Ein Interview zur neuen Schauspielproduktion „Odyssee“ am Theater Magdeburg

Wer kennt sie nicht, die sagenumwobenen Abenteuergeschichten des Odysseus. Aber was passiert, wenn wir die Perspektive vom Kriegshelden hin zu jenen Menschen lenken würden, die zuhause ausharrend auf die Rückkehr des tollkühnen Abenteurers warten? Welche Sehnsüchte und Sorgen, was für eine Komik kann so ein Wechsel der Perspektive zu Tage bringen?
Der Regisseur Bastian Reiber und sein Team nehmen sich dieser Fragen an und schicken Spielerinnen und Zuschauer:innen auf eine ganz eigene Irrfahrt durch das alte Griechenland. Mit an Bord sind die Spielerinnen Iris Albrecht, Marie-Joëlle Blazejewski, Julia Buchmann, Bettina Schneider, Carmen Steinert und Sophia Vogel.
Die Uraufführung dieser neuen Stückfassung findet am Samstag, den 13.05.2023 auf der Bühne der Kammer 1 im Schauspielhaus Magdeburg statt.
Wir haben uns im Vorfeld mit dem Regisseur Bastian Reiber und dem Komponisten und Musiker Ingo Günther getroffen und nachgefragt!

v.l.n.r. Sophia Vogel, Bettina Schneider, Marie-Joelle Blazejewski, Iris Albrecht, Julia Buchmann © Dorothea Tuch

Von 2009 bis 2012 warst du, Bastian, als Spieler am Schauspielhaus in Magdeburg engagiert. 2017 gabst du mit den „Passionsspielen“ in Hamburg dein Regiedebüt. Die „Odyssee“ am Theater Magdeburg ist nun deine dritte Regiearbeit. Wie kam es dazu?

BR (Bastian Reiber): Bastian Lomsché, der Teil der Schauspielleitung hier am Haus ist, hat mich gefragt, ob ich nicht etwas machen möchte und so habe ich überlegt, was wir machen könnten. Das ist jetzt meine dritte Regiearbeit. Meine erste Regie waren die „Passionsspiele“, die zweite war „Prometheus“ und mir geht es immer darum, einen riesigen Brecher zu nehmen, eine große Ansage zu machen und sich daran dann abzuarbeiten.
Wir machen auch nicht wirklich die Odyssee. Das ist erstmal nur so eine Ansage. Trotzdem ist es kein beliebiges Stück gewesen. Es gibt eine Passage in dem Stück, die mich wahnsinnig interessiert hat. Und zwar ist die Gesichte der Odyssee so, dass Odysseus nach dem Krieg von Troja zurück nach Hause fährt, wo Penelope auf ihn wartet. Sie wartet da in ihrem Palast. In dem Palast sind aber auch wahnsinnig viele Leute, die darauf hoffen, dass Penelope sagt, mein Mann ist tot, ich muss neu heiraten – Freier, die nur darauf warten, dass sich Penelope einen neuen Mann erwählt, der wiederum der neue König wird. Darauf hat sie aber gar keine Lust. Sie macht nun folgendes: Bevor sie sich entscheidet, möchte sie noch das Leichentuch für Odysseus Vater zu Ende weben. Und dann sieht man sie tagsüber weben und nachts trennt sie die Naht wieder auf. So führt sie die Freier an der Nase herum und betreibt so was wie eine Zeitverzögerung. Und das ist der Grund, weshalb ich das eigentlich machen wollte.
Wir übersetzen das bei uns. Bei uns treten Mägde auf und die müssen jetzt die Erwartung, die das Publikum an das Stück hat, retten. Sprich, wir machen eigentlich auch die ganze Zeit ein Zeitspiel.

In eurer Stückfassung warten die Mägde Penelopes 20 Jahre tagein und tagaus auf die Rückkehr Odysseus, ohne zu wissen, ob und wann dieser heimkehrt. Was hat es mit dieser immensen Zeit des Wartens auf sich?

