~ Ein Interview zur Premiere von „Tod eines talentierten Schweins“ am Schauspielhaus Magdeburg ~

Nach den drei Eröffnungspremieren „Die Blume von Hawaii“, „Wolf“ und „Jagdszenen“ am zweiten Septemberwochenende, legt das Schauspielhaus Magdeburg mit „Tod eines talentierten Schweins“ nun seine nächste Premiere vor. Das Theaterstück des tschechischen Dramatikers Roman Sikora wurde bereits 2008 in Brno uraufgeführt. Fünfzehn Jahre später inszeniert Schauspieldirektorin und Regisseurin Clara Weyde das Schauspiel erstmals für eine deutschsprachige Bühne. Ein musikalischer Monolog, der den Bogen von einem Schlachthof bis zur massenhaften Vernichtung von Leben spannt und nach den Mechanismen menschlichen Zusammenlebens fragt.
Auf der Bühne der Kammer 1 spielen und singen Ensemblemitglied Marie-Joelle Blazejewski und Musiker Thomas Leboeg.

Wir haben uns mit den beiden im Schlachthof – pardon, natürlich im Schauspielhaus getroffen und nachgefragt, was die Inszenierung auszeichnet …

© Kerstin Schomburg

Kurz und knackig: Wovon handelt das Schauspiel?

MB (Marie-Joelle Blazejewski): Kurz und knackig … geht es um ein altes Schwein, das seit längerem in einem Schlachthof lebt, jetzt aber geschlachtet werden soll. Dieses Schwein hat ein besonderes Talent: Sie kann singen. Und dank des Singens hat es das Schwein geschafft, über mehrere Jahre hinweg nicht getötet zu werden. Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, wo sie kurz davor ist, geschlachtet zu werden.

TL (Thomas Leboeg): Dieser Zeitpunkt wird im Stück ausgedehnt. Die Zeit dehnt sich über den ganzen Abend hinweg. Es gibt Rückblenden und sie erzählt Geschichten aus ihrem Leben, wie sie dort hingekommen ist, was sie alles erlebt hat …

MB: Ein bisschen, wie man sich das vorstellt, kurz bevor man stirbt, dass das ganze Leben wie ein Flashback noch einmal an einen vorbeizieht.

 

Wie hast du dich dieser Rolle, die eines singenden Schweins, angenähert?

          Marie-Joelle-Blazejewski © Jan Reiser

MB: In diesem Stück sind ganz viele unterschiedliche Assoziationen drinnen. Einmal von einer alternden Diva bis hin zum offensichtlichen Schwein, einem Nutztier in einem Schlachthof, welches von vielen Menschen gegessen wird. Ich bin erstmal viel über den künstlerischen Aspekt herangegangen und hab mir verschiedene Diven angeschaut, wie zum Beispiel Édith Piaf. Da gibt es etliche Beispiele. Es hat sich relativ schnell gezeigt, dass das nur eine Fassette davon ist. Das Interessante ist, dass es das Divenhafte gibt, das Künstlerische gibt, aber eben auch das Schwein. Das Schwein hat in unserer Gesellschaft eine abgenutzte Position oder auch ein Stigma. Wir benutzen das Schwein, es ein Nutztier und es hat irgendwie keine eigene Persönlichkeit oder Gefühle.

Jetzt komme ich immer mehr dazu, mich mit dem Schwein zu beschäftigen. Heute früh habe ich geschaut, wie Schweine sich eigentlich freuen. Schweine können, wie Hunde, auch bellen und ihr Schwänzchen, wenn der sich kringelt, kann das ein Ausdruck von Freude sein. Aber vor allem ist es sehr von der Persönlichkeit des Schweins abhängig. Mit diesem Gedanken möchte ich an diese Figur herangehen. Eine Figur, die immer wieder für ihre Person, ihre Gültigkeit und Wichtigkeit kämpfen muss.

 

Nun ist die Szene schon sehr makaber: Das Schwein singt, um ihren eigenen Tod hinauszuzögern. Es sieht, wie ihre Artgenoss:innen geschlachtet werden und was unausweichlich auch auf sie zukommen wird …

MB: Ja total, das ist das Ambivalente und das Spannende daran. Und das sagt ganz viel über uns Menschen aus, denn was bleibt uns in tragischen Situationen anderes übrig, als zum Beispiel Hoffnung zu haben. Ein wunderbares Beispiel ist der Film „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni aus den 1990ern. Der Film erzählt von einem Vater, der mit seinem Kind ins Konzentrationslager deportiert wird, der es aber durch eine unglaubliche Fähigkeit schafft, Fantasiewelten zu öffnen, positiv zu bleiben, um so den Sohn zu schützen. Unglaublich traurig aber auch unglaublich rührend. Da kommt man dann über diese makabre Situation an spannende und elementare Teile von uns Lebewesen, nicht nur von Menschen, Lebewesen.

TL: Und auch diese Machtlosigkeit, in der man sich befindet. Dass man die dann nutzt, in Kreativität ummünzt, irgendeine Art von Überlebenstrieb zum Vorschein kommt … Und das wissen wir ja in deinem Fall, Marie-Joelle, auch nicht, ob das Schwein wirklich singen kann oder ob sie sich das alles nur einbildet. Das könnte auch nur ihre Welt sein, die sie sich zurechtlegt, um in diesem System überleben zu können.

