Spielzeiteröffnung am Theater Magdeburg

Der Sommer in der Elbestadt neigt sich dem Ende. Die letzten Straßenfeste, Open-Air-Konzerte und entspannten Abende an der Elbe laufen. Auf den Bühnen im Opernhaus und Schauspielhaus wird dagegen schon fleißig geprobt. Die neue Spielzeit 2023/24 steht in den Startlöchern, und mit ihr warten 24 Premieren, darunter 10 Uraufführungen, auf begeisterte und kritische Zuschauer:innen.

Das Theater Magdeburg lädt vom 08. bis 10. September 2023 zum großen Eröffnungswochenende mit einem Theaterfest ein. An diesem Wochenende wird sich für gleich drei Neuproduktionen zum ersten Mal der Vorhang heben. Wir haben uns vorab ein wenig schlau gemacht, was uns da so Schönes erwartet …


Hier wird uns etwas blühen

Den Anfang macht am Freitag eine Operette: „Die Blume von Hawaii“ von Paul Abraham.

Knallige Farben, schmissige Musiken und eine überschäumende Heiterkeit – Abrahams Musikstück schürt die Sehnsüchte nach einen Ort, an dem man sich frei entfalten und sowohl sich als auch das Leben ausgiebig feiern kann. Und das zu einer Zeit, in der sich aus politischen Gründen immer mehr Räume schlossen und die gesellschaftlichen Verhältnisse immer bedrohlicher zu wurden schienen. Von den darauffolgenden politischen Entwicklungen blieb auch der ungarisch-deutsche Komponist Paul Abraham nicht verschont, der 1933 Deutschland über Nacht verlassen und zusehen musste, wie seine Werke einem Aufführungsverbot unterzogen wurden.

Bereits vor zwanzig Jahren stand „Die Blume von Hawaii“ auf dem Spielplan des Magdeburger Opernhauses. In der Neuinszenierung lässt es sich der Generalintendant und Regisseur Julien Chavaz nicht nehmen, den überbrodelnden Humor und die haltlose Ironie in Abrahams Werk voll auszukosten. Chavaz imaginiert eine farbenfrohe Bühnenwelt, die ästhetisch an die 1930er Jahre erinnert, und eingängige Melodien, die Zuschauer:innen auch auf ihren Nachhauseweg noch mitsingen werden.

Im Vergleich zur Originalfassung wird es einige Änderungen geben. So verzichten Chavaz und sein Team auf die im Titel anklingenden Exotismen und Klischees. Wir leben in einer globalisierten Welt, so Chavaz, in der wir einander nicht länger als unbekannte fremde Wesen betrachten, sondern im Austausch mit Menschen verschiedener Kulturen die Augenhöhe brauchen und suchen. Auch den weiblichen Figuren soll in der neuen Fassung eine bedeutendere Rolle zugesprochen werden.

Für diesen rundum glücklich machenden Abend erwartet die Zuschauer:innen ein beträchtliches Aufgebot an Sänger:innen und Schauspieler:innen aus dem Ensemble, Gäst:innen sowie Mitgliedern des Magdeburger Opernchores.


Gemeinsam ist man stärker, oder?

Weiter geht’s am Samstag im Schauspielhaus. Mit „Wolf“ ist es dem Theater gelungen, den gefeierten ersten Jugendroman von Saša Stanišić als Uraufführung nach Magdeburg zu holen. Regisseurin und Schauspieldirektorin Clara Weyde erzählt uns mehr über die Produktion.

© Kerstin Schomburg

1) Warum „Wolf“ von Saša Stanišić? Was fasziniert Euch an dem Roman? Was macht ihn so relevant und spannend für die (Magdeburger) Theaterbühne?

Saša Stanišić ist einer der wichtigsten und in unseren Augen besten zeitgenössischen Autoren. Deshalb haben wir ihn letztes Jahr im November zu einer Lesung eingeladen, seitdem ist der Kontakt nie abgerissen. Wir haben uns anschließend sehr darum bemüht, seinen neuen, damals noch unveröffentlichten Roman, als Uraufführung in Magdeburg machen zu dürfen. Das ist ein großes Ding für das Theater und die Stadt und wir sind Saša sehr dankbar, dass er Lust darauf hat.

Seine Texte haben die große Qualität, dass sie sehr lustig sind, dabei aber gesellschaftliche Relevanz haben, ungewöhnliche, aber unbedingt anzuhörende Perspektiven ermöglichen. Das passt gut zu uns und unserem Selbstverständnis, welche Art von Theater uns interessiert. „Wolf“ ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über das Lernen, Verantwortung zu übernehmen und eine Gruppe oder Gesellschaft mitzugestalten. Das sind Themen, die sich wie ein roter Faden durch unsere Spielzeit ziehen. Und die mit Sicherheit nicht nur für Jugendliche von Bedeutung sind.

2) Welche Emotionen sind Euch beim Lesen des Romans hochgekommen? Welche möchtet Ihr mit den Zuschauer:innen teilen?

Kemi, der Protagonist in „Wolf“ wird gegen seinen Willen in ein Ferienlager im Wald geschickt. Fast jede:r von uns war in seiner Kindheit oder Jugend auch mal in einem Ferienlager. Oft bleiben davon recht nachhaltige Eindrücke, positive wie negative. Die Palette reicht von Freiheit, Abenteuer, erster Liebe bis zu Heimweh, Ausgrenzung und im schlimmsten Fall Mobbing und Gewalt. Diese Erinnerungen kommen bei der Beschäftigung hoch. So ein Ferienlager ist ein eigener Kosmos, in dem die Welt und Gesellschaft im Kleinen ausgehandelt werden.

