Unser zweiter Spaziergang durch die #Boomtown führte uns in den Stadtteil mit den zwei Namen. Alte und neue Neustadt im Norden der Stadt.

Dort trafen wir die Stadteilmanagerin Lisa S., die uns exklusiv eine Führung durch ihr Arbeits- & Wirkungsgebiet gab.

Wir trafen uns im Nordpark am Familienhaus und stellten schon bald fest, dass dies das Herzstück der alten Neustadt ist.

Magdeboogie Redaktion: Wieso treffen wir uns hier am Familienhaus?

Lisa S.: Hier direkt hinter der Uni habe ich eines meiner zwei Büros, in den ich seit Mitte Juli diesen Jahres für die Gemeinwohlarbeit beider Stadtteile tätig bin.

Das Familienhaus ist sozusagen das Stadtteilzentrum der alten Neustadt. Ein Treffpunkt mit Café und Biergarten, in dem sich die Leute aus dem Stadtteil treffen können, Räume mit nutzen können und soziale Angebote nutzen können. Zum Beispiel gibt es Programm für Kinder oder das internationale Müttercafé, indem Raum gegeben wird das Frauen sich unter sich über wichtige Themen auszutauschen können.

Treffpunkt, Kiez, Magdeburg, Neustadt

Magdeboogie Redaktion: Das Familienhaus wär für mich jetzt nicht das erste an das ich denke, wenn ich an die Neustädte denke, was ist für dich noch wichtig im Kiez

Lisa S.: Zentral ist natürlich alles um den Moritzplatz in der neuen Neustadt. Mit dem Studiokino, Knast und Moritzhof als den Kultureinrichtungen.

Hier in der alten Neustadt ist es schon seit Jahren das Next Generation, ein Kinder- und Jugendclub. Sonst finden hier die meisten Veranstaltungen eher im Bereich der Uni statt. Dadurch hat man einen sehr großen Anteil an jungen Leuten, die hier leben. Die Alte Neustadt ist auch der Stadtteil mit dem höchsten Anteil der Menschen, die nicht ursprünglich aus Deutschland kommen, aufgrund der hohen Anzahl an ausländischen Studierenden, die hier wohnen.

Magdeboogie Redaktion: Was ich mich immer schon gefragt habe: Woher kommt die Unterteilung in Alte und Neue Neustadt?

Lisa S.: Das hat historische Gründe. Die Alte Neustadt bestand zuerst als eigenständige Gemeinde neben Magdeburg. Zu Zeiten Napoleons wurde aus kriegstechnischen Gründen die Alte Neustadt komplett abgerissen und als Neue Neustadt versetzt wieder aufgebaut, um eine Wehrlinie ziehen zu können und sich für den Angriff zu rüsten. Am Nikolaiplatz und am Moritzplatz lassen sich die napoleonischen Grundzüge der Bebauung auf dem Stadtplan wiedererkennen.

Magdeboogie Redaktion: Gestartet sind wir beim Familienhaus im Nordpark, der im Sommer vielfältig genutzt wird und gut besucht ist.

Lisa S.: Wir kommen jetzt als nächstes zur Gemeinschaftsunterkunft an der Agnetenstraße, da die Flüchtlingsarbeit sich zu einem wichtigen Schwerpunkt im Stadtteilmanagement entwickelt hat. Wir haben insgesamt vier Unterkünfte in beiden Neustädten: Münchenhofstraße, Lorenzweg, Agnetenstraße und die Kleine Schulstraße. Ende September haben wir hier in der Neustadt ein Willkommensbündnis gegründet, wo sich Bürger*innen ehrenamtlich engagieren, um die Menschen im Stadtteil willkommen zu heißen und Sozialarbeiter sowie die Aktiven zu unterstützen, d.h. wir haben drei Arbeitsschwerpunkte: Freizeit, Bildung und Organisation. Das spiegelt sich in Sprachkursen wieder, Freizeitangebote (Stadtteilspaziergänge, Willkommenscafés, Sportmöglichkeiten) werden organisiert. Weiterhin gibt es Informationen zu wichtigen Anlaufpunkten im Stadtteil. Die Neustädter engagieren sich bei diesen Dingen mehr als angenommen, was die Arbeit angenehm gestaltet. Zur Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft in der Agnetenstraße erschienen hundert Personen zur Informationsveranstaltung im Familienhaus, weitere Interessierte hatten sich gemeldet.

