Seit dem gewaltsamen Tod des amerikanischen Georg Floyd durch Polizisten in Minneapolis hat die Debatte um Polizeigewalt und Alltagsrassismus enorm an Fahrt aufgenommen. Nicht nur in den USA, auch hier in Magdeburg, gab es Aktionen der Black-Lives-Matter-Bewegung, die darauf aufmerksam macht, dass Rassismus in der Gesellschaft immer noch omnipräsent ist.

Auch in Magdeburg, dass sich doch so gerne als weltoffene, bunte Stadt an der Elbe präsentiert, sind rassistische Diskriminierungsformen alltäglich. An einigen Stellen in der Stadt kommt dieser Alltagsrassismus ganz besonders zum Vorschein, wie etwa bei der Mohren-Apotheke im beschaulichen Stadtteil Stadtfeld Ost.

Wir trafen uns mit einer jungen Frau, die die Bezeichnung einer Apotheke kritisiert und deshalb die Umbenennung fordert. Über 350 Einzelpersonen sowie knapp 20 Organisationen und Vereine unterstützen sie dabei…

Der Stein des Anstoßes: Eine überholte Bezeichnung für eine Apotheke. © Oliver Wiebe

Hallo Hannah. Bevor wir loslegen, würden wir uns freuen, wenn du dich kurz vorstellen könntest. Wo kommst du her, was machst du derzeit in Magdeboogie und was hast du zukünftig vor?

Ich bin Hannah, 24 Jahre alt und komme aus Berlin. Vor knapp vier Jahren bin ich zum Studieren hierher gezogen und fühle mich mittlerweile – nach einer anfänglichen Kulturschock-Phase – ziemlich wohl! Was die Zukunft bringt, weiß ich selbst noch nicht so ganz genau, aber meine aktivistische Arbeit, das Motto „stay true to yourself“ und das Anstoßen von gesellschaftlichen Veränderungen sowie Lernprozessen, auch meine eigenen, werden auf jeden Fall Teil davon sein.


Vor wenigen Wochen hast du eine Petition gestartet. Um was geht es dir dabei?

Es geht mir darum, dass rassistische Sprache endlich aus dem öffentlichen Raum verbannt wird. Rassismus zeigt sich in unserer Gesellschaft auf verschiedensten Ebenen. Die Verwendung von rassistischer und diskriminierender Sprache ist eine davon. Natürlich wird die Umbenennung einer Apotheke nicht alle Probleme lösen, die es in dieser Hinsicht gibt, aber sie kann einen Teil dazu beitragen. Nachdem der Inhaber der M*-Apotheke in Magdeburg auf meine E-Mails nicht reagiert hat und bei einem persönlichen Gespräch am Telefon sehr abweisend war, habe ich einen Offenen Brief an ihn geschrieben und Unterschriften dafür gesammelt. Mit der langen Unterstützer*innen-Liste möchte ich aufzeigen, dass ich mit der Forderung keineswegs alleine dastehe und hoffe, dass der Inhaber dadurch zum Nachdenken und im besten Fall auch zum Handeln animiert wird.

Die Petition war ja in kürzester Zeit sehr erfolgreich und hat knapp 20 Vereine sowie 350 Privatpersonen erreicht, die auch unterschrieben haben.

Wie bist du auf die Idee des offenen Briefes gekommen? Hattest Du Unterstützung?

Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist nach dem Mord an George Floyd und den Demonstrationen gegen Polizeigewalt in den USA auch im deutschsprachigen Raum angekommen und die Stimmen schwarzer Menschen und Aktivist*innen, die u. a. die Abschaffung kolonialrassistischer Namen und Begriffe im öffentlichen Raum schon seit Jahren und Jahrzehnten fordern, werden endlich gehört. Ich bin durch Zufall darauf gestoßen, dass es – wie in etlichen weiteren Städten auch – in Magdeburg eine M*-Apotheke gibt und habe dann spontan diese Aktion angestoßen. Ich wurde von lieben und engagierten Menschen der Seebrücke Magdeburg (Anm. d. Red.: Die Seebrücke Magdeburg ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich für sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten einsetzt) in dem Vorhaben unterstützt.

Hannah hat bereits über 350 Einzelpersonen und knapp 20 Vereine bzw. Organisation hinter ihrer Forderung an die Apotheke versammelt. © Oliver Wiebe

Ein Großteil der weißen Menschen versteht die Aufregung nicht bzw. will diese nicht verstehen. Wie würdest du denen am ehesten beschreiben, was der Begriff „Mohr“ in dir auslöst?