3) Schauplatz des Romans ist der Wald, der oft mit Gefahr, Bosheit, Einsamkeit und ähnlichen düsteren Attributen daherkommt. Im Roman eröffnet der Wald aber für Jörg und Kemi Räume des Schutzes, der Reflexion und des Aufeinanderzugehens.
Inwieweit beschäftigt Ihr Euch in Eurer Inszenierung mit dem Aspekt der soziale Räume? Und inwieweit wird sich das in der Bühnengestaltung widerspiegeln?

In der Literatur stehen sich Natur und Gesellschaft oftmals gegenüber. Im Idealfall ist die Gesellschaft Schutzraum vor Gefahr, während die Natur, insbesondere der Wald, der Ort ist, an dem die Gefahr lauert. In „Wolf“ drehen sich diese Verhältnisse teilweise um. Kemi und, mehr noch, sein Hüttenmitbewohner Jörg sind Außenseiter. Sie werden von den Mitschüler:innen „andersiger“ gemacht, wie Kemi das ausdrückt, und damit zu potentiellen Opfern. Für diese „Anderen“ bietet die Gesellschaft keinen Schutz, sondern wird zur Gefahr, während der Wald zum Schutzraum wird, weil dort die Gesellschaft nicht ist.

Das Bild des Wolfes, der Kemi in seinen Fantasien erscheint und in unserer Inszenierung eine tragende Rolle spielt, trägt diese Widersprüche und Umkehrungen in sich. Er ist weder nur gut noch nur böse. Er kann fleischfressendes Monster sein und Beschützer. Er bleibt unkontrollierbar. Der Wolf wird damit auch zu einem Bild eines inneren Zustandes, den wir in unserer Jugend am stärksten zu spüren bekommen. Die Widersprüchlichkeit der Welt offenbart sich, Überforderung und Enttäuschung werden erlebbar, die kindlichen Schutzräume lösen sich auf.

Diese Überlegungen spielen auch bei der Gestaltung der Bühne eine Rolle. Wir wollen noch nicht zu viel verraten, aber so viel schon: es wird nass werden.

4) Worauf dürfen sich die Zuschauer:innen freuen? Warum sollten sie „Wolf“ auf keinen Fall verpassen?

„Wolf“ ist ein großartiger, schlauer Text mit sehr viel Humor der beileibe nicht nur für Jugendliche interessant ist. Ein Ferienlager bietet allerhand Zutaten, mit denen sich toll auf einer Bühne arbeiten lässt. Die Vorproben haben großen Spaß gemacht.
Das Ensemble – Philipp Kronenberg, Anton Andreew, Lorenz Krieger, Bettina Schneider, Sophia Vogel – strotzt vor Spiel- und Erfindungsfreude. Es wird nass und wild werden.


Schlangengrube und weiße Weste

Die dritte und letzte Premiere an diesem Wochenende führt uns ein gewaltvolles Bild einer Dorfgemeinschaft vor Augen. Gespielt wird „Jagdszenen“ von Martin Sperr.

© Kerstin Schomburg

Schauplatz des Geschehens ist die kleine Gemeinde Reinöd. In ebendiese kehrt Abraham, der wegen seiner Homosexualität zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, zurück und bekommt die Ablehnung der Dorfbewohner:innen zu spüren. Die Bäuerin Maria beschuldigt Abraham, ihren kriegstraumatisierten Sohn verführt zu haben. Um sich diesen Behauptungen und den gesellschaftlichen Repressionen zu entziehen, vergewaltigt Abraham die Magd Tonka … Anschuldigungen, Verleumdungen, Erpressungen, psychische und physische Gewalt, Mord – ein vernichtender Sog aus Hass und Gewalt wird in Gang gesetzt, den all jene zu spüren bekommen, die nicht dem vorherrschenden Moralkodex entsprechen. Wie weit würden Menschen gehen, nur um diesen Kodex zu wahren oder gar ihm angehören zu können? Sperr prangert in seinem Theaterstück von 1965 die Verlogenheit einer Dorfgemeinschaft an und zeigt daran, wie bis in die heutigen Zeiten hinein der gesellschaftliche Nährboden fortbesteht, aus dem heraus Ranken aus Missgunst und Gewalt wachsen und wuchern können.

Regisseurin Julia Prechsl, die zuletzt in Saarbrücken, Osnabrück, Ingolstadt und Braunschweig inszenierte, erschafft zusammen mit dem Bühnenbildner Valentin Baumeister und der Kostümbildnerin Luisa Wandschneider das Bild einer fragilen Gesellschaft, in der Schutzlosigkeit und Zerbrechlichkeit auf unbarmherzige Härte treffen. Auf der Bühne spielen Iris Albrecht, Luise Hart, Robert Lang-Vogel, Nico Link, Oktay Önder, Mia Rainprechter, Michael Ruchter und Isabel Will.


Neugierig geworden? Dann ab ins Theater! Alle Informationen zu den Stücken am Eröffnungswochenende und in der neuen Spielzeit 2023/24 findet ihr auf der Website des Theater Magdeburg.

Und noch ein ganzer heißer Tipp: Für die Premiere von „Die Blume von Hawaii“ am 08. September sowie für die Premiere von „Jagdszenen“ am 09. September verlosen wir in Kooperation mit dem Theater Magdeburg jeweils 1 x 2 Gästelistenplätze. Mitmachen könnt ihr bis zum 05. September. Klickt euch hierfür einfach auf unsere Gewinnspiel-Seite!

Text: Tobias Bachmann