Da kamen mehr kritische Stimmen rüber und Ängste wurden geäußert was Kriminalität, Sauberkeit sowie Krankheiten betrifft. Es ist ein Bestandteil dieser Arbeit, nicht nur die Leute willkommen zu heißen, sondern auch diese Ängste abzubauen.

Magdeboogie Redaktion: Wieviele Menschen wohnen hier?

Lisa S.: In der Agnetenstraße variiert das ein wenig. Momentan sind es ca. 90 Menschen, größtenteils Familien. Es handelt sich hierbei um eine Notunterkunft, d.h. die Entscheidung, hier Räume für Flüchtlinge bereitzustellen, wurde kurzfristig getroffen. Dementsprechend spartanisch ist es eingerichtet, aber es ist warm und es gibt Rückzugsmöglichkeiten.

Magdeboogie Redaktion: Wie weit sind die Kulturschaffenden des Stadtteils in deine Arbeit eingebunden?

Lisa S.: Die meisten hier ansässigen Vereine und Initiativen sind Teil dieses Willkommensbündnis. In Bezug auf Kultur ist der Moritzhof dabei und das Studiokino, außerdem KanTe e.V. Dadurch, dass es uns noch nicht so lange gibt, sind die Strukturen gerade am Wachsen. Zum Beispiel ist eine Filmvorführung für die Flüchtlinge angedacht.

Magdeboogie Redaktion: Was sind denn die Sachen, die den Stadtteil Neustadt besonders auszeichnen im Bezug auf Magdeburg?

Lisa S.: Es handelt sich um grüne Gebiete mit dem Nordpark und Geschwister-Scholl-Park. Viele Menschen verbringen hier gerade im Sommer ihre Freizeit. Es gibt die Universität, es gibt den Wissenschaftshafen, dadurch werden wichtige Impulse für beide Stadtteile gesetzt, was das Leben im Kiez angeht. Ansonsten zeichnet sich die neue Neustadt durch essentielle Kulturangebote aus wie Moritzhof, Studiokino und Knast. Viele Gewerbe und Industrie. In der alten Neustadt existiert die Kaffeefabrik “Röstfein”. Das war mein persönlicher Startpunkt mit Magdeburg. Als ich vor sechs Jahren hierher gezogen bin, hab ich neben der Kaffeefabrik gewohnt und der Duft hat einen positiven Eindruck der Stadt hinterlassen. Zudem ist es elbnah. Was als negativer Faktor der Neustadt zu nennen ist, dass es 15% Leerstand gibt. Auch wenn viel saniert und Rückbau betrieben wurde, gibt es Ecken wie die Sieverstorstraße mit der Börde Brauerei oder die Diamantbrauerei mit tollen Grundstücken und Gründerzeithäusern, die momentan vor sich hin vegetieren. Es gab bisher Impulse durch Mystique als Kunst- und Kulturfestival, dass zur Umnutzung des TGA-Gebäudes in der Sieverstorstraße beigetragen hat. Das zweimonatige Festival hat den Stadtteil belebt, aber nur temporär. Das ist ein möglicher Ansatzpunkt für weitere Vorhaben, die das Leben der Bürger*innen bereichern könnten.

Magdeboogie Redaktion: Du sagst, du bist seit sechs Jahren in Magdeburg. Welche positiven Veränderungen hast du während der Zeit im Stadtteil wahrgenommen?

Lisa S.: Es wurden viele Straßen verbessert und Häuser renoviert, zurückgebaut und neu aufgebaut. Es wurde in Grünanlagen investiert. Es geht voran mit der familienfreundlichen Gestaltung in Form von Spielplätzen und Kindereinrichtungen.

Magdeboogie Redaktion: Glaubst du, dass die Attraktivität des Stadtteils für junge Leute im Laufe der Zeit abseits der Studierendenschaft noch zunehmen wird?

Lisa S.: Das ist das große Ziel. Dafür bin ich auch da, um solche Prozesse anzustoßen und zu begleiten. Beide Neustädte haben den Vorteil, dass sie an die Altstadt angebunden sind, dass sie supergute Verkehrsanbindung haben und Potential ist auf jeden Fall vorhanden.