Mir ist wichtig zu betonen, dass es bei dieser Aktion nicht nur um mich geht, denn es geht um viel mehr. Wir haben in Deutschland ein tiefgehendes, strukturelles und institutionelles Rassismus-Problem, das sich wie ein giftiges Netz durch alle Ebenen der Gesellschaft zieht. Darum ist es so wichtig, in allen gesellschaftlichen Bereichen antirassistische Arbeit voranzutreiben.

Sprachgeschichtlich gibt es verschiedene Wurzeln für das M-Wort, u. a. „moros“ (griech.: stumpf, töricht, dumm) und „maurus“ (lat.: dunkel, mauretanisch, afrikanisch). Der Begriff ist jedoch spätestens seit der Sklaverei, dem Kolonialismus und den Rassentheorien der Aufklärung sehr negativ belastet. Bereits vor der Kolonialzeit zeigt sich der abwertende Charakter des Wortes: Im 18. Jahrhundert gab es beispielsweise die sogenannten Kammerm**ren. Diese waren Sklav*innen, häufig Kinder, die zur Belustigung und Unterhaltung an deutschen Adelshäusern vorgeführt wurden. Außerdem ist M* eine Fremdbezeichnung, die von den Menschen, die er bezeichnet, größtenteils abgelehnt wird.

Weiße Europäer*innen sind es historisch gewohnt, anderen Völkern ihre Regeln aufzuzwingen und ihnen Namen zuzuweisen. Gerade vor dem Hintergrund jahrhundertelanger Ausbeutung und Auslöschung ganzer Völker sollte heutzutage davon abgesehen werden, an diesen Begriffen festzuhalten. M* tritt häufig in Verbindung mit dem rassifizierten Bild einer schwarzen Person auf: große Lippen, wilde Haaren, aufgerissene Augen, meist in dienender, unterwürfiger Haltung. Dieses Bild reproduziert das Narrativ des „Einfältigen, Untergeordneten, Wilden“ und bedient so rassistische Stereotype.

Da nutzt es herzlich wenig, wenn weiße Menschen als Gegenargument sagen „Ich meine es ja nicht böse“ oder „Ich habe das schon immer so gesagt“ oder „Früher war das ein positiv besetztes Wort“. Den Gebrauch von rassistischer Sprache als Teil der Kultur zu betiteln und daran festhalten zu wollen, ist fatal. Denn Kultur ist kein feststehendes Konstrukt, sondern unterliegt – wie auch unsere Gesellschaft, die diese Kultur erschafft und rezipiert – einem stetigen Wandel.

Es sind nicht länger weiße, konservative, christlich geprägte Deutsche, die definieren, was deutsche Kultur ist. Die Zukunft ist divers und inklusiv – so auch die deutsche Kultur. Deal with it!

Du hast dem Apotheken-Inhaber den Offenen Brief samt Unterstützer*innen-Liste selbst übergeben. Wie hat er reagiert und was will er jetzt machen?

Seine Reaktion war sehr defensiv und ablehnend. Er sagte, dass er das Wort nicht als rassistisch empfindet und die ganze Diskussion für überflüssig hält. Auf meine Nachfrage hin, wie er sich dazu positioniert, dass die AfD Magdeburg eine Kampagne gegen mich und meine Forderung gestartet hat und sich – ob er will oder nicht – mit ihm verbündet hat, reagierte er ausweichend und wollte keine klare Haltung beziehen. Das finde ich sehr schade, denn er hat die Möglichkeit, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und Stellung zu beziehen. Die Umbenennung muss nicht von heute auf morgen passieren, mir ist durchaus bewusst, dass das auch mit finanziellem Aufwand verbunden ist. Aber die Anerkennung, dass der Name rassistisch ist und geändert werden sollte, ist ein erster, notwendiger Schritt.


Die Apotheke ist sicherlich nur eine (sichtbare) Spitze eines Eisbergs oder? Wo merkst du Rassismus sonst noch im Magdeburger Alltagsleben?

In Magdeburg mache ich, so wie die allermeisten BIPoC* hier, regelmäßig Rassismuserfahrungen. Ich möchte jetzt keine Details nennen, da es dazu bereits zahlreiche Darstellungen gibt und ich bei dem Thema oft eine Art „Sensationsgier“ bemerke.

BIPoC* erleben Rassismus auf einer alltäglichen Basis und wir sollten diese Erfahrungen nicht immer und immer wieder illustrieren müssen, damit die weiße Mehrheitsgesellschaft uns glaubt.

