Foto: Nilz Böhme

Vor einem Jahr habe ich meinen restlichen Kram in Umzugskartons gepackt und in die Wohnung gebracht. Noch immer habe ich nicht alles ausgepackt. Wie ich jetzt darauf komme? Vor mir auf der Bühne stapeln sich ebensolche normierten Kisten (Ausstattung: Nadine Hampel). Eine sieht aus wie die andere, aber es wird sich zeigen, dass dies nicht auf ihr Inneres zutrifft. Wie die Menschen sind auch diese beigen Quader verschieden. So verschieden wie der Alltag der Leute oder eben deren Wohnungen.

Freitagabend. Endlich Wochenende. Entspannung in der Wohnung. Zuhausesein. Alles passt. Die Einrichtung spiegelt meine Identität wider. Super. Enorm. Doch die heile Welt existiert nicht. Bereits in den eigenen vier Wänden bröckelt, was in den Medien omnipräsent erscheint. Der*Die Einzelne eben als Fragment des Ganzen.

Vorurteile. bio. Muslime. Durchschnitt. psychische Abweichungen. Fremdkalkulation. political correctness. Individualität. Mobbing.

So viel passiert in anderthalb Stunden bei Bin nebenan, das die Seele durch bekannte Szenarien führt, von denen wir uns mitunter entfremden wollen. Intime Situationen. Emotionales Spiel mit dem Raum. Es herrscht ein Wechsel zwischen Ein- bzw. Dreisamkeit. Jede*r Einzelne genial und bühnenfüllend. Gemeinsam eine Einheit, Synergien bildend, ansprechend. Dabei entscheidet sich Grit Lukas bei ihrem Regiedebüt nicht nur für lustige Episoden aus Ingrid Lausunds Monologsammlung.

Fünf Geschichten werden getrennt durch ein musikalisches Thema bzw. choreografierte Umbauten erzählt, wobei jede*r der Spielenden Heide Kalisch, Konstantin Lindhorst und Ralph Opferkuch die Möglichkeit erhält einen Part allein zu präsentieren. Dramatisierung und Überhöhung der Situationen bzw. Gedanken bestechen in den Episoden. Ausnahme ist das beklemmende Szenarium um ein ehemaliges Heimkind. Ralph Opferkuchs Monolog überzeugt ernsthaft und wirkt deprimierend. Eine reife Leistung nicht ins clowneske zu verfallen, sondern immer nur ein bisschen Optimismus zu streuen. Hätte auch schlimmer …

Obwohl größtenteils mit Kartons hantiert wird, entstehen spannende Geschichten auf der Bühne. Über Sprache werden den Kisten Bedeutungen und relevante Bestimmungen in der Wohnung zugewiesen. Wie die Regisseurin, so vertrauen auch die Spieler*innen dem Text (Dramaturgie: Laura Busch), ebenso tut es das Publikum, weil es den Akteur*innen vertraut. Immens, welche Imaginationsleistung hier geschieht. Dabei wird deutlich, dass wir uns oft hinter den Stereotypen, die wir uns im Laufe des Lebens zusammenreimen, verschanzen, anstatt einfach mal zu fragen, ob die Klischees wirklich zutreffen. Wir kanalisieren unsere Angst allzugern in schuldbewusste Gastfreundschaft. Dabei wissen wir längst, das nicht jede*r nur in eine Schublade gehört, sondern es Überschneidungen gibt, verbindende Elemente zwischen verschiedenen Kulturen. Doch wie umgehen mit der Komplexität des Seins?

Ich bau mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Dabei sollten wir den Lebensraum nicht nur nach individuellen Gesichtspunkten gestalten, sondern einen Ort schaffen, der vielen Menschen eine Heimat sein kann. Zuhause ist ein umfassender Begriff, der weit über die eigenen vier Wände hinausgeht.