BR: Warten ist ein sehr symbolischer Vorgang. Der dient bei uns erstmal als Ausgangssituation: Was passiert eigentlich, wenn nichts passiert? In der Kunst gibt es den Begriff des „Horror vacui“, was übersetzt die Angst vor der Leere heißt. Man kann es nicht aushalten, dass mal nichts ist. Die ganze Zeit über muss irgendwas passieren. Das können wie hier 20 Jahre, 2 Wochen oder auch nur eine Stunde des Wartens sein. Was aus dem Nichts heraus entsteht, das ist es, was ich so spannend finde, und das kann in verschiedene Richtungen gehen.

Ihr distanziert euch von der sehr oft erzählten und vor hegemonialen Männlichkeitsbildern nur so strotzenden Heldengeschichte. Was war und ist euch bei eurer Erzählung wichtig?

Bastian Reiber © Debora Mittelstaedt

BR: Mir geht es vor allem darum, wie man Komödien auf der Bühne erzählen kann. Wie schafft man es, etwas Witziges auf die Bühne zu bringen, womit man auch nicht rechnet. Wenn man jetzt eine Komödie am Theater inszenieren will, dann ist man schnell bei Molière und Shakespeare. Das sind alles Sachen, die wurden vor Hunderten vor Jahren geschrieben. Die haben auch ihre Berechtigung, aber ich habe immer das Gefühl, dass Theater kein Museum ist, wo man sagt, man begutachtet das, was es schon immer gab. Man muss auch mal versuchen, neue Sachen zu erfinden.
Wie kommt man auf neue Sachen? Indem man versucht, neue Wege einzuschlagen, Sachen miteinander zu vermischen, die nichts miteinander zu tun haben und zu gucken, was dabei herauskommt. Genau das ist die Suche nach einer neuen Erzählweise.

Wie seid ihr hierbei als Team vorgegangen?

BR: Mit sehr viel Ahnungslosigkeit und Ratlosigkeit nähert man sich dem an. Das heißt, man hat eine halbe Idee, beispielsweise von einer Szene, und man wirft die in den Raum und dann versuchen da ganz viele Leute mitzumachen und mitzudenken. Das ist eben der Prozess, der so spannend ist, dass ich vorher gar nicht weiß, was herauskommt und wie ich es bewerkstelligen will.
Das Einzige, worauf man sich verlassen kann, sind die Leute und die Verständigung über einen gewissen Humor.

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen euch beiden, Bastian und Ingo?

IG (Ingo Günther): Wir kennen uns jetzt schon sehr lange, über zehn Jahre denke ich. Ich habe Bastian zum ersten Mal in Magdeburg als Spieler kennengelernt. Mittlerweile verbindet uns eine langjährige Arbeit mit dem Regisseur Herbert Fritsch. Wir haben verschiedene Sachen in Berlin und Hamburg gemacht – ich war für die Musik verantwortlich und Bastian hat gespielt. Jetzt ist es das erste Mal, dass Bastian die Regie übernimmt und mich gefragt hat. Das hat mich sehr gefreut. Und ich finde das ganz schön mit diesem Team, und das ist ganz wichtig bei so einer Arbeit, die wir hier machen. Da steht kein Text, das ist eine ziemlich intime Arbeit und heißt, man muss da irgendwo aufeinander vertrauen und zusammen Spaß haben. Ich glaub, das ist nochmal extremer, als wenn wir jetzt ein fertiges Stück vom Blatt inszenieren würden.

Was ist euch bei der Musik wichtig? Welche Aufgabe hat sie innerhalb eurer Inszenierung?

