Foto: Nilz Böhme
Vergangenes Wochenende hatten zwei Stücke am Schauspielhaus Premiere, deren Charakter nicht unterschiedlicher sein könnte und die dennoch ein Thema eint – die Familie.
Mit „Emil und die Detektive“ bringt der britische Regisseur Robin Telfer einen Klassiker der Kinderliteratur auf die Bühne und begeistert die Zeitreisenden. Musik der Goldenen Zwanziger, Knickerbocker, Litfaßsäulen sowie Leuchtreklame ziehen die zahlreichen Kinder im Publikum und deren erwachsene Begleiter*innen in ihren Bann. Durch liebevolle Gestaltung der Rollen lassen die Schauspieler*innen ihr wahres Alter vergessen. Die Inszenierung fokussiert auf ein Gemeinschaftsgefüge, welches durch Sprechchöre gestützt wird. Auffällig sind die starken Frauenrollen, die klug und aufgedreht so manchen Irrtum aus der Welt schaffen. So ist Diebstahl aus ehrenhaften Gründen dennoch Unrecht. In seiner Familie gibt es für Emil nur weibliche Bezugspersonen sowohl in der Kleinstadt, wo er mit seiner Mutter wohnt als auch im metropolen Berlin, das als Wohnort seiner Großmutter und der Cousine Pony Hütchen Ziel einer abenteuerlichen Reise ist. Oliver Chomiks Leistung als Dieb Grundeis-Müller-Kießling zollt das Publikum Tribut, indem es ihn beim Schlussapplaus herzhaft auspfeift. Dabei ist der Charakter des Diebes genauso eine „arme Sau“ wie Gustav mit der Hupe, dessen Eltern sich nicht um ihren Jungen scheren. Gut und Böse liegen manchmal nah beieinander. Kästners Werk weist uns auf Fehler im System und die Kälte der Gesellschaft hin, in der Freundschaft ein wichtiges Mittel ist, um trotz der Widrigkeiten des Lebens nicht allein, sondern glücklich zu sein. Essentielle Fragen werden bei dieser Inszenierung nicht zugunsten der Harmonie fallen gelassen.
Was macht man denn auf dieser Welt ohne Geld?
Wie sieht es mit Verantwortung und Pflichtgefühl aus?
Lässt es sich länger als ein paar Tage auf einer einsamen Insel aushalten?
Was essen, wenn kein Lippenstift mehr übrig ist?
Stil contra Sand. Das sind Themen in Nicky Silvers „Fette Männer im Rock“. Hier begegnen mindestens 16 Jahre alte Zuschauer*innen einer verkorksten Familie, deren Mitglieder einfach versuchen zu überleben. Es geht um Phyllis, die auf Mode versessen ist und versucht ihren Mann an sich zu binden. Das Kind, das sie dafür benutzt, heißt Bishop und hat ein Faible für Katharine Hepburn. Howard ist Bishops Vater, Regisseur und geht fremd mit Pam, die sich hauptsächlich von Tabletten ernährt. So weit so gut.
Alles beginnt hoffnungsvoll. „Somewhere over the rainbow“ ertönt, alle tanzen. Doch dann stürzt das Flugzeug ab. Phyllis und ihr elfjähriger Sohn Bishop landen auf einer einsamen Insel. Dort verbringen sie einige Zeit und quälen das Publikum mit dem Verzehr menschlicher Körper. Erschreckend authentisch werden in dieser Inszenierung Knochen gebrochen und Menschen getötet. Die Sprache ist tiefschwarz. Der Sarkasmus wird durch die Musikeinspieler unterstrichen. Für die Zuschauenden gibt es nur geringe Möglichkeiten, Distanz zur Szene aufzubauen. Zu oft kommen die Schauspieler*innen der ersten Reihe bedrohlich nah, binden sie teilweise ins Spiel ein, wollen mit ihnen singen. Herausragend bissig: Iris Albrecht als Phyllis Hogan. Brutal wandlungsfähig: Timo Hastenpflug als Bishop Hogan. Selbstgerecht unausgeglichen: Ralph Martin als Howard Hogan/Dr. Nestor. Verrückt verliebt: Marie Ulbricht als Pam/Popo Martin. Das Stück erinnert an Filme von Quentin Tarrantino, nur dass alles unmittelbarer wirkt. Dabei täuscht die radikale Ehrlichkeit der Brutalität mitunter über die eigentlichen Probleme der Protagonist*innen hinweg. Menschen, die verloren sind, sich an Bekanntes klammernd, nur Fassaden ihrer selbst, nicht wissend, was Liebe eigentlich sein kann, unwillig bedingungslos zu vertrauen.
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