Foto: Nilz Böhme

Pragmatismus – nun auch im Märchenformat. Die Kinder im Publikum sind ganz unruhig als der blaue Vorhang sich öffnet und den ungewohnten Blick auf die Welt von Frau Holle freigibt. Keine bunte Kleinstadtszenerie, sondern eine graue Fabrik, in der alle nur funktionieren, um zu überleben. Wer sich dem geldgierigen Herrn Goldhammer (Raphael Kübler) widersetzt, wird gefeuert. Alternativen gibt es wenige, deshalb muss auch Marianna (Sonka Vogt) in der Maschinerie ihr Werk verrichten.

Trotzdem der Anfang der Inszenierung von Kai Festersen nicht viel mit dem Märchen der Gebrüder Grimm zu tun hat, kommen den erwachsenen Zuschauenden die Geschichte und ihre Umstände wohlbekannt vor. Oft sind wir gezwungen, unser Leben an die Bedingungen anzupassen, um voranzukommen bzw. nicht als gescheiterte Existenzen von der Geschwindigkeit der Gesellschaft überrannt zu werden. Es bedarf Courage, Fantasie und Initiative sich dem Massenstrom entgegenzustellen und ein Leben nach der eigenen Façon zu führen. Marianna zum Beispiel gerät dadurch ins Abseits, dass sie keine leibliche Familie mehr besitzt und um dazuzugehören, fügt sie sich dem Wunsch der Stiefmutter (Michaela Winterstein), obwohl sie für die Arbeit in der Fabrik nicht geschaffen ist. Am Rand der Gesellschaft bewegt sich auch der gerupfte Hahn (Thomas Schneider) – ständig auf der Flucht vor dem Kochtopf. Sich selber grenzt die verwöhnte Stiefschwester Marie-Lou (Heide Kalisch) von ihrer Umwelt ab. In einem wunderbar auffälligen, pinken Kleid hat sie dabei stets einen frechen Spruch auf den Lippen. Über all den weltlichen Macht- und Angstkämpfen schwebt Frau Holle (Iris Albrecht), die es endlich wieder schneien lassen will. Leider ist die Zeit auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen und ihre Kräfte schwinden. Findet sie keine Hilfe, so kann die Erde sich nicht unter einem weißen Mantel ausruhen.

Markus Pysall schafft mit dem Bühnenbild zu Beginn des Stücks eine kühle Atmosphäre, die von den Schauspieler*innen belebt wird. Wundervoll wird der Fall der Mädchen in den Brunnen in Szene gesetzt. Herrlich fröhlich wirkt die weite Wiese, auf der Ofen und Baum die lustigen Gesellen Brot (Raphael Kübler) sowie Apfel (Michaela Winterstein) präsentieren.

Das diesjährige Weihnachtsmärchen ist ein Plädoyer für Kommunikation, Neugier und Hilfsbereitschaft. Bedingungslose Liebe verlangt nicht für jede Tat eine Belohnung. Unser Handeln soll selbstbestimmt erfolgen und somit von der eigenen Moral getragen werden. Dabei sind Fehler erlaubt, solange wir sie erkennen und daraus lernen. Am wichtigsten aber ist es, sich nicht hinter bisweilen unbegründeten Ängsten zu verstecken, sondern deren Ursprung zu erkunden, sonst verschlingen sie uns wie ein Schwarzes Loch.