IG: Erstmal war es uns wichtig, dass wir mit unserer Theatermusik nicht mit dem Kino konkurrieren wollen. Eine Liebesszene dezent mit Streichern untermalen, die aber kaum zu hören sein sollen – das wollten wir vermeiden.
Die Schauspielerinnen werden musizieren, aber vor allem werden sie auch ganz viel singen. Wir haben versucht und wir versuchen gemeinsam Gesänge zu entwickeln, die nicht im klassischen Sinne immer harmonisch sein werden. Bei Odysseus fallen einem zum Beispiel sofort die Sirenen ein. Generell finde ich es schön im Theater, wenn man die Musik als Mittel auch erkennt und man diese Musik nimmt und trotzdem versucht, eine Form hinzukriegen. Letzten endlich soll der Abend einen besonderen Klang haben und nicht so klingen, als hätte man seine Lieblings-Playlist auf Spotify abgespielt.

BR: Musik als Vorgang, hast du einmal beschrieben, wie ein weiterer Mitspieler…

IG: Das ist auch so eine Sache, dass ich das gar nicht trennen möchte – zum einen das schauspielerische Spiel und zum anderen wird dann musiziert. Ich finde Sprache ist auch Musik, eine Bewegung ist auch ein Tanz. Alles ergänzt sich.

BR: Wir wollen nichts machen, dass man eigentlich schon kennt. Das gelingt uns, indem wir Fehler machen. Das heißt, man macht etwas und dann passiert etwas, was nicht stimmt und das überrascht einen und durch diesen Fehler kommt man ja erst wieder auf eine neue Spur. Das ist musikalisch als auch spielerisch so. Man würde einen Ablauf machen und dann passiert etwas Unvorhergesehenes und dieses Unvorhergesehene ist die Spur, wo man sagt, lass mal gucken, was das überhaupt ist. Spannend wird es dann, wenn man es nicht genau orten kann. Wenn man sagt, es klingt irgendwie, aber es ist es nicht so ganz. Was mich beim Gucken überrascht oder mich in Frage stellt, wo ich mich wundere, was ist das eigentlich – da fängt man an, interessiert hinzugucken.

IG: Insofern ist da Musik und Schauspiel auch sehr ähnlich. In dem Moment, wo man irritiert, wird die zuschauende Person neugierig. Die Neugier ist es, die auch sehr viel mit der Komik gemeinsam hat. Jede Pointe ist eigentlich eine Katastrophe. Es passiert, was auf jeden Fall nicht vorhersehbar war, es ist ein Fehler. Das ist komisch auf der einen Seite und auf der anderen Seite kann man darüber ganz anders über die Welt nachdenken – warum ist das so, wieso ist das so komisch.

Bettina Schneider © Dorothea Tuch

Was wünscht ihr euch, wie das Publikum eure Arbeit annehmen wird?

BR: Es ist ein großes Anliegen von mir, dass die Zuschauer:innen sehr große Freude daran haben werden und sehr viel lachen können. Es soll eine Komödie sein und es soll lustig werden. Das ist die große Ansage.

IG: Wenn wir sonst Sachen machen, die nicht so konventionell oder eben abstrakter in der Ästhetik sind, dann kommen oft Leute und kritisieren, das habe ich nicht verstanden. Es gibt Menschen z.B. in der bildenden Kunst, die können mit abstrakter Malerei nichts anfangen, weil sie darin nichts sehen oder erkennen können…

BR: … Ja aber genau, weil es da eben nichts zu verstehen gibt. Nicht weil man zu doof ist. Das ist immer so die Angst, wenn man im Publikum sitzt und sich fragt, bin ich jetzt zu doof für das, was da gerade passiert. Das ist bei uns auf gar keinen Fall so. Wenn man etwas nicht versteht, dann ist es, weil es da nichts zu verstehen gibt. Das muss man auch erstmal schaffen, sich darauf einzulassen.

Wir danken Bastian Reiber und Ingo Günther für das Gespräch und wünschen toi, toi, toi für die Premiere! Die „Odyssee“ steht in dieser Spielzeit noch bis zum 17.06. auf dem Spielplan. Alle Informationen zum Stück, zu den Spielterminen und Eintrittspreisen findet ihr auf der Webseite des Theater Magdeburg.

Weitere Eindrücke aus dem Stück sind dem folgenden Trailer zu entnehmen:

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Text: Tobias Bachmann