitur Richard Strauss.

Soojin Moon-Sebastian, Arnold Bezuyen © Andreas Lander

Die Magdeburger Produktion punktet durch musikalische und stimmliche Glanzleistungen, die einer gefälligen und durchaus langatmigen Inszenierung gegenüberstehen. Dem Wunsch, vor allem jüngere Menschen für die Oper zu begeistern, wird diese Inszenierung nur bedingt nachkommen. Die Figuren und das Bühnengeschehen bleiben sehr blass, wenig nahbar und bieten spätestens im zweiten Teil kaum noch Zugänge, durch die das Publikum an die Gefühls- und Erfahrungswelt der Geschichte anknüpfen könnte.

Der Abend bleibt, was der reiche Gastgeber schon am Anfang der Aufführung provozierte: Ein Opernexperiment. Und wer sich darauf einlassen kann und möchte, hat vorerst bis zum 21. Mai 2023 die Gelegenheit dazu, sich eine der Vorstellungen im Opernhaus anzuschauen.
Alle Informationen zum Stück, zu den Veranstaltungszeiten und Eintrittspreisen gibt es auf der Website des Theater Magdeburg.

Noch einen Blick in den Trailer zu „Ariadne auf Naxos“ gefällig?

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Text: Tobias Bachmann