Magdeboogie Redaktion: Setzt ihr euch kritisch mit Fragen der Gentrifizierung oder den Nachteilen durch Aufwertung auseinander oder ist der Stadtteil noch nicht so weit, dass es sich lohnt darüber nachzudenken?

Lisa S.: Das ist stets ein denkenswerter Sachverhalt, den es zu beachten gilt. Wenn man neue Impulse setzt, sollten diese nachhaltig gestaltet werden. Um dem entgegenzuwirken, müssen Gespräche mit Immobilienbesitzern so geführt werden, dass diese aktiv am Prozess beteiligt werden und nicht in die Versuchung kommen, die Mieten unverhältnismäßig zu erhöhen und so die ursprünglichen Bewohner zu vertreiben, um wohlhabendere Menschen anzuziehen. Von der Gemeinschaft getragen und fair soll der städtische Raum sich entwickeln. Die Sensibilisierung ist ein langer Prozess.

Magdeboogie Redaktion: Wir sind jetzt in der Sieverstorstraße, wo vor zweieinhalb Jahren das Mystique-Projekt stattgefunden hat. Was macht diese Straße besonders? Ich sehe viel Leerstand, dennoch hat sie ihren Charme.

Lisa S.: Die Sieverstorstraße ist herausstechend,weil es momentan ein leerstehender Straßenzug ist, der früher DIE Straße in der Neustadt war. Hier war der Einzelhandel angesiedelt, die Leute trafen sich, hier wurde über Generationen hinweg gelebt. Man kannte sich untereinander. Und nun ist das Ziel der Leute,die hier noch wohnen, dass diese Straße wiederbelebt wird. Ein Schmuckstück soll wieder erstrahlen.

Magdeboogie Redaktion: Von Mystique und aus den Jahren davor sind noch viele Graffitis und Wandbilder erhalten. Das und auch bestimmte Ruinen verleihen der Sieverstorstraße ihre besondere Atmosphäre.

Graffiti, Haus

Lisa S.: Auf der rechten Seite ragt der Südturm der ehemaligen Börde Brauerei empor. Die Brauerei war damals einer der größten Arbeitgeber hier. Leider ist nur noch der Turm übrig,früher war die gesamte aktuelle Freifläche bebaut mit Brauereigebäuden. Ungefähr in den 200ern wurden die Bauten abgerissen und planiert. Seitdem bewegt sich hier nix mehr. Es ist nicht ganz ersichtlich, wie der Plan der Grundstücksbesitzer aussieht. Im TGA sollen langfristig bis zu 300 Flüchtlinge untergebracht werden. Da sind derzeit noch bauliche Maßnahmen zu treffen. Die Alte Neustadt ist ein ruhiger Stadtteil mit Familien, älteren Leuten und Studenten. Auf jeden Fall ist das Verhältnis der Flüchtlinge zu den eigentlichen Einwohnerzahlen sehr hoch und die Menschen sind verunsichert über die Handhabung der neuen Situation. Bis jetzt gibt es keine schlechten Erfahrungen in der Agnetenstraße und so relativieren sich die Bedenken. Es ist schade, dass in der Sieverstorstraße schon erste Gebäude abgerissen werden und an einigen Häusern Schutzeinrichtungen angebracht werden müssen, weil die Bausubstanz zu verfallen droht. Teilweise ist es gefährlich, den Fußweg zu betreten.

Magdeboogie Redaktion: Ich finde, wenn Geflüchtete in die Neustadt ziehen, entstehen dadurch Chancen. Es existiert so viel Leerstand und der Stadtteil ist in der Entwicklung, sodass sich da Möglichkeiten und Räume ergeben. Leerraum besitzt zwar Charme, aber die Sieverstorstraße wirkt auch ein wenig wie eine Geisterstadt. Warum dem nicht mit Menschen, die aus anderen Kulturen kommen und neue Impulse setzen können, entgegenwirken.