MB: Das macht ja nochmal eine ganze andere Ebene auf, die gesellschaftlich super spannend ist, dieser Kampf jemand sein zu dürfen, aber auch sein zu müssen. Und wer entscheidet, dass du jemand bist? Die Frage, ist es wahr oder nicht, die bleibt offen. Das finde ich total schön. Am Ende merke ich, das ist auch ein bisschen egal für die eigene Identität.

 

Was muss ein Schwein singen, um die Metzger:innen vom eigenen Talent zu überzeugen und zu amüsieren? Wie seid ihr bei der Musikauswahl vorgegangen?

       Thomas Leboeg © Bernhard Moosbauer

TL: Ich arbeite schon sehr lange mit Clara Weyde zusammen. Erstmal überlegen wir uns, was für den Abend am besten passt, und meistens komponiere ich die Musik dann selbst. Aber bei diesem Abend war die Setzung klar, dass es einfach bekannte Songs werden, Popsongs, die man wiedererkennt. Ein bisschen hat das auch mit dem Diva-Aspekt zu tun, aber auch weil Marie-Joelle unglaublich toll singt, und dann haben wir verschiedene Wege ausprobiert …

MB: Ich würde sagen, dass fast alle Songs etwas ganz Eigenes haben und dass zumindest in meiner Wahrnehmung alle Künstler:innen irgendwie Meilensteine in der Musik gesetzt haben.

TL: Wir spielen auch nicht immer die ganzen Songs, das wäre einfach zu viel Text. Es wird kein Liederabend. Wir erzählen die Geschichte eines Schweins, das singt, und zwischendurch gibt es Musikeinlagen.
Ich habe bei uns das Gefühl, dass die Musik dahingehend funktioniert, dass man sich kurz von der schrecklichen Geschichte emotional entspannen kann. Da gibt es immer wieder Punkte, wo man für einen Augenblick wegdriften kann. Eine Art Befreiung.

MB: Für mich ist das irre schön, das zu spielen. Musik und Gesang spielen für mich eine große Rolle, ich habe aber nie darüber nachgedacht, es zu professionalisieren. In dem Sinne ist dieses Stück wie ein kleines Geschenk an mich. Musik ist eben anders als Spielen. Das ist eine andere Fähigkeit, so Assoziationsräume und Gefühle auszulösen und etwas zu übertragen. Ich empfinde es für mich so, dass ich bei Musik oder beim Gesang mehr Freiheit empfinde.

 

Wie erlebt ihr die Zusammenarbeit auf der Bühne bislang?

TB: Ich bin ja kein Schauspieler. Ich habe keine besondere Techniken, mich in eine Rolle hineinzudenken. Ich mach das eher aus dem Bauch heraus und bin darauf angewiesen, dass mir gesagt wird, mach das jetzt mal so oder so.

MB: Für mich macht es einen immensen Unterschied, dass wir zu zweit sind. Wir hatten eine Probe, wo ich ganz allein war. Das verschiebt den Fokus natürlich nochmal und es ist etwas anderes, gemeinsam auf der Bühne zu sein. Man befruchtet sich gegenseitig und das tut zumindest mir so gut.

 

Warum sollten sich die Magdeburger:innen diese Inszenierung nicht entgehen lassen?

MB: Ich glaube, dass man eine große Bandbreite an Emotionen erleben kann, dass das Tieftragische neben dem unglaublich Schönen existieren kann, dass alles ambivalent ist und dass alles gleichzeitig existieren kann. Und ich glaube, insbesondere Musikliebhaber:innen werden hier auf eine schöne Musikauswahl treffen.

Außerdem ist ein Schwein auf der Bühne, das reicht ja schon … (lacht)

 

Letzte Frage: Wird es auf der Premierenfeier Schweineschnitzel für euch geben?

MB: Auf keinen Fall! (lacht). Nee!

TL: Nicht mal veganes Schwein. Vielleicht ein Marzipanschwein …

MB: Marzipanschwein … Da ist bestimmt auch Schwein enthalten. Schweine sind in allem verarbeitet, das ist schrecklich, weil halt alles verwertet wird von Schweinen. Insofern wird es … glaub es wird auf jeden Fall Gemüse geben …

Falls sich unter unseren aufmerksamen Leser:innen kreative Hände befinden sollten, die beispielsweise aus einer Wassermelone ein Schwein schnitzen können, leiten wir euch gerne an das Catering für die Premierenfeier im Schauspielhaus weiter!

 

Wir wünschen toi, toi, toi für die Premiere von „Tod eines talentierten Schweins“ am 6. Oktober 2023 und bedanken uns bei Marie-Joelle Blazejewski und Thomas Leboeg für das spannende Interview.

Heißer Tipp: In Kooperation mit dem Theater Magdeburg verlosen wir 1 x 2 Gästenlistenplätze für die zweite Vorstellung am Samstag, den 14. Oktober! Klickt euch dafür einfach auf unsere Gewinnspiel-Seite!

Alle Informationen zum Stück, zu den Spielterminen und Tickets gibt’s wie gewohnt auf der Website des Theater Magdeburg.

Text: Tobias Bachmann