Was wünschst du dir, neben der Umbenennung der Apotheke, von der Debatten um rassistische Begriffe in der Gesellschaft?

Ich wünsche mir, dass schwarzen Menschen mehr zugehört wird und ihre Sichtweisen mehr Raum bekommen. Ich wünsche mir, dass Black Lives Matter kein kurzfristiger Trend bleibt, sondern nachhaltige gesamtgesellschaftliche und politische Veränderungen mit sich bringt: Antidiskriminierungsgesetze, Verbot von Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt (die Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei wäre ein Anfang gewesen. Schade, Horst.), konsequente und transparente Aufklärung der NSU-Morde, der Morde von Oury Jalloh, Rooble Warsame, Amad Ahmad und all der anderen Menschen, deren Tode bislang nicht aufgeklärt wurden.

Ich wünsche mir, dass endlich anerkannt wird, dass rassistischer Sprachgebrauch in all das mit hinein spielt und Teil des Problems ist. Sprache bildet nicht nur Realität ab, sie schafft auch Realität. Sie formt unser Denken und ist nicht wertneutral. Sie kodiert eine bestimmte Perspektive und diese gilt es zu hinterfragen.


Die Volksstimme hat mehrmals von deinem Engagement berichtet und ist dabei in zahlreiche Fettnäpfchen getreten. Zuletzt wurden viele Kommentare von (scheinbar weißen) Leser*innen veröffentlicht, die dein Anliegen nicht nachvollziehen können. Was ärgert dich am meisten an der Diskussion?

Mich ärgert, dass Journalist*innen über ein Thema berichten, ohne sich mit der Gesamtproblematik auseinanderzusetzen. Mein Name wurde falsch geschrieben und meine Aussagen unvollständig wiedergegeben. Das ist einfach mangelhafte Arbeit und sollte im besten Fall zu einer Debatte über die internalisierten Rassismen der Mitarbeitenden führen. Das beschränkt sich nicht auf die Volksstimme, da können sich die meisten Medienvertreter*innen selbst angesprochen fühlen.

Die Kommentare der Leser*innen überfliege ich meist nur und mache mir selten die Mühe, darauf zu antworten. Sie ärgern mich auch nicht wirklich, denn ich weiß, wie viele Menschen rassistische Denkmuster unhinterfragt übernommen haben. Es ist nicht meine Aufgabe, für jede*n einzelne*n kostenlose Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu leisten.

Da appelliere ich auch an weiße rassismuskritische Mitmenschen: Lasst diese Kommentare nicht auf den Schultern von BIPoC* ruhen, sondern bringt euch aktiv mit ein. Diskutiert mit euren Freund*innen, Kolleg*innen, Familien und setzt euch unangenehmen Situationen und Gesprächen aus, wenn ihr Solidarität zeigen wollt. Das geht nicht, wenn man schweigt.

Stay tuned – stay positive und weg vom Ärger: Was planst du als nächste Schritte und wie können dir Menschen helfen, die bereits deinen offenen Brief unterstützt haben?

Konkrete Pläne sind noch nicht spruchreif, aber bleibt gespannt! Auf meiner Instagram-Seite gebe ich regelmäßige Updates und informiere euch, wenn ich nochmal Hilfe benötige und viele Menschen mobilisieren möchte.

Ansonsten würde ich an meine vorherige Antwort anknüpfen: Setzt euch mit eurem eigenen Weißsein kritisch auseinander und seht Rassismus nicht als alleiniges Problem von BIPoC*. Rassismus betrifft uns alle, ob als Profiteur*innen oder Betroffene. Wer schweigt, drückt stille Zustimmung aus. White silence is violence.

Vielen Dank für die umfangreichen Antworten – du hast das letzte Wort.
Magst du noch etwas mitteilen?

Ich freue mich zwar, dieses Interview geben zu dürfen, aber es müssen auch dark-skinned BPoC* zu Wort kommen. In der deutschen Medienlandschaft werden schwarze Menschen generell unterrepräsentiert, aber wenn sie repräsentiert werden, dann zumeist durch light-skinned BPoC*. Dieses Phänomen nennt man Colorism und es bedeutet, dass auch innerhalb der schwarzen Community Diskriminierung aufgrund des Hauttons stattfindet. Wieso ist die komplette Rassismus-Debatte in Deutschland in der Hand von light-skinned BPoC*, wozu auch ich gehöre? Das muss sich ändern!

Ein Blick auf die Mohren-Apotheke in der Olvenstedter Straße. © Oliver Wiebe