Lisa S.: Was die Sieverstorstraße betrifft, bin ich dabei, Kontakt mit den Hausbesitzern aufzunehmen. Zwischennutzung ist ein essentielles Ziel. Viele können sich leider noch nicht vorstellen, dass auch “Bruchbuden” einen Sinn erfüllen und bespielt werden können. Eine große Aufgabe ist also auch, Kreativität im Umgang mit baufälligen Räumenzu entwickeln.

Magdeboogie Redaktion: Zwischennutzung scheint in deinem Wirken einen großen Stellenwert zu besitzen. Was genau bedeutet das für dich?

Lisa S.: Zwischennutzung heißt, leerstehende Flächen und Brachen kurz-/mittelfristig wiederzubeleben. Dies erfolgt über Kunst und Kultur bzw. kleine Veranstaltungen, den EInsatz kleiner Popup-Läden, in dem Vereinen und Initiativen die Räume zur Verfügung gestellt werden oder Atelierräume für Uni oder FH geschaffen werden. Das bringt kurzfristig Möglichkeiten für Leute mit Ideen, aber ohne finanzielle bzw. räumliche Ressourcen. Den Haus- und Grundstücksbesitzern bringt es den Vorteil, dass Teile instandgesetzt und renoviert werden und die Attraktivität des Standorts durch das Leben ansteigt. Somit werden potentielle Käufer angelockt.

Magdeboogie Redaktion: Gibt es ein geplantes Projekt, das du uns diesbezüglich erläutern kannst?

Lisa S.: Es gibt Gespräche mit verschiedenen Immobilienbesitzern, aber das steckt definitiv alles noch in den Kinderschuhen. Wo wir schauen müssen, ob wir die Leute von unseren Ansätzen überzeugen können. Atelierräume in Kooperation mit der Hochschule sind ein wichtiger Punkt, wo der Bedarf und die Begeisterung vorhanden sind.

Magdeboogie Redaktion: Also keine Details, aber wir bleiben neugierig 🙂 Wo gehen wir als nächstes hin?

Lisa S.: Zur Lübecker Straße und zur Diamantbrauerei. Das ist die zweite Brauerei in der Neustadt, wobei die Diamantbrauerei größer war und mehr Arbeitnehmer beschäftigen konnte. Es sind schöne Gebäude, die bis heute den Blick auf den Stadtteil bestimmen. Leider sehr verfallen und die Natur erobert sich langsam das Areal zurück. Die Ansiedlung der Brauereien ist geschichtlich bedingt. Bismarck meinte, wir fördern die Bierbrauerei und versuchen damit das Branntweinproblem in den Griff zu bekommen. Dadurch hat sich die Diamantbrauerei in kurzer Zeit ziemlich stark entwickelt und ist leider nach der Wende gescheitert. Seitdem steht das Gebäude leer. Es gibt noch einen Verein zur Diamantbrauerei, der weiterhin kleine Mengen Diamantbier braut und so dieses Stück Geschichte erhält und die Hoffnung auf Wiederauferstehung der Diamantbrauerei bestehen bleibt.

Magdeboogie Redaktion: Eine zeitlang wurden die Räumlichkeiten für Parties genutzt. Das kenn ich noch aus meinen ersten Jahren in der Stadt. Warum finden jetzt keine Veranstaltungen mehr statt? Liegt es an der Bausubstanz?

Lisa S.: Dazu kann ich leider nichts sagen.

Magdeboogie Redaktion: Jetzt sind wir am Neustädter Bahnhof. Eine Besonderheit, die Magdeburg auszeichnet, dass es hier so viele Bahnhöfe gibt, die sich quer durch die Stadt ziehen. Kann man aus dem Bahnhof Neustadt vielleicht auch mal mehr rausholen, als er gerade ist? Gibts da Pläne?

Lisa S.: So weit ich weiß, wurde der Neustädter Bahnhof gekauft, es soll eine Taekwondo-Schule dort einziehen. Denkmalschutz ist bei der Nutzung ein wichtiger Punkt, deshalb wird es länger dauern, das Areal wieder herzurichten, aber es ist in Planung. Aktuell ist der Bahnhof am verfallen, modrig und stickig. Bei einem privaten Kauf besteht die Gefahr, dass das Gebäude langfristig der Öffentlichkeit verschlossen bleibt, aber da gibt es bisher keine konkreten Angaben. In erster Linie ist es positiv, weil jetzt ein Impuls zur Veränderung gesetzt wird. Das ehemalige Bahnhofshotel ist ein wunderschönes Gebäude im Jugendstil, das nun auch mit Bauzäunen abgesichert wird.

