Unter dem Begriff der „Klasse“ versteht jede*r etwas anderes: Eine Gruppe von Personen mit gleicher sozialer Herkunft, gleichem Schicksal oder auch gleichem Einkommen. Klassenkämpfe, Klassenunterschiede und Klassenbewusstsein sind heute womöglich nur noch von Studierenden der Politikwissenschaften und Alt-Kommunist*innen erklärbar. Viel häufiger werden Begriffe wie Milieu, Szene oder Kiezkultur verwendet. Wie kann der angestaubte Begriff „Klasse“ in das 21. Jahrhundert übersetzt werden? Gibt es heute noch ein Klassenbewusstsein? Und wie kann der Fokus auf „Klasse“ es ermöglichen, trotz geschlechtlicher und nationalstaatlicher Grenzen und Differenzen, gemeinsame Kämpfe zu führen?
Alle diese Fragen versucht die neue Veranstaltungsreihe „KlassenFragen“ zu beantworten, die seit dem 4. Oktober in Magdeburg stattfindet.
Die Magdeboogie-Redaktion sprach mit einigen Organisator*innen der Reihe, die auch unter www.facebook.com/KlassenFragen zu finden ist.
Fragen rund um das Thema Klasse sind doch eigentlich nach 1989/90 nicht mehr zeitgemäß, oder?
Uns ist nicht klar, warum das Thema Klasse sich mit den Jahren 1989/90 erledigt haben sollte, wieso auch? Unserer Perspektive nach, war das Thema Klasse und eine Beschäftigung damit immer zeitgemäß. Wir würden jedoch der Beobachtung zustimmen, dass der Fokus sich innerhalb der Linken zum Großteil auf Themen wie zum Beispiel Rassismus und Sexismus verschoben hatte und erst in den letzten Jahren sich wieder vermehrt den Themen Soziale Kämpfe und Klasse, allerdings auch gerade in Verschränkung mit Rassismus und Sexismus, zuwendet.
Was meint ihr mit Klasse?
Genau diese Frage wollen wir mit der Veranstaltungsreihe stellen: Was ist Klasse? Allerdings nicht, damit wir diese Frage final beantworten. Vielmehr wollen wir Menschen und Gruppen aus unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten Möglichkeiten bieten, ihre Perspektive mit uns allen zu teilen. Und vor allem wollen wir uns auch selbst diese Frage stellen.
Was wollt ihr mit der Veranstaltungsreihe bezwecken?
Wir wollten dazu einladen, das Thema Klasse und Neue Klassenpolitik auch in Magdeburg wieder mehr zu beleuchten und in eine Auseinandersetzung damit zu treten.
Gibt es heute noch ein Bewusstsein für die eigene Klasse und die Herkunft? Wie äußert sich dieses? Was ist womöglich die neue Arbeiterklasse?
Vermutlich zielst diese Frage auf die Losung „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ ab. Also auf eine Form von Klassenbewusstsein, welches – wenn es vorhanden ist – die aktuellen ökonomischen Verhältnisse, den Kapitalismus, überwinden kann.
Klassenbewusstsein muss von sich aus aber nichts befreiendes oder empanzipatorisches sein. Auch Menschen, die aktuell von ihrem hohen sozialen Status, Einkommen und Positionierung in der kapitalistischen Gesellschaft profitieren, können eine Form von Klassenbewusstsein haben. Da wäre die Frage zu stellen, inwiefern dieses Klassenbewusstsein uns den Weg in eine gerechtere und herrschaftsfreie Gesellschaft eher versperrt.
Wir halten es für schwierig, von der einen neuen Arbeiterklasse zu sprechen. Zum einen, weil es Unterschiede gibt: In den Produktionsverhältnissen, bspw. zwischen Staaten, die kolonialisiert wurden und Kolonialmächten. Innerhalb von Nationalstaaten, zwischen Stadt und Land oder auf Deutschland bezogen, zwischen Ost und Westdeutschland. Und auch dadurch, dass Arbeitsverhältnisse flexibilisiert werden und durch voranschreitende Digitalisierung und Technologisierung insgesamt eine Transformation erfahren.
Weiterhin fehlt uns im Begriff der Arbeiterklasse die Dimension von Geschlecht. Da durch die Wahl des Begriffs „Arbeiter“ Frauen, Transmenschen, Queers und Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen, nicht auftauchen bzw. benannt werden.
Abschließend würden wir uns fragen wollen, ob die Arbeiterklasse als eine des Industrieproletariats zu eng gefasst war. Spannend fänden wir es hier die Frage zu stellen: Was heißt Arbeit? Arbeit ist für uns nicht nur Lohnarbeit, sondern z. B. eben auch Reproduktionsarbeit. Also wer sorgt dafür, dass „der Arbeiter“ wieder lohnarbeiten kann? Wer kümmert sich um die Kinder? Wer pflegt und versorgt alte Menschen? Diese Dimension fehlt uns in der Frage.
Zu welcher Klasse zählt ihr euch?
Auf alle Fälle zählen wir Alle zur Klasse der Lohnabhängigen. Abschließend oder allgemein können wir diese Frage aber nicht beantworten, da wir davon ausgehen, dass Klasse untrennbar mit den Dimensionen Geschlecht und (vermeintlicher) Herkunft wechselwirkt. Wir versuchen uns eher immer wieder zu fragen: In welchen Momenten beute ich selbst aus, z. B. als Person aus dem globalen Norden, sowohl im Bezug auf Menschen als auch auf Natur und wann werde ich ausgebeutet? In welchen Momenten unterdrücke ich, z. B. als weiße Person und wann werde ich unterdrückt, zum Beispiel als Frau im Patriarchat?
An der Veranstaltungsreihe partizipieren zahlreiche Gruppen. Welche zählen dazu?
Zu den Gruppen gehören die FAU (freie Arbeiter*innen-Union), die OLLi (Offene Linke Liste), der Arbeitskreis kritische Gesundheitsarbeit und der Arbeitskreis Antirassismus. Die Fragen hier haben wir allerdings als Einzelpersonen und nicht im Namen dieser Gruppen beantwortet, wir möchten niemandem und keiner Gruppe eine Analyse vorschreiben bzw. überstülpen.
Eure Veranstaltungen sind thematisch vielfältig. Es geht um das Verhältnis von Klasse und Rassismus, politische Ökonomie, ein historischer Blick auf die DDR, Klasse und Ökologie oder auch anarchistischen Syndikalismus als Gegenmodell zur Klassengesellschaft. Das vermittelt das Gefühl, dass ich ganz viel wissen muss, um den Klassen-Begriff heutzutage als solches zu verstehen und über Herrschaft mitdiskutieren zu können, oder?!
Wir wünschen uns, dass die Veranstaltungsreihe auch Menschen anspricht, die sich bisher nicht mit diesen Themen beschäftigt haben. Wir gehen davon aus, dass wir alle Teil von Klassen sind und von Herrschaft betroffen und uns deshalb allein schon als Betroffene an einer Diskussion beteiligen können. Die Frage ist dann wahrscheinlich eher, inwiefern gelingt es uns, verschiedene Perspektiven, Wissensstände und Erfahrungsschätze zusammenzubringen und voneinander zu lernen.
Hinterlasse einen Kommentar