Magdeboogie Redaktion: Welches Potential siehst du in der Neustadt, wenn du an Magdeburg 2025 denkst? Inwiefern glaubst du an die Idee und was kann der Stadtteil zu einer erfolgreichen Bewerbung zur Kulturhauptstadt beitragen?

Lisa S.: Prinzipiell ist die Bewerbung eine super Sache, denn es können Energien freigesetzt werden, egal ob es klappt oder nicht. Die Leute können sich dafür begeistern, neue Impulse gegeben werden. Ich hab selber viel mit Kulturschaffenden zu tun und da ist prinzipiell eine Bereitschaft für das Projekt vorhanden. Alle warten gerade noch auf den Moment, wo es irgendwie konkreter wird, Sachen in die Hand genommen werden. Für die Neustädte ist das eine gute Perspektive, vor allem in Verbindung mit den Vorhaben, die wir hier planen. Kultur anbieten, Veranstaltungen schaffen – die Wirkung der Stadtteile auf sich selber verändern, aber auch nach Außen. Für mich persönlich ist das gerade noch ein wenig gegenstandslos…

Magdeboogie Redaktion: Was würdest du dir wünschen als Impuls, um zu starten?

Lisa S.: Es wäre schön, wenn die Stadt dahingehend auf einen zukommt, dass der Prozess der Flächennutzung vereinfacht wird, dass es Gelder dafür gibt, Kulturschaffende hier anzusiedeln, dass man eben nicht immer den Spießrutenlauf zu den kleinen Förderern vor sich hat, dass man sich bespricht, dass ein Organisationsteam aufgebaut wird, dass ein Beitrag ausgezahlt wird, mit dem man ein Konzept im Stadtteil entwickeln und umsetzen kann. Auch schon jetzt im Vorlauf der Bewerbung, um so das Bewusstsein bei allen dafür zu stärken. Es kann nicht von einem Tag auf den anderen entstehen, sondern muss im Prozess sich entwickeln, um von den Leuten mitgetragen zu werden und die Magdeburger die Begeisterung der Kulturhauptstadt glaubhaft nach außen kommunizieren und da selber auch aktiv werden.

Magdeboogie Redaktion: Viele sagen, dass gerade der Weg das Wichtige wäre, nicht unbedingt das Jahr 2025.

Lisa S.: Das ist das Prinzip bei der Kulturhauptstadt für ein Jahr ist richtig viel los und viele Städte leiden darunter, dass danach wieder alles wegbricht. Ergo müssen Strukturen nachhaltig aufgebaut werden und das braucht sowohl eine gute Vorbereitung, als auch gute Nachbereitung. Es kann jetzt in Magdeburg noch anders werden. Anfangnächsten Jahres wird es ein Büro dafür geben mit drei Stellen, wo ich persönlich gerne mit diversen Kulturschaffenden an die Leute herantreten möchte, wenn sie so weit sind, dass man Tacheles redet. Was können die Kulturschaffenden leisten, damit dieses Projekt nicht nur von oben herab organisiert wird.

Magdeboogie Redaktion: Und wo können die kleinen Vereine, die in der Neustadt schon viel geleistet haben, eingebunden werden. Gibt es eine Zielvereinbarung?

Lisa S.: Nicht direkt. Es gibt ein integriertes Handlungskonzept für die Neustadt und dessen Zielstellung ist quasi auch meine Zielstellung, aber Stadtteilmanagement ist prinzipiell ein breit angelegter Bereich und bedeutet vieles. Sodass jeder Stadtteilmanager seinen eigenen Fokus findet in Abhängigkeit von den Begebenheiten. Bei mir ist es momentan viel  Öffentlichkeitsarbeit. Es wird eine Stadtteilwebseite geben. Es gibt den Neustädter Adventskalender, der den Leuten zeigt, was hier alles los ist,z.B. mit Ladenkonzerten in der Moritzstraße. Es geht viel um Integration. Es wird den Stadtteilladen geben, der ein bisschen die Aufgaben des Familienhauses in der Neuen Neustadt übernehmen soll.

Magdeboogie Redaktion: Da ist viel dabei, was du an Ideen selber generiert hast?

Lisa S.: Ja, es gibt keine direkte Vorgabe. Das finde ich sehr gut, weil alle Ideen, die ich entwickle, gemeinsam mit den Leuten vor Ort entstehen. Stadtteilmanagement basiert auf dem Konzept: Hilfe zur Selbsthilfe. Es bringt nicht viel, den Menschen Ideen aufzuzwingen. Die Ideen müssen von der Gemeinschaft getragen sein. Auf der anderen Seite ist es dadurch anstrengend, weil es keinerlei Orientierungspunkte gibt. Auch die anderen Stadtteilmanager können mir lediglich gute Tipps geben.

Magdeboogie Redaktion: Es ist ein bisschen schade, dass die Stadt sich da so raushält. Eigentlich müssten die sagen: Wir sehen dieses oder jenes Potential. Lass uns gemeinsam Ideen entwickeln. Wie weit bist du mit der Stadt unterwegs? Die Stelle ist wahrscheinlich durch die Stadt finanziert.

Lisa S.: Der Fond heißt “soziale Stadt”. Der ist zu einem Drittel jeweils von Bund, Land und Kommune ausfinanziert. Ich bin beim IB angestellt, aber auch beim Stadtplanungsamt angesiedelt. Mit dem Stadtplanungsamt bekommt man viele EInblicke, was im Stadtteil passiert. Mir ist eine Frau vom Stadtplanungsamt zugeteilt. Ich hab das Glück in der Neuen Neustadt ist das Geschäftsstraßenmanagement, das ist so ähnlich, wie meine Stelle, nur eben auf der Lübecker Straße konzentriert. Die fokussieren mehr auf Gewerbeansiedlung und Gemeinwesenarbeit, machen das schon seit 2011. Da hab ich meinen zweiten Bürositz und ich kann mich prima mit denen austauschen, weil die schon mehr Kontakte haben. Die haben es auch schon geschafft, kleine Samen des Gemeinwesens zu setzen, z.B. gibt es in der Moritzstraße den Moritzstraßentreff. Da treffen sich die Gewerbetreibenden zweimal im Jahr und entwickeln in gemütlicher Runde Ideen für den Stadtteil wie Rabattengestaltung und setzen die Ideen auch gemeinsam um.

Magdeboogie Redaktion: Du hast von dem Stadtteilladen erzählt, der entstehen soll. Wofür ist der da?

Lisa S.: Der Stadtteilladen gehört zu meinen Aufgaben und wird in der Neuen Neustadt eröffnet. Er bietet als Informationsort die Möglichkeit, sich über Angebote im Stadtteil zu informieren sowie über Probleme zu sprechen. Es soll aber auch ein Ort sein, der von Vereinen und Initiativen für Workshops oder Treffen genutzt wird. Ein Freiraum, der für Interaktionen der Leute aus dem Stadtteil zur Verfügung steht.

Magdeboogie Redaktion: So eine Art Gemeindezentrum?

Lisa S.: Ein kleines Gemeindezentrum. An sich gibt es in der Neuen Neustadt im Vergleich zur Alten Neustadt wesentlich mehr Kulturangebot, aber es fehlt ein bisschen die verbindende Struktur, die in der Alten Neustadt durch das Familienhaus gegeben ist. Es hat sich sehr schön als der Mittelpunkt entwickelt.

Magdeboogie Redaktion: Jetzt sind wir an der Moritzstraße und wollen ein bisschen über dieses Areal reden bei heiterem Sonnenschein.

Moritzhof

Lisa S.: Die Moritzstraße ist verbindendes Element zwischen Nikolaiplatz und Moritzplatz. Für mich ist sie einerseits wegen dem Moritzstraßentreff besonders und andererseits ist das die Straße, wo die meisten Läden leerstehend sind, wo das Geschäftsstraßenmanagement, aber auch in Kooperation mit dem Stadtteilmanagement. Wo wir letztes Jahr schon angefangen haben, eine kleine Reihe an Zwischennutzung zu machen, d.h. hier finden kleine Konzerte statt, Lesungen oder Poetry Slams. Das wird eigentlich ganz gut angenommen. Viele Leute, die vorbeikommen, freuen sich, dass der Kiez belebt wird und wünschen sich da mehr von. Es bekommen auch Künstler bzw. Kleinkunstschaffende die Möglichkeit, hier ihre Sachen auszustellen. Es gab z.B. auch eine Ausstellung vom Wildwasser e.V. Das sind alles Varianten, die Straße wiederzubeleben und das wird gut angenommen. Am zweiten Adventswochenende gibt es im Moritzhof den großen Adventsmarkt und da wird eben auch von uns auf dem Moritzplatz und hier in der Moritzstraße eine gemeinsame Atmosphäre geschaffen. Die Läden werden beleuchtet, Künstler stellen ihre Sachen aus, die Ottonen machen mittelalterliches Handwerk auf dem Moritzplatz. Das alles passiert, um die Stimmung noch ein bisschen im Stadtteil zu verbreiten. Die Aktion “Lichtblicke” geht über den Weihnachtsmarkt hinaus, ergo werden die Schaufenster bis in den Januar hinein abends beleuchtet und das sieht sehr schön aus.

Magdeboogie Redaktion: Passiert das nur hier in der Moritzstraße oder darüber hinaus?

Lisa S.: Erstmal nur hier in der Moritzstraße. Das ist erstmal der Fokus. Wir haben es uns als Ziel gesetzt, das nächstes Jahr auf die Alte Neustadt mit auszuweiten.

Magdeboogie Redaktion: Hier wäre auch Potential für den Stadtteilladen, von dem du erzählt hast?

Lisa S.: Hier in diesem Bereich würde ich den Laden tendentiell sehen. Weil es eine schöne Lage ist – nahe zur Lübecker Straße und dabei zwischen Nikolai- und Moritzplatz. Aber eben auch weil die Neue Neustadt prinzipiell ein gespaltener Stadtteil ist, d.h. die Lübecker und die Lüneburger Straße sind sozusagen die Grenze, der rechte Teil davon vom Stadtzentrum kommend. Das ist der “bessere” Teil, d.h. die Häuser sind weiter saniert, es wohnen mehr Familien da. Auf der linken Seite befinden sich die meisten sozial schwachen Familien und Anwohner, weil die Mieten günstiger sind und somit ist hier im sozialen Bereich wesentlich mehr zu tun. Eine Thematik, mit der ich mich gemeinsam mit der LKJ beschäftige, ist die hohe Anzahl an rumänischen Familien, die hier lebt, was prinzipiell nicht schlimm ist, aber sie integrieren sich aufgrund der Vielzahl nicht gut in die Gesellschaft. Sie sind viel unter sich und der deutschen Sprache nicht so mächtig. Uns wurde zugetragen, dass einige Anwohner diesen Familien kritisch gegenüberstehen, dass es öfter rechtsgerichtete Schmierereien an den Häusern gibt oder das Gerüchte gestreut werden. Wir versuchen gemeinsam mit den Kindern, Projekte zu starten und mit ihnen den Stadtteil zu gestalten. Die Kooperation mit der LKJ nennt sich “Kiezrebellion”. Im Rahmen des Willkommensbündnisses ist auch ein Älteren- und Müttercafé der Grundschule Umfassungsweg angedacht, wo wir probieren, die Leute abzuholen und den Dialog zu schaffen, weil es an sich gar nicht so problematisch ist, aber die Leute reden nicht genug miteinander.

Magdeboogie Redaktion: Da fangen die meisten Probleme an, bei der fehlenden Kommunikation. So entstehen Vorurteile. Als ich diese Straße entdeckt habe und vor allem den Moritzhof, habe ich für mich in Magdeburg eine kleine Oase entdeckt und bin froh, dass es dieses Areal mit Moritzhof, Studiokino und Knast hier gibt. Wenn man hier durch die Straßen zieht, erwartet man das gar nicht. Bei mir stellt sich stets Freude über die Oase der Kleinkunst und alternativer Kinofilme ein.

Lisa S.: Selbst bezüglich des Moritzhofs könnte man die Neustädter noch mehr animieren, das Programm dort wahrzunehmen. Ein großer Teil des Publikums reist aus anderen Stadtteilen an. Was man direkt vor der Haustür hat, nutzt man seltener.

Magdeboogie Redaktion: Ich seh hier wirklich viel Leerstand.

Lisa S.: Das ist ein Laden, in dem ein Vortrag zur nachhaltigen Zwischennutzung anhand des Beispiels eines Stadtteils in Witten abgehalten wurde. Im Nachhinein hat es sich da als wichtig herausgestellt, die Immobilienbesitzer von Anfang an einzubeziehen, weil wir sonst das Problem der Gentrifizierung haben und die Preise extrem steigen, sodass es kein Wohnungsangebot mehr gibt.

Magdeboogie Redaktion: Durch den Knast, den Moritzhof und das Studiokino ist das hier sehr geballt, wie ist es denn mit der Vernetzung zwischen Kulturschaffenden sonst in der neuen und alten Neustadt und den Akteuren, wo wir jetzt gerade sind? Wie weit findet da Vernetzung statt?

Lisa S.: Man kennt sich und man spricht auch miteinander. Von gemeinsamen Projekten oder Austausch unter den Kulturschaffenden habe ich noch nicht gehört.Das ist definitiv ein Punkt mit Handlungspotential. Im August hatte ich meine erste Veranstaltung auf dem Moritzplatz zur Langen Nacht der Kultur.Das war eine sehr schöne Sache. Wir haben den Platz bunt angestrahlt und Recycelkunst hier ausgestellt. Das war wieder so ein Moment, wo alle Anwohner begeistert auf einen zugekommen sind: “Toll, dass hier was passiert.” und “Endlich ist was los.” Und haben sich dafür bedankt. Die rumänischen Familien waren gefühlt den ganzen Tag draußen. Für die Kinder war es das größte Ereignis überhaupt, die haben uns den ganzen Nachmittag und auch am Abend begleitet. Als ich erklärt habe, dass es am Abend Musik gibt und Kunst ausgestellt wird, haben kleine Kinder ihre Sonntagsanzüge ausgepackt. Da merkt man, dass auch die Veranstaltung dankbar angenommen wird, egal was die Besucherzahl sagt. Es bewirkt was. Dementsprechend, hoffen wir auf mehr Eigeninitiative durch andere, hier was zu machen.

Magdeboogie Redaktion: Wo entsprechend Mittel benötigt werden. Das Jugendzentrum, von dem du gesprochen hast, ist das hier?

Lisa S.: Das Next Generation befindet sich in der Alten Neustadt. Da wird gerade die Außenwand von einem Graffiti-Künstler gestaltet, was durch das Stadtteilmanagement unterstützt wird. Wir haben gemeinsam mit der Jugendklubleitung ein Konzept entwickelt, wie das Motiv ungefähr aussehen sollte und dann hat der Graffiti-Künstler mehrere Entwürfe vorgelegt und die Kinder durften sich dann selber die Elemente aussuchen, die Schriftart in der die Wand gestaltet werden soll und das wurde sehr gut angenommen. War im Endeffekt anders als ich mir das selber vorgestellt habe, die Kinder wollten mehr Gangster sein. Der Jugendklub ist an sich schön, aber bisher von außen nicht so toll gestaltet. Dazu kommt, dass zur Straße hin der Kraftraum ist mit trainierenden Männern, wo ich von Müttern schon öfter gehört habe, dass das für Kinder eher abschreckend, als einladend wirkt. Das soll sich über die Außenwandgestaltung ändern. Nun sind wir am Moritzhof, wo meine persönliche Geschichte beginnt, weil ich hier meine erste Veranstaltung realisiert habe.

Magdeboogie Redaktion: Was war das für eine?

Lisa S.: Das war ein Poetry Slam im Rahmen des Umgeblättert – Bücherfestes.

Magdeboogie Redaktion: War das eher Zufall, dass du jetzt wieder in der Neustadt angekommen bist oder siehst du einen Zusammenhang?

Lisa S.: Das war wohl Zufall, aber meine erste Wohnung war in der Neustadt, ebenso wie meine erste Kulturveranstaltung und jetzt bin ich wieder hier als Stadtteilmanagerin. Das ist super, dass man die Geschichte weiterspinnen kann.